Samstag, November 04, 2006

Knallhart vs. Wut - eine Gegenüberstellung (Teil 3)

Hier nun der dritte und letzte Teil meiner Gegenüberstellung von Knallhart und Wut. Nachdem ich mich in den zwei vorangegangenen Posts über Täter- und Opferfiguren ausgelassen habe, möchte ich zum Abschluss einige Gedanken zu filmischen und thematischen Aspekten loswerden, die mir beim Betrachten der Filme in den Sinn gekommen sind. Diese Überlegungen habe ich nicht in irgendeine Form gießen wollen, sie sollen hier so assoziativ aufgelistet werden, wie sie mir kamen.

Filmische Umsetzung

Wut ist im Gegensatz zu Knallhart eine TV-Produktion. Erstaunlicherweise widersetzt sich Wut aber vielen typischen Fernsehfilmkonventionen. Der Hauptkonflikt in Wut wird in seinen verschiedenen Phasen glaubhaft geschildert, wozu die präzise besetzten Schauspieler erheblich beitragen: Insbesondere Oktay Özdemirs Darstellung verleiht Wut große Glaubwürdigkeit. Die Kamera bleibt immer nah dran, distanziert sich kaum von den Figuren, bleibt auf Augenhöhe, nimmt keine extremen Winkel ein. Das unterstreicht die Authentizität und lässt den Film streckenweise dokumentarisch wirken.

Wut hat in meinen Augen allerdings zwei gravierende Schwächen: So wirkt die zweifache Affären-Nebenhandlung von Felix' Eltern völlig deplatziert und trägt zum Hauptkonflikt nichts entscheidendes bei, ja lenkt in diesen Momenten sogar davon ab und rückt den Film in die Nähe einer müden Seifenoper. Das zweite Problem ist die Auflösung - die Geiselnahmeszene: War der Film bis dahin fast dokumentarisch und ging glaubwürdig mit seinen Figuren um, wird er am Ende zu einem aus amerikanischen B-Movie-Versatzstücken zusammengeschustertes Stangenwarenprodukt. Beide Probleme sind also drehbuchbedingt und wirken auf mich, als ob ein Drehbuchdoktor das Fernsehspiel in eine gewisse Struktur zwängen wollte. Dem Autor fehlte der Mut oder die Idee, den für eine Fernsehproduktion unkonventionellen Weg konsequent beizubehalten.

Knallhart übertrifft die Dokumentationsnähe von Wut sogar noch: Die wacklige Handkamera, die schnellen Schnitte und die entsättigte Farbgebung, die den Film fast schwarzweiß wirken lässt, verleihen ihm eine stete Trostlosigkeit. Die direkte Koppelung an den Neuköllner Kiez verankert Knallhart örtlich genauer als Wut, der ja auch in Berlin spielt, aber der das "Urban Ghetto" nicht wirklich zum Thema erhebt. Buck gelingt es, diese Nähe zum Stadtteil auch visuell eindrucksvoll mit der Handlung zu verknüpfen: Immer wieder sehen wir die Figuren (und insbesondere Michael) als Gefangene der sie umgebenden urbanen Architektur - die Bilder sind so gerahmt, dass sie wie geschlossene Einheiten wirken, aus denen es kein Entkommen gibt.

Klaustrophobische Bildgestaltung: Die Figuren in Knallhart wirken wie Gefangene ihrer Umgebung.

Im Gegensatz zu Wut streut Buck auch eine Prise Humor ein. Meine Lieblingsszene spielt beim österreichischen Drogendealer ("Du bist nicht entspannt!"). Mit Liebe zum Detail stellt uns Buck diese groteske Familie vor, die in einer Weddinger Altbauwohnung haust. Der Zuschauer wird durch das seltsame Verhalten dieser Figuren verunsichert, gleichzeitig wohnt der Szene eine absurde Komik inne, die mich mehrfach zum Schmunzeln brachte.

Wie Wut so ist auch Knallhart punktgenau besetzt. Man merkt: Regisseur und Schauspieler kennen den sozialen Hintergrund, um den es geht. Auf Neukölln wird kein schönes Licht geworfen: Wir sehen immer wieder Häuserschluchten und farblose Fassaden, breite Straßen und verlassene, schäbige Hinterhöfe. Wiederholt tauchen Kleinkinder und Babys auf (in der Hasenheide das Baby einer Drogenabhängigen, beim Drogendealer im Nebenzimmer, auf einem Balkon ein Kleinkind mit einer Spielzeugwaffe, Erols Babys etc.), bei denen man automatisch Bedenken um ihre Kindheit hat.

Themen

Neben dem wohl auffälligsten Thema "Jugendgewalt" mit seinen unterschiedlichen Facetten (Zusammenschlagen, Abziehen, Erpressen, Happy Slapping) schneiden beide Filme Themenbereiche an, die nur indirekt mit Gewalt zu tun haben. So sind sowohl Knallhart als auch Wut Initiationsgeschichten. Ein Kind wird mit Problemen konfrontiert, für die die Erwachsenenwelt keine Antworten oder gar Lösungen parat hält. Die Kinder müssen ihre eigenen Strategien entwickeln, um diese Situationen zu meistern. Es ist eine Bewährungsprobe, für die sie erwachsen werden müssen.

