Samstag, Oktober 31, 2009

TV-Tipp: Midnight Movies

Neben den 40er Jahren sind die 70er filmgeschichtlich sicherlich das interessanteste, weil facettenreichste, mutigste, avangardistischste Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts. Auch die 90er konnten begeistern. Doch die 00er? Die klingen schon blöd. Und filmisch gab es in dieser Dekade bis auf wenige Ausnahmen auch nichts Grandioses zu feiern.

Das Bayerische Fernsehen holt vielleicht auch deshalb am morgigen Sonntag spät abends die Nostalgiekeule raus und zeigt eine Dokumentation aus dem Jahr 2005, die sich mit dem "Mitternachstkino" der wilden 70er beschäftigt: Ungewöhnlich lange Ausschnitte aus den ausgewählten Beispielen und ausführliche Interviews mit den Kult-Regisseuren machen [den Dokumentarfilm] zu einem cineastischen Vergnügen der Extra-Klasse. So heißt es auf der Website des BR.

Ein Blick auf die Filme, um die es da gehen soll, schmälert meine Begeisterung jedoch ein wenig. Denn Eraserhead und The Rocky Horror Picture Show gehören nicht gerade zu meinen Favorites der düsteren Filme aus dem Jahrzehnt langer Kotletten, gewaltiger Afros und gigantischer Schlaghosen. Dafür kommt aber auch George A. Romero zu Wort, um dessen Night of the Living Dead es sich ebenso drehen soll wie um Alejandro Jodorowskys obskuren Western El topo und John Waters Pink Flamingos.

Mein TV-Recorder ist natürlich programmiert.

Midnight Movies. Sonntag, den 01.11.2009. 23.45 Uhr. Bayerisches Fernsehen.

Donnerstag, Oktober 29, 2009

Endlich blu-rayisiert

Es hat lang gedauert. Zu lang. Doch seit wenigen Tagen bin auch ich in der Welt der hochauflösenden Filme angelangt. Zwar nenne ich noch keinen LED-TV mein Eigen, aber mein neuer Rechner verfügt nun über einen 23-Zoll LCD Monitor und einen Blu-ray Brenner.

Kann man das hochauflösende Format auf gerade einmal 23 Zoll überhaupt richtig würdigen? Ich bin mir nicht sicher. Entjungfert habe ich den Blu-ray-Player mit der ersten Staffel von Allan Balls True Blood, einer überaus empfehlenswerten HBO-Serie, die dem mittlerweile etwas angestaubten Vampir-Stoff neues Leben einhaucht. Bild und Ton sind zweifellos herausragend. Man erkennt schnell die Überlegenheit zur DVD. Doch bei all der Freude stellte sich bei mir keine vergleichbare Euphorie ein, wie ich sie vor gut elf Jahren beim Erblicken meiner ersten DVD (Starship Troopers RC 1) verspürte. Der qualitative Abstand zwischen einem VHS-Tape und der DVD ist eben doch um einiges größer als jener zwischen der DVD und einer Blu-ray-Scheibe.


Ich blicke der Sichtung meiner ersten Blu-ray-Filme (Blade Runner / There Will Be Blood) trotzdem mit Freude entgegen. Eine Neuanschaffung bereits erworbener DVDs halte ich aber nur in Ausnahmefällen für notwendig. Die Kompatibilität mit der DVD macht es meines Erachtens überflüssig, die Filmsammlung erneut upzugraden.

Problematisch gestaltet sich auch die Frage nach Neuanschaffungen. Angenommen man möchte dringend einen alten Chaplin-Film sehen. Meinetwegen The Kid. Eine luxuriös ausgestattete DVD existiert. Eine Blu-ray natürlich noch nicht. Sattelt man nun also konsequent um und verzichtet auf interessante DVD-Releases? Oder fährt man zweigleisig, bis das Blu-ray-Angebot, das derzeit bis auf aktuelle Filme sehr wenig zu bieten hat, dem DVD-Sortiment ebenbürtig ist?

Samstag, Oktober 17, 2009

Short Cuts #14

Die Herbstferien neigen sich dem Ende. Kein Post innerhalb dieser zwei Wochen darf nicht sein. Also folgen hier nun pflichtbewusst einige Kurzrezis.


