Mittwoch, Dezember 26, 2007

2007 - Ein Jahresrückblick

Das Jahr neigt sich dem Ende. Also ist es Zeit innezuhalten, durchzuatmen und kurz zurückzublicken auf das, was man alles in den vergangenen 52 Wochen konsumiert hat. Da ich den Rahmen jedoch einerseits nicht sprengen möchte und mir andererseits eine Top- und Flopliste zu knapp bemessen scheint, liste ich hier die wichtigsten Filme des Jahres in drei Kategorien auf: Die besten, die guten und mittelmäßigen sowie die enttäuschenden und grottigen.

Insgesamt ein durchaus zufriedenstellendes Jahr. Nur die Blockbuster haben überwiegend enttäuscht. Aber wirklich überraschend ist das ja eigentlich auch nicht mehr.

Die Besten


Planet Terror
: Beste Hommage, bester Horrorfilm und eine der besten Komödien des Jahres. Spätestens mit Planet Terror beweist Rodriguez, dass Once Upon a Time in Mexico ein Ausrutscher war. Wie kategorisiert Tarantino den Film so treffend: Planet Terror sei jener Film, den Carpenter nach The Thing leider nicht gemacht habe.

The Bourne Ultimatum: Schnell, authentisch und ohne viel Pathos - so muss beinharte Action sein. Eine Lektion, die Bay und Raimi von Greengrass lernen können. Der eindeutig beste Actionfilm des Jahres!

Death Proof: Bestimmt nicht Tarantinos bester Film, dennoch verteufelt gut. Der erste Crash, der brillant zu Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich "Hold Tight" montiert ist, stellt für mich die beste Kinoszene des Jahres dar.

The Simpsons Movie: Das quietschende Spider-Pig siegt über den grausigen Spider-Man. Das lange Warten auf den Film hat sich gelohnt. Ich zähle die Tage bis zum Sequel.

Bobby: Ein im Trubel um die Blockbuster untergegangenes Juwel von Darsteller/Regisseur Emilio Estevez. Unaufgeregt, atmosphärisch und mit Liebe für die Figuren geben sich hier die Stars die Klinke in die Hand.

Stuck: Stuart Gordons intelligente Fabel über Ehrgeiz, Angst und den menschlichen Überlebenswillen. Mena Suvari und Stephen Rea glänzen in den Hauptrollen.

Bug: Friedkin is back. Und das ausgerechnet mit einem eindringlichen Kammerspiel.

Mr. Brooks: Neben Stuck der beste Film des diesjährigen FFFs. Kevin Costner war lange nicht so gut. Die Dialoge mit William Hurt als seinem Alter Ego gehören zu den schönsten Momenten des diesjährigen Kinojahres.


Die Guten und Mittelmäßigen


Die Hard 4.0: Zweitbester Actionfilm des Jahres. Punkt.

The Wind that shakes the Barley: Strenggenommen ein Film aus dem Jahr 2006. Trotzdem: Mein Hang zu Ken-Loach-Filmen zwingt mich, ihn hier zu erwähnen. Ein kleines Meisterwerk, das in seiner Drastik jedoch im Gegensatz zu anderen seiner Filme für meinen Geschmack etwas zu didaktisch geraten ist.

The Queen: Famoses Familiendrama zu einem Thema, von dem ich glaubte, dass es mich nicht interessiert. Ich wurde eines besseren belehrt.

Hot Fuzz: Nach The Simpsons Movie die beste Komödie des Jahres. Mit Liebe zum Detail und selbstironischen Gastauftritten gelingt Pegg/Wright hier eine Steigerung zu Shaun of the Dead. Leider ist er jedoch in der Exposition etwas zu lang geraten.

Fracture: Überraschend smartes Katz- und Mausspiel zwischen Anthony Hopkins als Killer seiner Gattin und Ryan Gosling als versnobtem Staatsanwalt.

Zodiac: Spannend, finster, rätselhaft und doch zu lang geraten.

Harry Potter 5: Der schwächste Romanband erweist sich als mittelmäßiger Film.

Ratatouille: Spaßige Unterhaltung aus dem Hause Pixar. Wie immer: etwas zu infantil aber insgesamt netter als die anderen Animationsfilme.

Black Book: Mr. Verhoeven back in Holland. Aber der von mir sehr geschätzte Regisseur, erweist sich hier als echter "Klotsack". Historisch nicht uninteressant aber zu episodenhaft und hektisch inszeniert und mit Figuren bevölkert, die allesamt unsympathisch sind.

Mein Führer: Umstritten aber hat nicht die Ablehnung verdient, die man ihm entgegenbringt. Mutig in der Art und Weise, wie er Hitler verharmlost.

The Prestige: Ein rundum solider Film. Aber das ist zu wenig für einen Mr. Nolan. Schade.

Rocky Balboa: Launiger Altherrenfilm, reifer als alle anderen Teile zusammengenommen.

Knocked Up: Spaßig und nicht so niveaulos wie einem der Trailer zunächst Glauben macht.

Archangel: TV-Produktion aus dem Jahr 2005, die erst dieses Jahr in Deutschland gelandet ist. Fesselnder Polit-Thriller über einen englischen Historiker (Daniel Craig), der im eisigen Russland auf den Spuren eines politischen Geheimnisses ist.

Free Rainer: Wundervoll in seinem euphorischen Idealismus wie er nur auf der Leinwand funktioniert. Man verzeiht gerne Schwächen in der Dramaturgie, wenn mit solch einer Inbrunst für gutes Fernsehen gekämpft wird. Free Rainer ist zwar ein Märchen, das zentrale Thema betrifft uns jedoch alle, ist nahe an der Realität und hätte schon längst aufgegriffen werden müssen. Regisseur Hans Weingartner schlägt einem hier, wie schon in Die fetten Jahre sind vorbei, eine Wertekeule um die Ohren. Das ist Kino, das tatsächlich noch glaubt, es könne Menschen zum Guten erziehen. Auch wenn dem nicht so ist, es ist der Versuch, der zählt.


Die Enttäuschenden und Grottigen


Truands: Nach dem Spinnenmann die größte Enttäuschung des Jahres. Als Fan von Frederic Schoedoerffers bislang sehr überschaubarem filmischen Oeuvre ein schmerzvoller Tiefschlag. Sicherlich bedeutend besser als das, was gleich noch folgen wird, das täuscht aber nicht über die Durchschnittlichkeit dieses Werkes hinweg.

Sunshine: Danny Boyle erliegt dem Sonnenwahn und geilt sich ohne über Figuren, Dramaturgie oder wissenschaftliche Glaubwürdigkeit nachzudenken an der Optik auf. Das ist für einen Herrn Boyle eindeutig zu wenig. Setzen, sechs!

