Mittwoch, Oktober 18, 2006

Filmtipp: The Life and Death of Colonel Blimp


Ich bin erst vor kurzem auf die großartigen Filme von Michael Powell und Emeric Pressburger gestoßen. Zwar war mir das Duo Powell & Pressburger seit langem ein Begriff: Ich hätte sie filmgeschichtlich einordnen und ein oder zwei Filmtitel nennen können, gesehen hatte ich bis vor einigen Monaten jedoch noch keines ihrer Werke.

Powell und Pressburger drehten ihre wichtigsten Filme im England der 40er Jahre. Emeric Pressburger, ein Ungar, zeichnete dabei hauptsächlich für die Drehbücher verantwortlich, Michael Powell für die Regie. Sie sind auch unter dem Begriff The Archers bekannt - dem Namen ihrer Produktionsfirma.

The Life and Death of Colonel Blimp (deutscher Titel: Leben und Sterben des Colonel Blimp) stammt aus dem Jahr 1943 und ist der erste Film, den die beiden in Technicolor drehten. Der Streifen handelt vom Leben des britischen Oberklassen-Offiziers Clive Wynne-Candy (Roger Livesey). Während seines Fronturlaubs vom Burenkrieg erfährt Candy, dass in Deutschland anti-englische Propaganda geschürt wird. Wir befinden uns im Jahr 1902 und Candy begibt sich gegen den Befehl seines Vorgesetzten nach Berlin, um dieser Propaganda Einhalt zu gebieten. Dort lernt er die Englischlehrerin Edith (Deborah Kerr) kennen. Candy ist jedoch nicht in der Lage, seine Pläne umzusetzen, stattdessen löst er einen politischen Zwischenfall aus, der ihn zu einem Fechtduell mit dem preußischen Offizier Theo Kretschmar-Schuldorff (genial: Anton Walbrook) zwingt. Das Duell endet für die beiden Duellanten nicht tödllich. Die zwei verbringen im Anschluss einige Zeit zusammen in einer Rehaklinik, wo sie ihre Wunden kurieren und gute Freunde werden. Kretschmar-Schuldorff und Edith verlieben sich und werden ein Paar. Doch kurze Zeit später muss Candy sich eingestehen, dass auch er Edith liebt.

1902 (Candy - Edith - Theo)

Die zweite Station des Films bilden die Jahre 1918/19: Europa liegt in Trümmern. Am Abend des letzten Kriegstages trifft Candy auf die Krankenschwester Barbara (wieder Deborah Kerr). Theo ist in englische Kriegsgefangenschaft geraten und verbittert über die Niederlage Deutschlands. Auch Candy, den er für einen Abend sieht, kann diese Verbitterung nicht zerstreuen.
1918/19
Der dritte Akt spielt schließlich während des Zweiten Weltkriegs. Kretschmar-Schuldorff bemüht sich um Asyl in England. Edith, die seine Frau wurde, ist verstorben. Die zwei Kinder dieser Ehe sind im Gegensatz zum Vater treue Nazis. Zum dritten Mal in seinem Leben begegnen sich nun der Deutsche und der Engländer. Candy ist noch immer in der Armee tätig. Auch seine Gattin hat bereits das Zeitliche gesegnet. Doch eine weitere Doppelgängerin Ediths taucht in Form von Angela auf (Deborah Kerr in ihrer dritten Rolle). Dreh- und Angelpunkt dieses Zeitabschnitts ist eine Übung der Heimatwehr (Home Guard), die unter Candys Führung steht: Die Übung soll um Mitternacht beginnen, doch ein junger Lieutenant setzt sich über diese Vorgabe hinweg und startet den Angriff bereits zu einem früheren Zeitpunkt - Candy wird in einem türkischen Bad festgenommen. Die alten Regeln des Kriegführens haben ihre Gültigkeit verloren - mit Candys Einsicht in diesen Umstand endet der Film.
Während des 2. Weltkriegs
The Life and Death of Colonel Blimp überrascht den heutigen Zuschauer zunächst einmal durch seine raffinierte Flashback-Struktur. Der mit einer ordentlichen Prise trockenem, typisch britischem Humor versehene Film setzt zur Zeit des Zweiten Weltkriegs ein, um von dort einen weiten erzählerischen Sprung in die Vergangenheit zu machen (ähnlich wie Sergio Leone es über 40 Jahre später in Once Upon a Time in America getan hat). Dieser Zeitsprung wird visuell verdammt einfallsreich inszeniert: Candy fällt als alter Mann bei einer Keilerei in das Schwimmbassin des türkischen Bades und entsteigt ihm wieder 1902 als junger Offizier.