Das weiße Band: Michael Haneke entwickelt sich langsam aber sicher zu einem meiner Lieblingsregisseuren. Es gibt zwar noch einige Filme, die ich aus seinem bisherigen Gesamtwerk nachzuholen habe. Das weiße Band ist jedoch unabhängig davon ein gewaltiger Film, der den Zuschauer langsam in einen Würgegriff zu nehmen versteht. Drehbuch, Kamera, Ton, Schnitt und vor allem die Schauspieler – jedes Teil greift hier perfekt ins nächste. Endete Caché mit einer völlig überraschenden, die Handlung noch einmal komplett in einem neuen Licht erscheinenden starren Einstellung auf den Treppeneingang einer Schule, greift Das weiße Band diesen thematischen Strang auf, um ihn konsequent fortzuspinnen. Das weiße Band ist zugänglicher als Caché, Funny Games oder Hanekes Kafka-Adaption Das Schloß. Das macht ihn aber keineswegs weniger faszinierend. Im Gegenteil: Gerade durch die fast schon konventionelle Erzählhaltung gelingt es dem Film, den Zuschauer umso kräftiger in seinen Bann zu ziehen. 9/10.


Couples Retreat: Drei Pärchen gehen für eine Woche auf eine Trauminsel, um ihre Beziehung zu retten. - Das komplette Gegenprogramm zum "weißen Band". Eine herzlich doofe RomCom für anspruchslose Eskapisten, die über dämliche Kalauer so richtig lachen können. Erzkonservativ, dröge, vorhersehbar, voller Stereotypen und Klischees weiß ich bis jetzt eigentlich noch immer nicht, wie ich die knapp zwei Stunden ohne Hirnschaden überstanden habe. Alfons hat sich freundlicherweise die Mühe gemacht, den Entstehungsprozess dieses Machwerks kreativ zu rekonstruieren. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Wohlwollende 4/10.


Away We Go: Sam Mendes ist ein Meister im Analysieren von Familienstrukturen. In Away We Go nimmt er sich ein hippieges Mitdreißigerpärchen vor, das durch eine unerwartete Schwangerschaft den eigenen Lebensentwurf neu überdenken muss. Wie soll man in Zukunft leben, um dem Kind ein angemessenes Zuhause zu geben? Auf der Suche nach Antworten bzw. einem passenden Ort fürs Kind durchstreift das Paar im rostigen Volvo die USA und trifft dabei auf Negativbeispiele oder desillusionierte Menschen. – Garniert mit überaus spaßigen Gastauftritten von Jeff Daniels oder der selbst als durchgeknallten Esotante noch schnuckelig wirkenden Maggie Gyllenhaal ist Away We Go sogar für Zuschauer ohne sonderliches Interesse am Thema „Lebenskrise von kindischen Mitdreißigern“ ein Vergnügen. An die Größe seiner vorigen Filme (Jarhead ausgenommen) kann Sam Mendes hier allerdings nicht anschließen. 6/10.

Freitag, August 28, 2009

Beat it, you Hippie!

Also mit 50 Prozent ist man ja nun noch kein richtiger Hippie, oder?



In der Berliner OV-Sneak lief Ang Lees neues Filmchen bereits, wie man bei Alfons nachlesen kann. Demnächst gibt's ihn dann auch für die normalen Kinogänger....