300: Der altgriechische Tuntentanz überzeugt anfangs durch seine interessante Optik, doch schnell merkt man, wie selbstverliebt und unreflektiert das alles vom geistigen Tiefflieger Zack Snyder in Szene gesetzt worden ist.

Spider-Man 3: Eindeutig die größte Enttäuschung des Jahres. Sam Raimis Tiefpunkt. Hohl, langweilig, kitschig, nicht nur zu lang, sondern vollkommen überflüssig.

Shrek the Third
: Was ist grün und stinkt nach Kommerz? Shrek ist spätestens seit Teil zwei zu dem geworden, was er in Teil eins noch leidlich unterhaltsam durch den Kakao gezogen hat. Teil 3 ist der Gipfel der Dämlichkeit. Ich weiß nicht einmal, warum ich ihn mir überhaupt angesehen habe.

Disturbia: LaPuff als nervende Teenie-Variante von Jimmy Stewart. Peinlich, flach und größtenteils unspannend.

Pirates of the Caribbean: At World's End: Hat jemand die Handlung am Ende der Welt gefunden?

Ocean's Thirteen: Zwar nicht so grottig wie sein Vorgänger aber trotzdem weit jenseits eines guten Films.

Neues vom Wixxer: Nicht mehr so originell wie der Vorgänger, sondern einfach nur noch niveaulos und doof. Darüber täuschen auch nicht die zahlreichen Gastauftritte hinweg. Schade, habe ich von Kalkofe doch mehr erwartet.

4: Rise of the Silver Surfer: Teil 1 war schlecht, Teil 2 ist schlechter, Teil 3 wird sicherlich...

Transformers
: Kawumm, kawumm, der Bay ist dumm.


Bleibt abschließend noch kurz und weinerlich anzumerken, dass es Redacted dieses Jahr leider nicht mehr in die deutschen Kinos geschafft hat. Wie gerne hätte ich De Palmas aktuellen Film einmal auf der großen Leinwand gesehen.

Eastern Promises steht dieses Jahr noch aus, kann aber notfalls in der Kommentarspalte nachgereicht werden.

2008 kann also kommen...

Donnerstag, Dezember 20, 2007

Ten Minutes Older: The Trumpet


"15 Regisseur, 15 Visionen" ist der Leitspruch des Kurzfilmprojekts Ten Minutes Older. Nachdem ich die ersten acht Beiträge, die unter dem Titel The Cello zusammengefasst sind, bereits besprochen habe, möchte ich mich nun den verbleibenden sieben Filmen widmen, die von behaglichen Trompetentönen (The Trumpet) ummantelt sind.

Die Reihe beginnt mit Aki Kaurismäkis Dogs have no Hell, einem etwas rätselhaften Kurzfilm über einen Aussteiger, der seiner Geliebten kurzerhand einen Heiratsantrag macht, um mit ihr den nächsten Zug in Richtung sibirischer Ölfelder zu nehmen. Er meint, dort glücklich werden zu können. Von launiger Rockmusik begleitet und kaurismäki-like mit einem humorigen Unterton versehen, kann Dogs have no Hell insgesamt wegen der verschlossenen Hauptfigur, die sich nur bedingt als Identifikationsfigur eignet, leider nur leidlich unterhalten.

In Lifeline malt Regisseur Victor Erice ein Schwarzweißgemälde: An einem heißen Junitag im Kriegsjahr 1940 arbeiten die Bediensteten eines spanischen Landhauses fleißig, während sich die Landgutbesitzer bei der Siesta erholen. Doch ein schlafendes Baby beginnt plötzlich zu bluten, die Idylle droht zu zerbrechen. Ein stimmungsvoll montiertes, prächtig ausgeleuchtetes Highlight dieser Kurzfilmanthologie.

Werner Herzog berichtet im dokumentarisch angelegten Ten Thousand Years Older vom letzten brasilianischen Urvolk, den Uru Eu Wan Wans, die 1981 ungefragt vom Steinzeitalter in die moderne Zivilisation gerissen wurden. Die meisten von ihnen starben innerhalb kurzer Zeit durch die Windpocken oder eine gewöhnliche Erkältung - bis dato unbekannte Krankheiten in dieser Population. Herzog besucht zwei der letzten Überlebenden dieses Regenwald-Stammes 20 Jahre nach dem Erstkontakt. Eine faszinierende Kurzdokumentation.

Chloë Sevigny spielt in Jim Jarmuschs Int. Trailer. Night. eine Schauspielerin, die in ihrem Trailer zehn Minuten warten muss. Sie telefoniert, hört eine CD, Leute der Filmcrew klopfen ständig an die Tür, nerven sie kurz, sie versucht freundlich zu bleiben, muss quasi während der Drehpause eine andere Rolle spielen. Letztlich gelingt es Jarmusch leider nicht, dem scheinbar banalen Thema des Wartens eine bedeutsame Ebene abzugewinnen, wie es beispielsweise Ernest Hemingway wundervoll in seiner Kurzgeschichte A Clean, Well-Lighted Place schafft. Der Beitrag sticht dennoch aus der Reihe hervor, weil er das Nichtstun, den Leelauf beschreibt und sich keinen Schlüsselmoment in der Biographie eines Menschen heraussucht.

Twelve Miles to Trona von Wim Wenders zeigt einen jungen Mann beim Versuch, rechtzeitig ein Krankenhaus zu erreichen, bevor die versehentlich verspeisten Drogen zu wirken beginnen. Ein smarter Film über den Wunsch nach Kontrolle und das Nichtloslassenkönnen.

Spike Lee erzählt in We Wuz Robbed die Begebenheiten rund um Bushs Wahlsieg nach, wie Al Gore bereits gratulieren wollte, sich dann aber herausstellte, dass etwas faul ist im Staate Florida. Für Leute, die Michael Moores Fahrenheit 9/11 kennen, wirkt Lees Kurzfilm formal öde und inhaltlich redundant.

Mit Chen Kaiges Märchen 100 Flowers Hidden Deep endet The Trumpet auf einer lustigen Note: Umzugshelfer in Peking sollen beim Transport unsichtbarer Möbel helfen. Ein launiger Beitrag, der das Projekt zu einem gelungenen Abschluss bringt.



Sonntag, Dezember 16, 2007

Redacted ab Februar auf DVD

DVDactive hat den Veröffentlichungstermin von Brian De Palmas aktuellem Film bekanntgegeben. Am 19. Februar erscheint die RC-1 DVD inklusive einiger Extras:

Higher Definition: Redacted episode
Behind the scenes featurette
Refugee interviews
Photo gallery

Über einen etwaigen deutschen Kinostarttermin gibt es derzeit keine Informationen. Dafür läuft er laut der imdb Anfang nächsten Jahres in Spanien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich an. Vielleicht werde ich dann für ein Wochenende nach London fliegen...