Auch die Duellszene ist grandios. Die Spannung wird langsam aufgebaut, unzählige Details werden vorab geklärt (ein gut platzierter Seitenhieb auf den übertriebenen Sinn für Ordnung und Bürokratie der Preußen), und als es endlich zum Duell kommt, entschwebt die Kamera nach oben, durchbricht die Decke und zeigt die Sporthalle im winterlichen Berlin.

Das Duell
Man stelle sich einmal vor, dass dieser Film, der ein wahrhaft differenziertes Bild vom Deutschen zeichnet, auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs in britische Kinos kam. Winston Churchill was not amused und versuchte alles, um dies zu unterbinden. Erfolglos. The Life and Death of Colonel Blimp wurde sogar damit beworben, "verboten" zu sein. Was beschlagnahmte Filme und Videospiele heute sind, war dieser Streifen im England des Zweiten Weltkriegs. Bemerkenswerterweise tritt ein deutscher Nazi zu keinem Zeitpunkt im Film auf. Die Deutschen werden als karikaturhafte Preußen, desillusionierte Soldaten nach dem 1. Weltkrieg und als Gegner der Nazis dargestellt. Die nationalsozialistische Ideologie und deren Anhänger werden in Anton Walbrooks eindringlichem Monolog aufs Schärfste verurteilt - hier spricht eine Figur, dessen Familie am Naziregime zerbrach. Powell und Pressburger gehen sogar soweit, die Asylpolitik Englands zu hinterfragen: Hysterische Angst vor dem Feind blendet die britischen Beamten und lässt Theos Aufenthaltsgenehmigung im Ungewissen - ein bis heute hochaktuelles Thema für jede Nation, die mit Asylproblemen zu kämpfen hat, wird hier quasi nebenbei behandelt.

Wie Hochseilakrobaten halten Powell und Pressburger auch die Balance in Bezug auf das britische Militär. Colonel Blimp war ursprünglich eine Karikatur auf das reaktionäre englische Militär und Establishment. Candy ist natürlich dieser Blimp. Die Filmfigur ist jedoch um einiges komplexer als sein Alter Ego in den Comicstrips. Powell und Pressburgers Idee für das Drehbuch rührte nämlich keineswegs von den Comics her, sondern entstammte einer der Schere zum Opfer gefallenen Szene aus One of Our Aircraft is Missing, in der ein alter Mann einen jüngeren darauf hinweist, dass er nicht wisse, wie es sei, alt zu sein.

David Lows Cartoon

Candys Einsicht am Schluss ist von zentraler Bedeutung. Der Tod von Colonel Blimp im Titel des Films meint nicht das körperliche Ende von Candy, sondern den Niedergang der alten Ansichten über den Krieg. Der Krieg hat seine ehrenwerte, "romantische" Seite verloren, deren Verkörperung Candy Zeit seines Lebens war.

Die große Kunst von Powell und Pressburger ist der Drahtseilakt zwischen militärischer Sentimentalität, die der Film hat, einerseits, und der Vermeidung plumper Propaganda andererseits. Ich kenne keinen Film, der ähnlich geschickt wie humorvoll mit ehrlichem Patriotismus und einem vielschichtigen Feindbild balanciert. Der Kunstgriff liegt meines Erachtens darin, dass wir die Nazis -wie erwähnt- nie zu Gesicht bekommen. Der Film klagt die Nazi-Ideologie an, ohne zu personalisieren. Die Weltanschauung ist zu verachten, nicht der Mensch.

"The war starts at midnight!" - zwei Auffassungen über Krieg kollidieren

Ein weiterer Geniestreich der Archers bestand darin, Deborah Kerr in drei unterschiedlichen Rollen zu besetzen. Es ist nicht nur für die männlichen Zuschauer angenehmer, in den drei Zeitphasen stets eine junge, hübsche Frau präsentiert zu bekommen, es fügt dem Film auch eine psychosexuelle Dimension hinzu, die er ansonsten nicht erreicht hätte. Candy strebt nach der Liebe, die er 1902 zu spät erkannte. Er umgibt sich deshalb mit Doppelgängerinnen Ediths. Und auch das nuancenreiche Spiel des fantastischen Anton Walbrook lässt erahnen, dass er Gefühle für Angela (Deborah Kerr in den 1940ern) hegt.

Überhaupt sei hier noch einmal auf die großartigen Schauspieler hingewiesen. Insbesondere Walbrook ist überragend. Nachdem ich ihn in der Rolle des Impresarios Lernmontov im ebenso empfehlenswerten Powell-und-Pressburger-Film The Red Shoes gesehen habe, zählt er für mich zu den fünf besten Schauspielern aller Zeiten.

Hier noch drei informative Links zum Film :

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