Donnerstag, August 13, 2009

Film noirs in Kürze:
Mystery Street & The Naked City

Mystery Street: Der Mord an Vivian Holden (Jan Sterling) wird in diesem "CSI-Noir" (Regie: John Sturges) sechs Monate nach ihrem Tod mit modernen Methoden der Zeit rekonstruiert. Alles, was der zuständige Lieutenant Moralas (Ricardo Montalban) zu Beginn seiner Untersuchung hat, ist ein Häufchen Knochen, das am Strand gefunden wurde. Moralas wendet sich schlauerweise an das Institut für Rechtsmedizin in Harvard. Der dortige Fachmann Dr. McAdoo (Bruce Bennett) kann innerhalb kurzer Zeit Geschlecht, Alter, Zeitpunkt des Todes und den Beruf der Toten bestimmen. Das überrascht sogar den heutigen CSI-geschulten Zuschauer. Die beeindruckenden Methoden des Dr. McAdoo sind um einiges bodenständiger und nachvollziehbarer als die hypermodernen DNA-Analysen und sonstigen Tricks gegenwärtiger Kriminaltechniker. Das verleiht Mystery Street eine angenehme Aufrichtigkeit und löst in manch einem Rezipienten womöglich nostalgische Gefühle aus. Doch leider ergibt sich aus der Erzählstruktur des Films ein Spannungsproblem: Da die Identität des Täters schon relativ früh klar ist, wirken die detektivischen Arbeiten Lieutenant Moralas' in der zweiten Hälfte eher einschläfernd als spannungserzeugend. Einen solch dämlichen Kommissar habe ich in Film noirs selten erlebt. Hinzu kommt, dass es keine echte Femme fatale gibt. Sicherlich ist die verschlagene und leicht neurotische Mrs Smeerling (Elsa Lanchester) eine überaus zwielichtige Figur. Ihr fehlt aber das nötige Maß an sexueller Attraktivität, um Männer zu manipulieren. Deshalb muss sie auf andere Mittel zurückgreifen. - Insgesamt ein bedingt empfehlenswerter kleiner Film aus der Blütezeit der schwarzen Serie, der gute Werbung für Harvard macht, durch seine altertümliche Kriminaltechnik begeistern kann, jedoch teilweise zu umständlich erzählt, um durchgehend bei Laune zu halten.
63 Punkte.

The Naked City zählt wie T-Men und He Walked by Night zur Kategorie der Doku-Noirs, die Ende der 40er Jahre populär wurden. Komplett an Originalschauplätzen in New York gedreht, darf man in diesem Jules-Dassin-Film auf Skyscraper-Baustellen weilen, miefige Boxbuden von innen kennenlernen und natürlich die Stadt New York bei Tag und Nacht erleben. Immer wieder betont der allwissende Off-Erzähler, der von manchen Kritikern als die Seele der Stadt selbst verstanden wird, New York habe acht Millionen Einwohner (eine Zahl, die sich erstaunlicherweise bis heute nicht gravierend verändert hat!). Die Schwierigkeit der Polizei beim Fassen von Mördern soll auf diese Weise unterstrichen werden, denn die Anonymität der Großstadt ist das eigentliche Thema des Films. Obwohl die ermittelnden Beamten schnell einen Kreis von Verdächtigen im Mord gegen das blonde Model Jean Dexter ausgemacht haben, fällt es ihnen schwer, sich im Großstadt-Dickicht zu orientieren. Wie sich herausstellt, hängt der Mord mit ausgefeilten Juwelendiebstählen zusammen. - The Naked City überzeugt durch den mitunter rasanten Schnitt und die wunderschön abgefilmte Stadt. Hierfür gab es im Jahr 1949 jeweils einen Oscar. Aber auch die verwobene Story weiß zu überzeugen (Oscarnominierung). Lediglich schauspielerisch gibt es etwas auszusetzen: Don Taylor als Detective Halloran wirkt insbesondere zu Beginn sehr hölzern und Barry Fitzgerald als Lt. Muldoon fischt zu häufig nach billigen Lachern. Das fällt aber kaum ins Gewicht, denn beide Akteure haben auch ganz großartige Szenen. So verlangt Hallorans Ehefrau einmal von ihrem Gatten, er solle doch den Sohn verprügeln, weil dieser erneut unerlaubt auf die Straße gerannt sei. Halloran windet sich, um dies nicht tun zu müssen und erwidert auf das Drängen seiner Frau, es stehe doch nirgends geschrieben, dass dies der Mann im Hause tun müsse. Ein schöner Kommentar auf die zeitgenössische Vorstellung von Erziehung und die damit zusammenhängenden Geschlechterrollen.
65 Punkte.

Sonntag, August 09, 2009

Die glorreichen 7: Sopranos-Folgen

In den vergangenen Wochen habe ich mir die gesamten Sopranos ein zweites, zum Teil sogar ein drittes Mal angesehen. Eine überaus lohnende Zeitinvestition, denn bei einer erneuten Sichtung kann man sich auf Feinheiten konzentrieren. Die Hauptaufmerksamkeit muss nicht mehr dem verwobenen Plot mit seinen unzähligen Figuren gewidmet werden. Stattdessen kann bewusst auf Vorausdeutungen geachtet werden. Es können schauspielerische Nuancen wahrgenommen, Kameraführung und Schnitt eher analytisch betrachtet werden. Und nach fast jeder Folge stellt man bei den Sopranos fest: Die Episode ist so kunstvoll geschrieben, bebildert, gespielt und geschnitten – es wären zwei oder drei weitere Durchgänge notwendig, um sie in ihrer Komplexität wirklich zu durchdringen. Wann kann man das schon über eine Fernsehserie sagen? Mein Güte, wann kann man das über einen Film sagen?