Montag, Dezember 10, 2007

Ten Minutes Older: The Cello


"15 Regisseure, 15 Visionen" heißt es auf dem Cover der Doppel-DVD zur Kurzfilmsammlung Ten Minutes Older. In zwei Blöcke hat man die jeweils exakt 10-minütigen Beiträge solch namhafter Regisseure wie Jean-Luc Godard, Jim Jarmusch oder Bernardo Bertolucci geteilt: The Cello und The Trumpet. Das übergreifende Thema aller Kurzfilme ist die Zeit.

Das Gesamtresultat überzeugt schon wegen seines gewaltigen künstlerischen Spektrums. Welch unterschiedliche Ideen hier trotz der identischen Vorgaben in noch unterschiedlichere filmische Formen gegossen wurden - das muss auch den abgebrühtesten Arthouse-Hasser verblüffen. Das heißt allerdings nicht, dass jeder Kurzfilm tatsächlich überzeugt. Aber selbst die schwächeren oder misslungenen Beiträge grenzen sich rein optisch stets grundlegend von den anderen Filmen ab. Tom Tykwer hat einmal gesagt, er möge Filme, die nach dem Regisseur riechen. In Ten Minutes Older verströmt jeder Filmemacher seine eigene Duftnote.

Zu den einzelnen Filmen:

Histoire d'eaux erzählt in Schwarzweiß von einem Flüchtling, der sich in Italien wiederfindet und von einem Guru zum Wasserholen geschickt wird. Dabei lernt er seine zukünftige Frau kennen. - Bernardo Bertolucci führt Zeit dank einer wunderschönen Pointe ad absurdum, regt zum Nachdenken an und macht einem gleich zum Auftakt dieser Reihe klar: Wenn man ernsthaft anfängt über Zeit nachzudenken, wird es schnell unlogisch.

About Time-2 von Mike Figgis ist ein Splitscreen-Experiment, das grandios scheitert. Selbstverliebt, absichtlich unverständlich und auf angestrengt künstlerisch getrimmt, scheint dies offenbar der Versuch einer Medienkritik zu sein. Da ich mir aber nicht anmaße, Figgis' Fantastereien verstanden zu haben, kann ich mit meiner Interpretation auch daneben liegen.

One Moment von Jirí Menzel ist eine Collage aus der Filmographie des tschechischen Schauspielers Rudolf Hrusínský, der bereits acht Jahre vor dem Ten-Minutes-Older-Projekt verstorben war. - Ein unterm Apfelbaum liegender alter Mann träumt von seiner Jugend, seinen ersten amourösen Abenteuern, seinen Sternstunden im Leben. Sehr stimmungsvoll trägt uns Menzel ohne Worte ein zehnminütiges Filmgedicht vor, das vom Klangteppich einer fantastischen Klavierbegleitung getragen wird.

In Ten Minutes After verwöhnt uns der ungarische Regisseur István Szabó mit einem exzellent choreographierten One-shot. - Anstelle sich über die reichlich gedeckte Tafel zu freuen, die ihm seine Frau auffährt, provoziert der besoffen zu Hause eintrudelnde Gatte einen Streit, der damit endet, dass er versehentlich vom langen Tortenmesser niedergestreckt wird. Eine toll gefilmte Fabel über die Binsenweisheit, dass nur wenige Minuten das Leben eines Menschen komplett auf den Kopf stellen können.

Claire Denis legt mit Vers Nancy die zweite Grotte der Filmreihe vor: Ein Interview in einem fahrenden Zug. Ein älterer Mann gibt rechte Soße in schlau verpackten Sätzen von sich. Dröge, langweilig und ohne funktionierende Pointe.

Volker Schlöndorff kann hingegen mit The Englightenment begeistern! Aus der Perspektive einer Fliege gefilmt, die im Voiceover über die Gedanken des Augustinus von Hippo zur Zeit reflektiert, schwirren wir über das Grillfest einer deutschen Familie an einem sommerlichen See. Neonazis tauchen dort auf, es herrscht Spannung zwischen einer schwangeren Frau und ihrem schwarzen Liebhaber. Vieles wird angeschnitten, nichts wirklich erklärt. Der Zuschauer nimmt wie die Fliege nur Bruchstücke wahr. Ein faszinierender Film, sowohl stilistisch als auch inhaltlich.

In Michael Radfords Addicted to the Stars tritt Daniel Craig eine Zeitreise an, die zehn Minuten dauert. Als er im Jahr 2146 landet, kommt er gerade noch rechtzeitig, um seinen Sohn als alten Mann zu sehen. Stimmungsvoll führt uns Radford die emotionalen Konsequenzen einer Zeitreise vor. Die einzige Möglichkeit, damit umzugehen, so wird suggeriert, ist sich emotional abzustumpfen. Eine packende Dystopie.

Zu guter Letzt präsentiert Jean-Luc Godard eine Collage >letzter Minuten<, die er Dans le noir nennt. In ihrer aufgesetzten Künstlichkeit lassen einen diese mitunter heftigen Bilder kalt. Es wird keine emotionale Bindung zum Zuschauer hergestellt. Geht auch gar nicht, weil die einzelnen Schnipsel nur wenige Sekunden lang sind und fragmentarisch für sich selbst stehen, nur zusammengehalten durch die auf großen Gehalt deutenden Zwischentitel wie "Die letzten Minuten der Liebe" oder "Die letzten Minuten der Stille" - ich hoffe, das waren die letzten missglückten Minuten des Filmemachers Godard!

Samstag, Dezember 08, 2007

Film noirs: Die Top 50

Nach über einem halben Jahr Kurzbesprechungen ist es an der Zeit innezuhalten und zurückzublicken auf das, was bisher behandelt wurde. In Form einer Top 50 Bestenliste gibt es hier nun also meine persönliche Rangliste der vorgestellten Noirs (Einschränkung: drei Filme werden genannt, die ich bislang noch nicht besprochen habe). Die Rubrik wird in den nächsten Monaten fortgeführt. Zwar bezweifle ich, dass jemals die magische Marke "100" geknackt wird - 75 Film noirs sind aber realistisch.

