Samstag, Oktober 21, 2006

Kulturzeit - Eine Liebeserklärung


Ich hasse das Fernsehen leidenschaftlich. Wenn bei mir die Glotze läuft, wird sie meist vom DVD-Player gespeist. Nachrichten, Wetterbericht und gelegentlich eine Fußball Live Übertragung oder einen Film: dafür wird der DVB-T Receiver aktiviert. Ich hasse Werbeunterbrechungen, weswegen das Privatfernsehen bei mir selten eine Chance hat. Und wenn ich durch Zufall beim Musikantenstadl, einer Telenovela, einem Wissensquiz oder einer Talkshow ohne Nährwert lande, verfluche ich die GEZ für die Verschwendung meiner Gebühren und wünsche Oliver Kalkofe spränge ins Bild, um die Protagonisten umgehend mit seiner braunen Gummikeule zu verprügeln.

Doch es gibt eine wochentägliche Sendung, nach der ich regelrecht süchtig bin, für die sich die exorbitant hohen GEZ Gebühren vollends lohnen: Kulturzeit.

Kulturzeit macht einfach alles richtig. Das fängt schon beim 16:9-Format an. Kulturzeit zählte zu den Pionieren im deutschen Fernsehen, die konsequent auf das cineastische TV-Format gesetzt haben.

Die Anmoderation der Sendung kann bei mir vor Freude bisweilen eine Gänsehaut auslösen: Erstes Thema wird bekannt gegeben, Off-Sprecher: "Weitere Themen in Kulturzeit", Tune setzt zu dem sich fröhlich drehenden Kulturzeit-Würfel ein: dödingdödingdödöding...großartig!

Das alleine reicht natürlich nicht, um eine Sendung aus der öden Masse der TV-Magazine herausragen zu lassen. Nein, es sind die Themen und viel entscheidender: wie diese Themen journalistisch aufgearbeitet werden. Kulturzeit versucht die Oberfläche gängiger Polit-, Talk- und Kulturformate zu durchbrechen. Hier werden eingangs die richtigen Fragen gestellt, provokante Thesen werden nicht mit einem süffisanten Kommentar vom Tisch gefegt, sondern bewusst aufgegriffen und hinterfragt. Meist geht es politisch korrekt zu, doch man fürchtet nicht den Bruch mit der Political Correctness oder scheut sich vor intelligenter Ironie.



Wie der Name verrät, ist Kulturzeit in erster Linie ein Kulturmagazin, die gelungene Transformation des Feuilletons ins Fernsehformat - ja, Kulturzeit ist sogar die Weiterentwicklung der Tageszeitungen-Kulturteile. Das liegt schon in der Natur der Sache, denn während im Feuilleton nur das gedruckte Wort die Kultur beschreiben, bewerten und über sie reflektieren kann, ist es ja im Fernsehen möglich, das jeweilige Kulturprodukt als das, was es ist, vorzustellen: Die Musik, um die es geht, kann tatsächlich gehört werden, der Film oder das Theaterstück kann ausschnittsweise gezeigt werden, es können die Bilder eines Malers oder das Gebäude eines Architekten im Detail vorgeführt werden. Insofern ist das Fernsehfeuilleton seiner druckenden Konkurrenz überlegen.

Die Redaktion von Kulturzeit begnügt sich keineswegs damit, über aktuelle Kulturereignisse zu berichten. Das wäre fade. Aktualität ist eine Hauptdirektive. Worüber gerade noch in den Nachrichten berichtet wurde, ist bereits von der Kulturzeit-Redaktion auf qualitativ hohem Niveau bearbeitet worden und wird zum Gegenstand der Sendung.

Kulturzeit feierte vergangenes Jahr seinen 10. Geburtstag. Das Programmformat hat sich also bewährt. Einige Moderatoren haben aufgehört, neue sind gekommen. Der wichtigste Moderator, die unbestrittene Nummer eins, ist glücklicherweise seit der ersten Sendung dabei: Gert Scobel. Ich vermute, dass er das Konzept der Sendung entscheidend mitentwickelt hat und es bis heute mitbestimmt. Die anderen Moderatoren sind in Ordnung, nicht schlecht, aber keiner von ihnen erreicht auch nur annähernd Scobels Format. Das liegt nicht daran, dass man bei ihm am wenigsten merkt, wie er vom Teleprompter abliest, es hat vielmehr mit seiner gelassen-freundlichen Natur zu tun. Scobel wirkt nicht so strebhaft-ernst wie Tina Mendelsohn, so aufgeregt wie Ernst Grandits und er spricht nicht so monoton wie Andrea Meier. Dabei sind die Genannten keine schlechten Ansager, Scobel ist eben eine Klasse für sich - und die erreicht sonst keiner im deutschen Fernsehen. Seine einleitenden Moderationen sind punktgenau, hin und wieder verpackt in leise bis beißende Ironie, seine Interviewfragen sind scharfsinnig - man hat stets das Gefühl, dass er sich intensiv mit der Materie beschäftigt hat (fairerweise muss ich hinzufügen: das gilt meist auch für die anderen Moderatoren).


Was mich stets aufs Neue erstaunt, ist die Fähigkeit dieser Sendung, Themen, die mich eigentlich wenig oder gar nicht interessieren, so vorzustellen und aufzubereiten, dass sie spannend und hochinteressant werden. Wie Kulturzeit das schafft, habe ich noch nicht herausgefunden. Vielleicht weiß es die Redaktion selbst nicht so genau, gäbe es ein Rezept dafür, sollten sie es nicht nur mit journalistischen Kollegen, sondern auch mit den Lehrern teilen.

Ich freue mich schon jetzt auf den kommenden Montag, wenn es um 19.20 Uhr erneut heißen wird: "Herzlich willkommen, schön, dass Sie sich Kulturzeit nehmen!"

Links zum Thema:

Kulturzeit im Netz
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