Im Grunde sind die Sopranos ohnehin der Gattung des Spielfilms näher als der der TV-Serie. Der behäbige Erzählgestus, überhaupt das entschleunigte Tempo, mit der sich die Handlung entfaltet, steht eindeutig in der Tradition des klassischen Erzählkinos. Jede einzelne Folge ist wie ein kurzer Independentfilm. Mit gewöhnlichem TV-Serien haben die Sopranos nicht viel gemein.


David Chase: Das Genie hinter der Kamera. Chase schuf die Serie und hat offiziell dreißig Episoden geschrieben. Ohne sein Placet wurde jedoch kein final draft realisiert. Zur spektakulären letzten Szene der Serie sagte er in einem Interview: "I have no interest in explaining, defending, reinterpreting, or adding to what is there."

Natürlich zollen die Sopranos der Godfather-Reihe ordentlich Tribut. Erfolgen in den ersten Episoden die Hommagen an den Paten noch häufig und überaus plakativ (z. B. durch offen ausgesprochene Zitate), reduziert sich die Anzahl derartiger Anspielungen im weiteren Verlauf. Nun werden sie eher motivisch integriert (z. B. Pferde-Handlung in Staffel 4). Die Sopranos reifen also mit der Zeit, werden immer erwachsener. In Staffel 5, zu einem Zeitpunkt, an dem die Macher nichts mehr zu befürchten brauchten, weil die Serie erfolgreicher war, als man je zu träumen gewagt hatte, begann man zu experimentieren und Grenzen auszuloten. So testet eine knapp 25-minütige Traumsequenz, die in einer Vielzahl aneinandergereihter Kurzszenen einmal mehr Tonys kompliziertes Unterbewusstsein abbildet, sicherlich auch die Nerven manch eines hartgesottenen Sopranos-Fans. Derartiges traute man sich nicht einmal in Six Feet Under, einer HBO-Serie, die ausgiebige Traumsequenzen von Beginn ins Konzept eingebaut hatte.

Um aus den insgesamt 86 Folgen – die Serie hat eine Gesamtspielzeit von fast 4600 Minuten, also nicht ganz 77 Stunden – die besten zu bestimmen, habe ich jede einzelne Folge mit einer Punktzahl zwischen 1 und 10 bewertet. So ist es mir nicht nur möglich, die glorreichen 7 zu bestimmen, ich kann auch die Staffeln in eine Reihenfolge bringen, indem ich den jeweiligen Punkte-Mittelwert bilde. Allerdings liegen die sechseinhalb Staffeln allesamt eng im Achtpunktebereich beieinander. Knapper Spitzenreiter ist Season 3.

Folge 6.07: Luxury Lounge
Nach einem beinahe experimentell langsamen Staffelauftakt, der sich vor allem mit Tonys Komaträumen befasste, ist Luxury Lounge die erste Episode dieser Season, in der recht viel geschieht – wenn auch nicht bezüglich der Haupterzählstränge. Doch das macht diese Folge in meinen Augen sehr sympathisch. Denn hier kann eine Hintergrundfigur endlich aufspielen: Artie Bucco, der Chefkoch: eine so wundervoll realistische Figur in diesem Zoo übergroßer Mafiagestalten! Artie kämpft in Luxury Lounge erneut mit seinen Gefühlen gegenüber einer attraktiven Angestellten, versucht verzweifelt seine Empfindungen herunterzuschlucken. Doch es gelingt ihm nicht und er provoziert einen Streit mit einem kleinen Soldaten. Auch die B-Handlung ist exzellent: „Filmproduzent“ Christopher reist mit Carmine nach L.A. Dort will er Ben Kingsley die Rolle des Bosses in seinem Mafia-Slasher „Cleaver“ aufschwatzen. Es misslingt. In einer unglaublichen Szene überfällt er deshalb Lauren Bacall und beraubt sie ihrer wertvollen Sponsoren-Geschenke. Eine fantastische Folge. Fuuack.