Without further ado: Die 50 besten Film noirs auf der bekannten Hundertpunkteskala:


Double Indemnity
100
Sunset Blvd. 95
Out of the Past 90
The Killing 88
Strangers on a Train 86
Laura 85
Night of the Hunter 85
The Killers (1946) 83
Rififi 82
Touch of Evil (DC) 81
White Heat 81
The Big Sleep 80
Force of Evil 79
Night and the City 78
The Sweet Smell of Success 77
The Strange Love of Martha Ivers 77
The Big Heat 76
Kiss Me Deadly 76
Black Angel 75
Raw Deal 75
Scarlet Street 74
Mildred Pierce 74
The Naked Kiss 73
Pickup on South Street 73
Dark Passage 73
This Gun for Hire 73
Notorious 72
Key Largo 72
The Big Combo 72
The Lady from Shanghai 71
Gun Crazy 70
In a Lonely Place 70
Detour 69
Bunny Lake is Missing 69
The Maltese Falcon 68
Gilda 68
The Postman Always Rings Twice 68
Murder, My Sweet 67
Fallen Angel 67
T-Men 66
Asphalt Jungle 65
High Sierra 65
The Dark Corner 64
The Blue Dahlia 63
Lady in the Lake 63
Ace in the Hole 62
Shadow of a Doubt 60
Trapped 58
He Walked by Night 55
Whistle Stop 45

Donnerstag, Dezember 06, 2007

Hitchcock-Hommage: The Key to Reserva

Martin Scorsese hat einen feinen Werbefilm für die Billigsektmarke Freixenet gedreht. Ironisch und mit Liebe zum Detail verquirlt er in diesem Kurzfilm eine Vielzahl Hitchcockscher Zutaten: Vom MacGuffin über die kühle Blonde bis hin zur Vogelplage - der Film wimmelt von (zugegeben: platten) Anspielungen auf Hitchcocks Werk. Eingebettet ist der Kurzfilm in ein Pseudo-Making-Of. Warum sieht Werbung nicht häufiger so aus?

Samstag, Dezember 01, 2007

Film noirs in Kürze: Garnett & Preminger

The Postman Always Rings Twice basiert auf einem Roman von James M. Cain und handelt ähnlich wie in Double Indemnity von einem Mordkomplott zweier frisch Verliebter, die sich dem Ehemann der Frau entledigen wollen. Doch natürlich läuft dabei nichts nach Plan. - Lana Turner gibt die bildschöne Femme fatale. Im Mittelteil kämpft The Postman Always Rings Twice mit einigen Längen. Dennoch handelt es sich hierbei zweifelsohne um das Highlight in der Karriere von Regisseur Tay Garnett. Er versteht es mehrfach, auch dank eines exzellenten Schnitts, Szenen von unglaublicher Spannung zu erzeugen. Die unterschwellige erotische Abhängigkeit des Liebhabers von der Femme fatale fängt Garnett mit suggestiven Kamerabewegungen und einer leicht zu entschlüsselnden Symbolik ein. Das 1981er-Remake mit Jack Nicholson und Jessica Lange ist genau deshalb nicht so gut wie das Original von 1946, denn gerade in der kunstvollen Verwendung von Andeutungen verbirgt sich die Qualität dieses Films und des Film noir allgemein.
68 Punkte.


Bunny Lake is Missing ist kein Film noir, vielleicht nicht einmal ein Neo Noir. Und dennoch führe ich ihn in dieser Liste, weil er eindeutig durch den Noir-Stil beeinflusst worden ist. Gerade die strenge Schwarzweißfotografie, die Preminger hier streckenweise mit einem gotischen Flair verknüpft, lässt diesen kafkaesken Albtraum einer Mutter, die nach ihrer verschwundenen Tochter sucht, zu einem düsteren Nachzügler der Schwarzen Serie werden. Laurence Olivier ist als Inspektor Newhouse vielleicht nicht in seiner stärksten Performance zu bewundern, trotzdem verleiht er dieser Geschichte, die vor zwei Jahren in Flightplan mainstreamtauglich variiert worden ist, die nötige Glaubwürdigkeit, die dem Jodie-Foster-Film fehlt. Die großartige Ausstattung und vor allem Martita Hunt als verschrobene alte Kinderpsychologin machen Bunny Lake is Missing neben der routinierten Inszenierung Otto Premingers zu einem kleinen Leckerbissen, der sich nahtlos in die Filme seiner Zeit einreiht, auch wenn er bei weitem nicht so radikal die Tabugrenzen attackiert, wie es Peeping Tom oder Psycho taten. Warten wir das Remake unter der Regie von Joe Carnahan ab, das uns 2009 in den Kinos beglücken wird.
69 Punkte.

Freitag, November 23, 2007

Ein fliehendes Pferd (1985)

Im September gelangte die zweite Verfilmung einer mittlerweile schon klassischen Abiturlektüre in deutsche Kinos: Ein fliehendes Pferd. Im Folgenden soll es jedoch nicht um diese aktuelle Adaption gehen, sondern um die 80 Minuten kurze TV-Version von Regisseur Peter Beauvais. Beauvais verfilmte Martin Walsers Novelle bereits Mitte der 80er Jahre. Walser betonte in diversen Interviews, wie sehr ihm die neue Umsetzung gefalle und für wie misslungen er Beauvais' Adaption halte. Ob Walser in Bezug auf die 2007er-Version Recht hat, kann ich (noch) nicht beurteilen. Dass die Erstfassung jedoch nichts taugt, stimmt vollkommen!

Warum? Man hat in jeder Minute das Gefühl, es handele sich um eine fürs Schulfernsehen zügig zusammengezimmerte Inszenierung, die nur darauf wert legt, die Handlung einigermaßen werktreu abzufilmen. Eine eigene Interpretation des Stoffs, eine echte filmische Auseinandersetzung mit der Vorlage findet nicht statt. Beauvais versucht erst gar nicht, Bilder zu finden, die das Innere von Helmut Halm (Vadim Glowna) im Medium Film veranschaulichen.

Helmut und Sabine Halm.

Der introvertierte Oberstudienrat Halm, der mit seiner Gattin Sabine (Rosel Zech) im Urlaub am Bodensee seinen ehemaligen Schulfreund und Kommilitonen Klaus Buch (Joachim Dietmar Mues) mit seiner deutlich jüngeren, attraktiven Frau Helene (Marita Marschall) trifft und durch diese Begegnung gezwungen wird, sich mit seinen Lebensängsten auseinanderzusetzen, wird von Glowna mit zu dick aufgetragener Mimik gespielt. Das widerspricht der Novellenfigur, die stets versucht, ihr wahres Gesicht zu verschleiern. Halm darf dann auch brav seine Gedanken in einem langen Selbstgespräch verbalisieren - ein solches Fernsehtheater macht's dem Regisseur schließlich schön einfach, denn so braucht er erst gar nicht über solch anstrengende Dinge wie Verbildlichungen nachzudenken.

Mögen das "Federn" im Bett: Klaus und Helene Buch.