Die Filme stellen sehr verschiedene Elternfiguren vor. In Knallhart erleben wir eine ahnungslose, alleinerziehende Mutter, deren Interesse an den Befindlichkeiten ihres Sohnes hinter ihren eigenen Bedürfnissen zurücktreten muss. Miriam ist keine schlechte Mutter, aber sie ist überfordert mit ihrer eigenen Lebenssituation und weiß nicht wirklich, mit ihr umzugehen. Hingegen engagieren sich Felix' Eltern ungemein. Sie sind (fast) Vorzeigeeltern: interessiert an den Problemen ihres Sohns, verbringen Freizeit mit ihm, ermutigen ihn zum Spielen eines Instruments etc. Jedoch -und dies ist meines Erachtens das eigentliche Thema von Wut- kommen diese Vertreter eines bildungsbürgerlichen Lebensidylls in eine Situation, mit der sie aus eigener Kraft nicht mehr fertig werden. Sie kommen an die Grenzen ihres liberalen Weltbildes und wissen nicht weiter. Auch sie sind im Kontext des Films keine wahren Vorbildfiguren. Der entscheidende Fehler, den diese Familie begeht (und hier ist Wut unglaubwürdig, da ein so gescheiter Mann wie Felix' Vater nicht so handeln würde), ist, dass sie sich nicht rechtzeitig an die Polizei wendet.

Vergessen wir nicht, dass uns die Filme drei weitere Vaterfiguren vorstellen: Cans Vater (Wut), Crilles und Matzes Vater (Knallhart) sowie Erol (Knallhart). Cans Vater genießt absolute Autorität gegenüber seinem Sohn, interessiert sich aber offenbar nicht dafür, was er außerhalb seines "Hoheitsgebiets" treibt. Das sagt er sogar: "Ich habe meine Kinder anständig erzogen. Ich kann ihn [sic!] nicht jeden Tag kontrollieren. Auf der Straße machen sie, was sie wollen." Eine solche erzieherische Resignation führt wohl zwangsläufig zu halbstarkem Verhalten von Jugendlichen im öffentlichen Raum. Cans Vater scheint entweder ähnlich überfordert zu sein wie Miriam in Knallhart oder er ist zu bequem, zusätzliche Energie in die Erziehung seiner Söhne zu investieren. - Crilles und Matzes Vater wird uns als gemeiner Prolet präsentiert, der seine Kinder wegen seines Berufes lange Zeit alleine lässt, und nichts als Schläge für sie übrig hat, wenn er zu Hause ist. Gemessen an dieser "Betreuung und Erziehung" scheinen Crille und Matze erstaunlich umgängliche und freundliche Zeitgenossen zu sein. - Über Erol als Vater zu spekulieren ist müßig. Er wäre wohl kaum ein gutes Vorbild für ein Kind. Da er jedoch an den für ihn absehbaren Folgen seines Profilierungsgehabes stirbt, bevor seine Kinder ein Alter erreicht haben, in dem sie ihn als Vaterfigur bewusst wahrnehmen können, hat er als Vater ohnehin versagt.

Sind Wut und Knallhart ausländerfeindlich? Ich meine nein, weil die türkischen Figuren mehrdimensional angelegt sind. Zwar entsprechen sie zweifellos gewissen Klischees, dennoch wird wohl niemand leugnen, dass es Leute wie Erol, Can und seinen Vater in den Straßen Berlins und anderswo gibt. Ebenso gibt es solche Klischeefamilien wie die von Felix in Wut. Dem Film vorzuwerfen, er schüre Vorurteile gegen die türkische Bevölkerung in Deutschland, wäre deshalb kurzsichtig und heuchlerisch. Die Kunst (und ich halte Film für eine Kunstform) darf nicht zur Sklavin der Political Correctness werden! Im Gegenteil: Sie muss sich aktiv mit gesellschaftlichen Problemen und Tabugrenzen auseinandersetzen, sonst ist sie so nutzlos wie ein Bote ohne Botschaft. Und wie aktuell und realitätsnah die Geschehnisse der Filme sind, beweisen die Tageszeitungen beinahe täglich (zur Untermauerung hier ein Artikel aus dem gestrigen Tagesspiegel).

Bestürzend empfinde ich das Ende beider Filme. Ich bin kein großer Freund des Happy Ends, aber in diesen Fällen stimmt es mich traurig, dass die Macher offenbar keine Lösungsvorschläge für die geschilderten Probleme anbieten wollen oder können. Beide Filme enden auf einem Mollton. Es ist sowohl Knallhart als auch Wut hoch anzurechnen, dass sie gesellschaftliche Probleme ehrlich und auf eindrucksvoll authentische Art zu beschreiben versuchen. Knallhart zeigt im Gegensatz zu Wut sogar einige Ursachen (soziales und städtebauliches Umfeld, Eltern, Drogen) dafür auf. Möglichkeiten diese Defizite zu überwinden, bieten die Filmemacher jedoch leider nicht an. Und wenn dies nicht einmal in der Kunst machbar zu sein scheint, wie soll es dann erst gesellschaftlich funktionieren?

Links zum Thema:

Filmheft der Bundestzentrale für politische Bildung (Knallhart)

Filmbesprechung bei filmportal.de (Knallhart)

Diskussionswürdiger Blog-Artikel (Wut)

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ein kluger Text, eine schöne Analyse!