Folge 3.01: Mr. Ruggerio's Neighborhood
Alle Season-Openings hätten es verdient, in dieser Liste aufzutauchen. Erwähnt sei an dieser Stelle die eindringliche Montage zu Beginn von Staffel 6, die zu den poetischen Worten William H. Burroughs und lässiger Trance-Musik das Jahr zusammenfasst, welches seit dem Ende von Staffel 5 vergangen ist. Die erste Episode von Staffel 3 nimmt als erste und einzige überwiegend die Perspektive der FBI-Agenten ein. Um einen Rico-Fall gegen Tony Soprano eröffnen zu können, muss Beweismaterial gesammelt werden. Dafür will das FBI eine Wanze in sein Anwesen einschleusen. Deshalb werden Tony und seine Familie inklusive der Haushälterin rund um die Uhr überwacht. Schließlich wird nach gründlicher Analyse eine Tischlampe aufwendig nachgebaut und in Tonys Villa ausgetauscht. All diese Aktionen werden in ihrer Inszenierung natürlich ironisch gebrochen. Die Verfolgungen, Überwachungen, Einbrüche, Analysen und Methoden des FBI werden in ihrem Perfektionismus lächerlich gemacht. Einige Folgen später wird der teure Coups des FBIs quasi nebenbei komplett ad absurdum geführt. Nichtsdestotrotz bereitet es einen Heidenspaß, den Gegnern Tonys bei der Arbeit erstmals über die Schulter gucken zu dürfen.

Folge 2.07: D-Girl
Als D-Girl („Development Girl“) bezeichnet man in der Film-Predproduction eine Frau, die nach Filmstoffen für Drehbücher Ausschau hält und Kurzfassungen von Scripts verfasst. Chris verfällt in dieser Episode einem solchen D-Girl, während A.J. etwas tut, was völlig untypisch für ihn ist: Er macht sich Gedanken. Und zwar nicht irgendwelche, nein, existenzialistische Gedanken zu Nietzsches Schriften! Natürlich wird Christopher ausgenutzt und natürlich löst A.J. keine philosophischen Grundfragen, sondern wird beim heimlichen Kiffen erwischt. Wie heißt es so schön in The Black Dahlia: „Hollywood fucks you when no-one else will!“ Diese Lektion lernt Christopher Molitsanti in doppelter Hinsicht.

Folge 4.09: Whoever Did This
Als Ralphies Sohn im Garten mit Pfeil und Bogen Lord of the Rings spielt, trifft ihn ein Pfeil und verletzt ihn lebensbedrohlich. Ralph ist am Boden zerstört. Dennoch glaubt Tony, dass Ralph für den Brand im Stall seines geliebten Rennpferdes Pie-O-My verantwortlich ist und zieht ihn dafür (und für all seine anderen Vergehen) zur Rechenschaft. Der wahrscheinlich brutalste Zweikampf der Serie ist die Folge: eine dreckige Prügelei in einer geräumigen Küche, bei der reichlich Küchenutensilien zum Einsatz kommen. Ralph unterliegt Tony und seine Leiche wird von Tony und dem vollgedröhnten Chris entsorgt. – In Whoever Did This kulminieren viele Erzählstränge der letzten Folgen, werden zu einem unerwartet plötzlichen Abschluss gebracht. Gleichzeitig wird geschickt das Fundament für die weitere Entwicklung zwischen Tony und Chris gelegt. Ein fantastisches Drehbuch, das die psychologisch ausgefeilten Charaktere glaubwürdig an ihr Limit treibt und dadurch Spitzenleistungen aus den Schauspielern herauskitzelt. Joe Pantoliano at his best!

Folge 1.01: Pilot
Wie der geniale David Chase in einem Interview auf der DVD erklärt, besteht der Witz der Serie darin, dass der Gangsterboss eine Psychotherapie beginnt, weil er den Egoismus um sich herum nicht mehr ertragen kann. Tony Soprano, der egozentrischste aller Gangster, das absolute Alphamännchen, leidet unter dem, was ihn zu dem macht, was er ist. Der Pilot der Sopranos schafft es ganz wunderbar, uns direkt in die Unterwelt New Jerseys einzuführen, die wichtigsten Figuren vorzustellen und die Ausgangssituation (Boss leidet unter Panikattacken) glaubhaft zu etablieren. Das meiste davon wird in einem Rückblick erzählt, als Tony bei seiner Therapeutin Dr. Melfi sitzt und sich windet, um nicht zu viel auszuplaudern. Der ironische Blick auf die Gangsterwelt ist hier zwar noch dicker aufgetragen als in späteren Episoden, doch das schadet nicht, denn es macht von Beginn an deutlich, wohin die Reise gehen wird. Neben der letzten Folge ist diese die einzige, bei der David Chase persönlich Regie führte. Schon hier wird deutlich, wie raffiniert Chase Musik zum Erzählen einzusetzen versteht.