Halm, aus dessen Perspektive sich die Novelle entfaltet, ist also nur ein blasses Abziehbild der literarischen Figur. Anders verhält es sich hingegen mit Klaus Buch: Der agile aber unter gehörigen Selbstzweifeln leidende Journalist wird von Joachim Dietmar Mues treffend verkörpert (zugegebenermaßen ist dies jedoch auch die für einen Schauspieler einfachere, weil zugänglichere Figur). Ebenso Marita Marschall als Klaus Buchs "Trophäen-Frau" Helene kann überzeugen. Rosel Zech als Sabine sagt hingegen ihre Sätze des Öfteren auf, als stünde sie auf den morschen Bühnenbrettern eines zweitklassigen Theaters. Doch das scheint auf Beauvais' Regieanweisungen zurückzuführen zu sein. Und so wundert es auch nicht, dass der dramatische Höhepunkt, eine Segelpartie von Helmut und Klaus, dermaßen stümperhaft inszeniert ist, dass man den Grund für Klaus' Sturz über Bord kaum mitbekommt. Und damit diese ideenlose Umarbeitung einer großartigen Vorlage auch problemlos in eine Doppelstunde Deutsch passt, kürzt man Helenes Rede am Ende dermaßen zusammen, dass man ihren Ausführungen kaum noch folgen kann und sie deshalb fälschlicherweise für ein geistig verwirrtes Dummerchen halten muss.

Kurzum handelt es sich bei dieser Version von Ein fliehendes Pferd um ein zum großen Teil zwar werktreues aber insgesamt ohne jegliche Kreativität abgefilmtes Schlamassel: Die in der Novelle vielschichtig angelegte Hauptfigur wirkt hölzern, die Kamera ist starr und einfallslos, die Kostüme führen einem die geschmacklichen Verirrungen der 80er Jahre vor Augen und die musikalische Begleitung beschränkt sich auf Klaviergeklimper, wie man es aus Hörspielen der 70er Jahre kennt. Die Neuverfilmung kann eigentlich nur besser sein!

Donnerstag, November 15, 2007

OT: O2 can't do

Alle schimpfen gerne über die Telekom. Ich schimpfe seit Anfang des Monats über O2. Am 1.11. sollte nämlich meine neue O2-DSL-Leitung stehen, doppelt geflattet für Internet und Festnetz. Derzeit sieht es danach aus, als würde mein Anschluss am 28.11. endlich freigeschaltet. Angemeldet habe ich mich bereits am 12.10. Sollte es mit dem 28.11. tatsächlich klappen, hätte das Telekommunikationsunternehmen meiner Wahl schlappe anderthalb Monate benötigt, um mich an die virtuelle Welt anzuschließen. Das erinnert an Wartezeiten, wie sie in der DDR üblich waren. Die strahlend blaue Wasserblasenwelt, die O2 in der Hochglanzwerbung so gerne zur Schau stellt, hat also nichts mit der schnöden Realität zu tun. Doch der Reihe nach...

Man beachte das Sternchen hinterm Slogan!

Es begann damit, dass O2 meinen Auftrag vom 8. Oktober gleich wieder löschte, weil der Versand des zu liefernden DSL-Routers an eine Drittadresse (meine alte Wohnung war aufgelöst, die neue noch nicht bezogen, also sollte das Teil zu meinen Eltern geliefert werden) nicht möglich sei, da das nicht mit dem Postident-Verfahren harmonieren würde. Konsequenz: Ich durfte das langwierige Anmeldeprozedere auf der O2-Homepage vier Tage nach meiner Erstanmeldung ein weiteres Mal durchlaufen. Ironie: Als der Router schließlich an meine neue Adresse geliefert wurde, geschah dies ohne Postident.

Der vierseitige Ausdruck meiner Kundendaten lag dann auch dem Päckchen mit dem Router bei. Doch siehe da: Der Wunschtermin für die Freischaltung hatte sich geändert: Nun wünschte ich angeblich die Freischaltung am 11.11. Doch am 11.11. blieb mein Telefon stumm. Nichts mit Freischaltung.

Am Vormittag des 12.11. versuchte die Telekom mich unangemeldet zu besuchen, um an meiner TAE-Dose rumzufummeln. Ich war natürlich aushäusig. Konsequenz: Das Telefon blieb auch am 12.11. stumm. Ich solle einen neuen Termin mit meinem Telekommunikationsanbieter ausmachen, verriet mir ein Kärtchen, das ich im Briefkasten fand.

"Warten Sie zwei Tage, bevor Sie einen neuen Termin vereinbaren. Manchmal merken die Telekommitarbeiter doch noch, dass sie gar nicht an die TAE-Dose ranmüssen." So klärte mich ein freundlicher O2-Callcenter-Mensch auf. Zwei Tage später war die Leitung selbstverständlich nicht freigeschaltet. Frühestmöglicher Termin für eine erneuten Besuch der Telekommafia: In zwölf Tagen zwischen 8 und 14 Uhr. Die Zeit kann nicht genauer bestimmt werden. Das nenne ich Service!

Weniger tragisch aber ein weiteres Steinchen in diesem Mosaik der Unzulänglichkeiten: Der Willkommensbrief mit meinen neuen Rufnummern und meinem Passwort für den Router kam nie bei mir an und musste ein weiteres Mal verschickt werden. Immerhin kenne ich nun schon meine zukünftigen Telefonnummern.

Doch der Hammer kommt zum Schluss: Ich bin bereits O2-Kunde, besitze einen Loop-Vertrag, darf damit aber nicht die für andere O2-Kunden kostenlose Servicehotline von O2 anrufen, sondern muss die teure 0180-Nummer wählen. Die diversen Telefonate mit O2 haben mich in der Zwischenzeit ca. 15 Euro gekostet. Das heißt im Klartext: Ich darf für die Inkompetenz von O2 und Telekom auch noch kräftig zahlen. 15 Euro dafür, dass das, was eigentlich seit dem 1.11. funktionieren sollte, nicht funktioniert.

Ratschlag an alle, die das lesen: Nicht zu O2 wechseln!

Ich stoße nun täglich Stoßgebete gen Himmel, Ende des Monats möge mein Anschluss tatsächlich stehen. Doch es gilt ja noch die Hürden der O2-Software und der Programmierung des Routers zu nehmen. Bis dahin wird dieser Blog vermutlich still bleiben.

O2 bittet übrigens um Feedback von Neukunden. Ein Evaluationszettel lag dem Willkommensbrief bei - zu faxen an eine 0180-Nummer...

