Freitag, November 24, 2006

OT: "Killerspiele"


Vorab: Ich bin kein großer Spieler, habe keine Playstation, keinen Gamecube und kein einziges Spiel auf meinem PC installiert. Lediglich dem Online-Fußballmanager-Spiel hattrick widme ich regelmäßig etwas Zeit.

Dennoch regt mich diese hysterisch geführte Diskussion zum Thema "Killerspiele" wahnsinnig auf. Statt sich mit der Tat und dem Umfeld des 18-Jährigen Emsdettener auseinanderzusetzen, fordern Politiker ein Verbot von gewaltverherrlichenden Computerspielen. Das ist nicht nur wegen des nicht nachgewiesenen ursächlichen Zusammenhangs zwischen virtueller Gewalt und realer Gewalt hirnrissig, es führt auch auf ernüchternde Weise die Unfähigkeit von Politik und überwiegender Mehrheit der Medien vor, sich den eigentlichen Problemen zu stellen. Menschliche Verwahrlosung durch mangelnde Schulbetreuung und Ahnungslosigkeit der Eltern wäre beispielsweise ein Themenfeld, über das in diesem Zusammenhang viel zu wenig diskutiert wird. - Politiker sollten lieber ihre Wahlversprechen halten und Gelder für Schulen und Nachmittagsbetreuung locker machen, als so zu tun, als ob ein Verbot von "Killerspielen" den nächsten Amoklauf verhindern könnte.

Sicherlich sollten die bluttriefenden Spiele kontrolliert und Jugendlichen schwer zugänglich gemacht werden. Auch die Spieleindustrie trägt eine moralische Verantwortung, der sie nur ungenügend nachkommt. Meinetwegen sollten besonders "menschenverachtende" Ballerorgien verboten werden. So wird es wenigstens etwas schwieriger für Interessenten, an die Spiele heranzukommen. Aber wie die Täterprofile der Knaben aus Littleton, Erfurt und Emsdetten zeigen: Sie waren nicht dumm. Sie haben ihre Taten strategisch geplant und kaltblütig ausgeführt. Zu glauben, dass sich diese Jungs die Spiele nicht auf anderem Weg hätten besorgen können, ist nicht nur naiv, sondern töricht.

Nein, "Killerspiele" sind nicht das Problem. Und diese Diskussion ist eine wahre Zumutung, weil die Politik durch sie die Illusion erzeugt, als habe sie Möglichkeiten der Prävention für solche Gewaltakte parat. Aber diese Form der Medienbeschimpfung hat eine lange Tradition: Im ausgehenden 18. Jahrhundert wurde Goethes "Die Leiden des jungen Werthers" für eine zunehmende Selbstmordrate verantwortlich gemacht. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts empörte man sich oft über den Horrorfilm, weil man bestimmte Tötungsmuster, die man aus Filmen kannte, bei realen Mordfällen wiederzuerkennen glaubte. Nun echauffiert man sich eben über die sogenannten "Killerspiele". Es wäre falsch, einen Einfluss der Medien auf den Rezipienten zu leugnen. Sie deshalb für reale Gewalttaten direkt verantwortlich zu machen, ist jedoch ebenso falsch. Im Slasherfilm Scream bringt ein Schüler, der sich später als psychopathischer Killer entpuppt, den Zusammenhang zwischen Mediengewalt und realer Gewalt treffend auf den Punkt, wenn er sagt: "Movies don’t create psychos. Movies make psychos more creative." Mit anderen Worten: Ein Psychopath ist ein Psychopath, ob er Counter Strike zockt oder nicht.

Empfehlenswerter Text zum Thema Amoklauf, der die richtigen Fragen stellt:
Walter Hollstein (Professor für Geschlechter- und Generationenforschung an der Uni Bremen). Mensch Mann. Tagesspiegel vom 26.11.2006.

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