Folge 1.05: College
Tony und Maedow reisen nach Maine, um sich Colleges anzusehen, die Maedow besuchen könnte. An einer Tankstelle erkennt Tony einen alten Bekannten, der ins Zeugenschutzprogramm gegangen ist. - College ist eine einzigartige Folge, weil sie im Kern losgelöst von übergreifenden Handlungssträngen steht. Man kann diese Episode sehen, ohne die Figuren der Sopranos zu kennen. Sie hat ihren eigenen Spannungsbogen samt Auflösung. Etwas, was für die Sopranos eher untypisch ist. College ist aber auch eine der am schönsten beleuchteten Episoden. Es hat den Anschein, als ob David Chase hier einen kleinen Film Noir drehen wollte. Die Low-Key-Beleuchtung ist jedenfalls von atemberaubender Eleganz und erzeugt eine visuelle Dynamik, die zur Spannung von College maßgeblich beiträgt. Ein echter Leckerbissen.

Folge 3.11: Pine Barrens
Pine Barrens (Regie: Steve Buscemi) ist nicht nur ein komödiantischer Höhepunkt der Serie, die Folge legt auch die Verlogenheit einer wesentlichen Mafiosi-Eigenschaft frei. - Chris und Paulie müssen sich unvorbereitet im eisigen Wald durchschlagen, nachdem der Mord an einem russischen Ex-Elitesoldaten schiefgegangen ist. Die zwei verlaufen sich und sind gezwungen, ohne Ausrüstung und Verpflegung bei tiefen Temperaturen im verschneiten Wald zu übernachten, ja zu überleben. Zunächst noch durch ihren gemeinsamen Groll auf den widerborstigen Russen im Geiste vereint, zerstört der Überlebenswille all die familiären Bande und sät Misstrauen und Hass gegenüber dem anderen. Innerhalb kürzester Zeit sind die hehren Mafia-Werte nichts mehr wert. Eindrucksvoll beweist Buscemi in Pine Barrens sein Talent fürs Komische auch hinter der Kamera. Keine andere Folge spielt den schwarzen Humor der Sopranos so konsequent aus. Besser geht’s nicht.

Freitag, August 07, 2009

Die Rückkehr der glorreichen 7

Nach fast zweijähriger Pause in der Rubrik der glorreichen 7 wird es in Kürze endlich eine Fortsetzung geben! Thema: Sopranos-Folgen. Der Text ist zum Teil schon geschrieben. Ich muss nur noch die letzten acht Episoden der letzten Staffel erneut sichten, bevor ich mein endgültiges Urteil mit voller Überzeugung fällen kann. Ich hoffe, dies am Wochenende zu schaffen, sodass spätestens Ende nächster Woche die glorreichen 7 wiederauferstehen können. Da seit dem 14. August 2007, als ich die sieben größten Beerdigungen auszeichnete, in dieser Sparte nichts mehr geschehen ist, habe ich mir den 14.08. als Deadline gesetzt. Sollte ich diesen Termin nicht einhalten, werde ich zu meiner Strafe einige DVDs aus meiner Sammlung verlosen.

Freitag, Juli 31, 2009

Slumdog Millionaire: Ein zweifelhaftes Vergnügen?


Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zum Werk des Briten Danny Boyle. Während Trainspotting einer der wichtigsten europäischen Filme der 90er Jahre ist und 28 Days Later sicherlich eine Wegweiserfunktion im Zombiefilm-Genre zukommt (durch seine realitätsnahe DV-Ästhetik wirkte dieser Streifen garantiert auch über das Horrorgenre hinaus), gehören A Life Less Ordinary und Sunshine zu jener Sorte von Filmen, mit denen man durch die Überdosis an Optik-Kitsch seine Geschmacksrezeptoren langfristig zerstören kann. In letztere Kategorie fällt gewissermaßen auch der große Oscargewinner dieses Jahres: Slumdog Millionaire. Zwar kann man diesen kunterbunten Schmachtstreifen in die Nähe des Bollywood-Kinos rücken und all das Grellbunte auf diese Weise rechtfertigen. Man übersieht dann jedoch, dass Boyle schon zuvor einen Hang zu dieser manieristischen Ästhetik hatte, die mir persönlich zuwider ist.