Mittwoch, Oktober 17, 2007

127 Posts später: Einjähriges Bestehen

Wie schnell doch die Zeit vergeht! Heute vor einem Jahr gründete ich diesen Blog. Voller Enthusiasmus wollte ich einen DVD-Vergleich à la DVD Beaver zwischen der deutschen Der Tod kommt zweimal und der damals frisch erschienenen amerikanischen Body Double DVD veröffentlichen. Stundenlang quälte ich mich damit ab, eine Vergleichstabelle zu erstellen. Vergeblich. Zum Jubiläum habe ich diesen ursprünglich technisch recht komplizierten Post noch einmal überarbeitet und vereinfacht: Die Vergleichsbilder sind jetzt nur noch extern abrufbar, weil sie im Blog in der Originalgröße nur verfälscht darstellbar waren.

Leider gibt es auch eine schlechte Nachricht: Durch meinen bevorstehenden Umzug von Berlin nach Niedersachsen habe ich momentan eine Menge um die Ohren. Darunter hat der gute Blog erheblich gelitten, wie die Anzahl der Posts des Monats Oktober verdeutlicht. Da ich im November mein Referendariat antrete, wird es in Zukunft vermutlich seltener zu neuen Posts kommen. Vielleicht werde ich hin und wieder Kurzkritiken im Stile von Rajkos "Kurzschluss"- oder Clerics "Kurz mal abgehakt"-Rubrik veröffentlichen.

Als ich vor einem Jahr anfing, schoss mir die Frage durch den Kopf: Wie lange wirst du diesen Blog wohl betreiben? Heute hoffe ich, dass ich mindestens ein weiteres Jahr die Zeit finden werde, mir hier Abwechslung und geistige Erholung zu verschaffen...

Dienstag, Oktober 16, 2007

Dawkins' Gotteswahn

Nun berichtete auch Kulturzeit über Richard Dawkins' Der Gotteswahn. Der Bestseller hat sich in den vergangenen Wochen in die Top Ten der amazon-Verkaufscharts gearbeitet. Ich hoffe, dass ich demnächst die Zeit finde, das Buch zu lesen...

Sonntag, September 30, 2007

S.O.B.

S.O.B.s witzigster Moment ist leise und kurz: Die unter Drogen gesetzte Hauptdarstellerin (Julie Andrews) wird auf dem Set kurz vor Drehbeginn von zwei Make-up-Leuten bearbeitet und stimmt sich währenddessen auf die bevorstehende Nacktszene ein, indem sie mit sanft-lasziver Stimme singt: There are only five bullets in my old six-shooter cos I had to say goodbye to Mooonaaaa. - Wie aus dieser Beschreibung schon ersichtlich wird, handelt es sich bei S.O.B. um einen Film übers Filmemachen. Eine Materie, das weiß man spätestens seit The Player und Living in Oblivion, der man durchaus Amüsantes abgewinnen kann. Doch leider verpuffen in S.O.B. viele Gags, kämpft der Film grundsätzlich mit seinem Tempo und ist mit 121 Minuten eindeutig zu lang geraten.

Regielegende Blake Edwards (The Pink Panther) drehte S.O.B. im Jahr 1981. Die Besetzung kann einem die Schuhe ausziehen: Da spielen solche Größen wie William Holden, Julie Andrews und Robert Vaughn neben B-Filmgrößen wie Robert Loggia und Rosanna Arquette. Ein TV-Gigant wie Larry Hagman gibt sich in einer Nebenrolle ebenso die Ehre wie Joe Penny, einem Hauptdarsteller der 80er Jahre B-Actionserie "Trio mit vier Fäusten" (aka Riptide). Ein wahrlich seltsames Ensemble also, welches allerdings in seiner Bandbreite wunderbar zum Sujet des Films passt.

S.O.B. erzählt vom Erfolgsproduzenten Felix Farmer (Richard Mulligan), der nach etlichen Kassenhits seinen ersten Flop (ein familientaugliches Musical) abliefert. Schwer depressiv versucht Farmer, sich nun mehrfach vergeblich das Leben zu nehmen. Dann durchfährt ihn ein Geistesblitz: Der Film sei noch zu retten, wenn man ihn in einen Sexfilm umwandeln würde.

Julie Andrews gibt die Hauptdarstellerin und Ehefrau Farmers, einen Hollywood-Superstar, der sich nach dümmlichen Musicaltänzchen auf einmal gezwungen sieht, oben ohne über die Bühne zu hüpfen. Aus dem inneren Konflikt der Aktrice entsteht die oben erwähnte Szene.

S.O.B. will in erster Linie eine Hollywoodsatire sein. Edwards zieht hier sämtliche Facetten des Showbiz durch den Kakao: Eitle Studiobosse mit Doppelmoral, raffgierige Rechtsanwälte, eigensinnige Agenten, penetrante Klatschreporter - S.O.B. bedient jedes Klischee, das man von Hollywood hat, walzt es geradezu aus und zerstört dadurch leider auch viele Gags. Gerade im letzten Akt, als eine Leiche aus einem Bestattungsunternehmen stibitzt werden soll, zieht sich S.O.B. bedenklich in die Länge. Aus heutiger Sicht ist es wohl sicher zu sagen, dass auf dem Film eine Patina liegt, er also nicht gut gealtert ist. Die Komödie wurde aber auch schon zur Zeit ihrer Veröffentlichung ambivalent aufgenommen. So gab es neben einer Golden Globe Nominierung in der Sparte Komödie/Musical auch zwei Razzie-Nominierungen (Drehbuch und Regie). Trotz all dieser Gegensätze erklärt Blake Edwards' Abrechnung mit Hollywood, die ihm augenscheinlich sehr am Herzen lag, was eine große Hollywoodproduktion letztlich immer ist: Standard Operational Bullshit.

Mittwoch, September 26, 2007

Deadwood

Deadwood macht es einem nicht leicht, wenn man Nicht-Muttersprachler ist und gerne Originalversionen guckt. Als ich etwa die Hälfte der ersten Staffel gesehen hatte, war ich deshalb drauf und dran, diese HBO-Westernserie abzusetzen. Doch dann realisierte ich, dass ich bereits einige der Figuren zu sehr ins Herz geschlossen hatte, um getrost auf den Rest verzichten zu können, auch wenn das bedeuten sollte, gewisse Feinheiten nicht mitzubekommen. Ironischerweise verstehe ich problemlos die gebildeten Figuren, die in der Serie auftauchen, und die von den Charakteren ohne Bildung aufgrund ihrer Sprache teilweise nicht verstanden werden. Westernslang und obsoletes Vokabular sorgen für Verständnisprobleme, verleihen Deadwoods oftmals musikalischen Dialogen einen barocken Touch. Während es bei den Sopranos genügt, einige Mafia-Vokabeln zu kennen (die HBO auf der offiziellen Website hilfsbereiterweise sogar auflistet), muss man bei Deadwood mit Shakespeare-Englisch, Westernslang und Kraftausdrücken der Gegenwart gleichermaßen vertraut sein. Hinzu kommt die im Bourbonrausch vernuschelte Aussprache einiger Figuren.

Wen diese einleitenden Zeilen nicht zu sehr abschrecken, dem sei gesagt: Deadwood ist ein Juwel von einer Serie. Die Authentizität, mit der das kleine Goldgräberkaff Deadwood gezeichnet wird, trifft den Zuschauer mit einer solchen Wucht, dass mir in diesem Zusammenhang das Wort "Realitätsschock" am angemessensten scheint. So abgewanzt, dreckig, modderig, schleimig, brutal und aufgrund dessen faszinierend ist der Wilde Westen noch nie gewesen. Ähnlich wie in Rome geht mit diesem hohen Wirklichkeitsanspruch ein zeitgemäßer Umgang mit der Materie einher. Das schlägt sich zum einen in der Verwendung übelster Schimpftiraden sowie einer nie dagewesenen Frauenfeindlichkeit und einem unverhohlenem Rassismus nieder, wie sie wohl nur im Bezahlfernsehen möglich sind. Zum anderen ist die Figuren- und Handlungsstruktur dermaßen komplex, wie man sie nur in Serien der Gegenwart oder in seitenreichen Romanen des Realismus finden wird. Das Kino ist nicht in der Lage, mit einer vergleichbaren Figurenanzahl in solch epischer Breite zu erzählen.

Doch worum geht es in Deadwood eigentlich? Deadwood setzt im Jahr 1876 ein. Der Ort Deadwood hat zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht den offiziellen Status einer Stadt, sondern ist ein Camp voller Abenteurer und Goldsucher, die vom Gerücht abgelockt werden, in den nahegelegenen Black Hills befänden sich Goldvorkommen. Zentraler Anlaufpunkt ist der Saloon des zwielichtigen Unternehmers und Zuhälters Al Swearengen (Ian McShane), der gewissermaßen als Chef des Lagers fungiert und seine Macht durch hilfreiche Muskelmänner auszuüben versteht. Der Ex-Sheriff Seth Bullock (Timothy Olyphant) möchte mit seinem Partner Sol Star (John Hawkes) einen Haushaltswarenladen eröffnen und gerät aus verschiedenen Gründen wiederholt mit Swearengen aneinander. Und die reiche Alma Garret (Molly Parker) ist plötzlich auf sich alleine gestellt, als Swearengen aus Profitgier den Mord an ihrem Ehemann veranlasst. Weiter möchte ich die komplexen Handlungsstränge nicht auseinanderklamüsern, nur noch darauf hinweisen, dass sowohl der Ort als auch einige der Charaktere historisch fundiert sind. Politik, Korruption, Liebe, Krankheit, Mord und Tod sind die Themen, um die die drei Staffeln kreisen.

Schauspielerisch befindet sich Deadwood wie alle HBO-Serien auf höchstem Niveau. Die Offenbarung für mich ist allerdings Ian McShane, der die ambivalente Figur des Al Swearengen mit einem solchen Nuancenreichtum spielt, der seine Mecker- und Schimpftiraden mit einer derartigen Leidenschaft ausspuckt, dass einem der Atem wegbleibt. Warum McShane 2005 lediglich eine Emmy-Nominierung erhalten hat, ist mir ein Rätsel.

Eine besondere Stellung im Camp nimmt der Doktor ein, der von Brad Dourif sehr liebenswert gespielt wird. Dourif übernimmt die leicht geduckte Körperhaltung von Wormtongue für Doc Cochran, ist aufgrund seines Jobs, der ihn zu allen Leuten des Ortes führt, gewissermaßen die einzig neutrale Person des Lagers. Da der Tod permanent wie eine Dunstglocke über Deadwood zu schweben scheint und Siechtum in etlichen Varianten durchgespielt wird (möglicherweise das heimliche Hauptthema der Serie), hat der einzige Arzt des Dorfes stets alle Hände voll zu tun. In der ersten Staffel hat der Doc beispielsweise mit dem Ausbruch der Pocken zu kämpfen.

Die offene Political Incorrectness hat Deadwood einige Kritik eingebracht. Dabei wird verkannt, dass die historisch durchaus korrekte Darstellung von Rassismus und Misogynie für den heutigen Zuschauer die Quelle eines einzigartigen Humors ist, der die Menschenverachtung und Stumpfsinnigkeit einer derartigen Weltanschauung plastisch vorführt. Die Dynamik zwischen den WASPs auf der einen Seite und den chinks, cocksuckers, niggas und cunts auf der anderen führt nur selten zu handfesten Auseinandersetzungen zwischen den Figuren, jedoch regelmäßig zu schreiend komischen Dialogen. Dieser Link zu youtube zeigt ein typisches Zwiegespräch zwischen Al Swearengen und dem chinesischen Schweinezüchter (und des Englischen unkundigen) Woo, dessen Getier regelmäßig Deadwoods Leichen zu fressen bekommt und der sich hier über den Diebstahl seines Rauschgiftes durch weiße Banditen beschwert.

Zwei gesellschaftliche Außenseiter: 'Lil' Nigga General' und Calamity Jane

Abschließend bleibt mir nur noch darauf hinzuweisen, dass sich Deadwood zu Whisky verhält wie Sideways zu Wein: Man kommt als Whiskyfan regelmäßig in Versuchung, beim Zuschauen mitzutrinken. Hier wird so viel Bourbon verkonsumiert wie in kaum einem anderen Western. Allerdings zeigt Deadwood im Gegensatz zu Sideways auch die Schattenseiten des Saufens auf. Am deutlichsten wird dies durch die Rolle der Calamity Jane (Robin Weigert) zum Ausdruck gebracht, die in kaum einer Szene nüchtern ist.

Ob es eine vierte Staffel geben wird, steht wohl in den Sternen. Ich konnte im Internet kein offizielles Statement zu Einstellung beziehungsweise Fortsetzung der Serie finden.

Freitag, September 21, 2007

Gedrucktes: No Country for Old Men


Ende November startet in den USA der neue Film der Gebrüder Coen: No Country for Old Men. Der Film basiert auf dem 2005 veröffentlichten, gleichnamigen Roman von Cormac McCarthy. McCarthy ist seit Mitte der 60er Jahre als Autor tätig, bekannt wurde er jedoch erst in den 90er Jahren durch seine Border-Trilogie. Teil eins der Trilogie, All the Pretty Horses, erhielt etliche Literaturpreise und war wochenlang in Bestsellerlisten vertreten. Im Jahr 2000 adaptierte Billy Bob Thornton den Roman für die Leinwand.

Die Coens versuchen sich nun also an McCarthys recht jungem, gut 300 Seiten langem Prosawerk, das wie die Border-Trilogie die Handlung an der texanisch-mexikanischen Grenze ansiedelt. In No Country for Old Men verzahnt McCarthy die Perspektive dreier Figuren miteinander: Die eines Jägers, eines Gejagten und eines Fährtenlesers.

Der Vietnam-Veteran Llewellyn Moss stößt während der Antilopen-Jagd auf einige Pickup-Trucks voller Leichen und Heroin. Unweit davon entfernt liegt ein weiterer Toter mit einem Koffer voll Geld, den Moss an sich nimmt und flüchtet. Nun wird der Freizeitjäger und Ex-Soldat selbst zum Gejagten. Dabei ist es jedoch nicht die wie gelähmt erscheinende Polizei, vor der er sich fürchten muss, sondern es sind die Auftragskiller der zwei Parteien, deren Drogendeal schief gelaufen ist. Insbesondere der psychopathische Killer Chigurh, der seinen Opfern vorzugsweise mit einem Luftdruck-Schlachtinstrument das Hirn aus dem Schädel bläst, wird zur ernsthaften Bedrohung für Moss. Der alte Sheriff des zuständigen Südstaatenkaffs, Ed Tom Bell, dessen Reflexionen über sein Leben und die dramatischen Veränderungen der Welt jedes Kapitel melancholisch einleiten und dem Roman die Aura eines Abgesangs auf ein Südstaatenidyll verleihen, fungiert hier als Fährtenleser, der dem blutigen Pfad, den die Gangster quer durch die grenznahen Kleinstädte schlagen, nur folgen, ihm aber nicht Einhalt gebieten kann.

Die Verquickung der Perspektiven macht den Roman hochinteressant. Sie führt dem Leser auf beeindruckende Weise vor, wie sehr sich die Rollen ähneln, in denen sich die Figuren bewegen. McCarthy beschreibt nicht nur Suche und Flucht in schnörkellosen Sätzen, sondern auch den Stillstand und das quälende Warten. Immer wieder liegen die Figuren regungslos auf ihren Motelbetten, den Blick starr an die Decke gerichtet. - Es geht um die alte Frage, ob man sein Schicksal selbst verändern kann oder ob es eine lenkende Hand gibt, die unser Tun steuert. Moss durchfährt ein starkes Gefühl der Angst, kurz bevor er den Geldkoffer an sich nimmt. Er weiß um die möglichen Konsequenzen. Er tut es trotzdem. Den Sheriff quält ein Kriegserlebnis, das über dreißig Jahre zurückliegt, und für das er zu Unrecht einen Orden erhalten hat. Und der eiskalte Killer Chigurh ist ein Determinist reinsten Wassers. So erklärt er einem seiner Opfer: “When I came into your life your life was over. It had a beginning, a middle, and an end. This is the end. You can say that things could have turned out differently. That they could have been some other way. But what does that mean? They are not some other way. They are this way.”

No Country for Old Men ist über weite Strecken ein äußerst effektiv gestrickter Thriller. Man ist kaum in der Lage, das Buch auf den ersten 200 Seiten aus der Hand zu legen. Für mich eindeutig das Spannendste, was ich dieses Jahr bislang gelesen habe. Doch dann - so um die Seite 250 - endet die Thriller-Handlung sehr abrupt. Es folgen weitere Meditationen des Sheriffs, ein langes Gespräch zwischen ihm und seinem Onkel, Gedanken über den verstorbenen Vater. McCarthy möchte hier die philosophische Ebene vertiefen, die er durch die kapiteleinleitenden Gedankenströme bereits eingeführt hat. Leider funktioniert das nicht wie intendiert. Denn Sheriff Bell ist eine dröge, langweilige Figur, die aufgrund ihrer Unfähigkeit, die Geschehnisse um den Geldkoffer gezielt zu beeinflussen, in ihrer stetigen Grübelei prätentiös erscheint. McCarthy taumelt also nach einem fulminanten Start und einem nervenaufreibenden Mittelteil ins späte Finish.

Die Sprache aber macht den Roman trotz alledem sehr lesenswert. Zwar erzwingt McCarthy vom Leser permanente Aufmerksamkeit, indem er auf gängige Interpunktion verzichtet und auch Grammatik und Rechtschreibung in die Funktion des Lokalkolorits stellt. Das hat aber Dialoge zur Folge, die, selbst wenn man still liest, den Singsang des texanischen Slangs im Kopf zum Klingen bringen.

No Country for Old Men ist wie geschaffen für die Coens! Darf man dem Trailer trauen, hält sich die Verfilmung sehr an die Vorlage. Der Stoff wird sich großartig in das Coensche Filmuniversum einreihen. Denn wie die meisten ihrer Filme spielt No Country for Old Men nicht in der Gegenwart. Im Jahr 1980 nimmt die Handlung ihren Lauf. Es wird wohl der mit Abstand blutigste, ja vielleicht sogar erste wirklich gorige, Coenfilm. Und er wird einen literarischen Bezug haben, wie er bislang in fast jedem ihrer Filme zu finden war.

Dienstag, September 18, 2007

OT: Das Gottesvirus

Ein überaus lesens- und nachdenkenswerter Artikel befindet sich im heutigen Tagesspiegel: Das Gottesvirus. Bas Kast stellt das neue Buch vom bekannten Evolutionsbiologen Richard Dawkins vor. Titel: Der Gotteswahn. Dawkins vertritt in dieser Streitschrift die These, ein an Gott glaubender Mensch leide unter einer Art Psychose, von der er dringend geheilt werden müsse. In den USA längst ein Bestseller, befindet sich die gerade auf Deutsch erschienene Ausgabe derzeit immerhin schon auf Platz 16 in der amazon-Rangliste.

„Der Gott des Alten Testaments ist die unangenehmste Gestalt in der gesamten Literatur: Er ist eifersüchtig und auch noch stolz darauf; ein kleinlicher, ungerechter, nachtragender Überwachungsfanatiker; ein rachsüchtiger, blutrünstiger ethnischer Säuberer; ein frauenfeindlicher, homophober, rassistischer, Kinder und Völker mordender, ekliger, größenwahnsinniger, sadomasochistischer, launisch-boshafter Tyrann.“ Mit diesen versöhnlichen Worten beginnt Richard Dawkins das zweite Kapitel seines soeben auf Deutsch erschienenen Buchs „Der Gotteswahn“ (Ullstein, 576 Seiten, 22,90 Euro). Die Passage gehört zu den Lieblingsstellen des Autors. Oft fängt er seine Lesungen mit diesen Sätzen an, um, wie er sagt, „bei einem neuen Publikum das Eis zu brechen“.