Nun wurde Slumdog Millionaire von einigen Kritikern Slum-Tourismus vorgeworfen. Doch dieser Vorwurf greift zu kurz. Dass die Realität um einiges komplexer ist, zeigt eine Reportage in der heutigen Ausgabe des Magazins der Süddeutschen Zeitung. Anhand der bewegten Biographie von Shafiq Syed wird demonstriert, welch positive wie negative Einflüsse der plötzliche Starstatus auf ein Slumkind haben kann: Ende der 80er Jahre wurde Syed über Nacht mit dem Film Salaam Bombay! zum Star. Salaam Bombay! gewann mehrere Preise in Cannes und war als bester ausländischer Film für den Oscar nominiert. Syeds Leben glich einer Fahrt in der Achtbahn: Vom Slum ins Luxushotel und zurück. Wie es heute um ihn steht und wie es um die Kinderstars von Slumdog Millionaire gut fünf Monate nach dem großen Sieg bei den Academy Awards bestellt ist, erfährt man in diesem Artikel des SZ-Magazins:

Ein indisches Märchen
Von Dirk Peitz


Mit dem Oscar-Film "Slumdog Millionär" wurden die Kinder Rubina und Azhar zu Stars. Aber was passiert, wenn die Kamerateams wieder weg sind? Shafiq Syed weiß es - er hat es vor 20 Jahren selbst erlebt.

Normalerweise zieht Shafiq Syed um halb sieben morgens die Haustür hinter sich zu. Seine Frau ist dann schon wach, doch die drei kleinen Kinder schlafen noch, auf dem Bett, das sich die ganze Familie teilt. Ein kleiner Raum für fünf, dazu Küche und Abstellkammer, zehn Quadratmeter insgesamt, das ist Shafiqs Zuhause. Die Gegend ist für indische Verhältnisse eine Kleinbürgersiedlung: keine Wellblechhütten, kaum Müll auf den Wegen aus roter Erde, der Strom fließt verlässlich, Wasser gibt es draußen aus dem Gartenschlauch. Die längste Zeit seines Lebens hat Shafiq von alldem nur geträumt.

Samstag, Juli 25, 2009

Short Cuts #13

War es bereits in den letzten zwei Folgen der Potter-Filmreihe so, dass Uneingeweihte, sprich Nichtleser der Romane, erhebliche Schwierigkeiten beim Verständnis der Handlung hatten, so dürften sie in Harry Potter and the Half-Blood Prince gänzlich aufgeschmissen sein. Im sechsten Teil geschieht im Grunde nichts anderes, als die Ausgangssituation für das Finale vorzubereiten. Die Figuren werden für den Endkampf in Position gebracht. Wer zu diesem Zeitpunkt die Hintergrundgeschichte nicht kennt, sollte diesen Film besser meiden, denn erklärt wird hier nichts mehr. Der einzige gute Grund, sich diesen Brückenfilm überhaupt anzusehen, besteht im Wunsch nach Komplettierung. Denn atmosphärisch, schauspielerisch und dramaturgisch ist die Geschichte vom Halbblutprinzen, den Horcruxen und Tom Riddles Vergangenheit beinahe ein Totalausfall. Öde, ermüdend, ja beinahe einschläfernd ist das alles. David Yates' Regie wirkt lieblos und uninspiriert. Zwar weiß er die Breitwand gelegentlich mit ansehnlichen Landschschaftspanoramen zu füllen, ein Gefühl für die erforderliche dramatische Dynamik entwickelt er jedoch zu keinem Zeitpunkt. Die einzelnen Szenen erscheinen beinahe willkürlich aneinandergeklebt, an mancher Stelle mittendrin abgebrochen oder auch unerträglich in die Länge gezogen. Yates lässt also jeden Sinn für gutes Timing missen. Da werden die pubertären Liebeleien ewig ausgedehnt und dafür erhellende Episoden aus Voldemorts Familiengeschichte ausgespart. Es werden Szenen neu erfunden, die den Plot kein Stück vorantreiben - als böte die Vorlage nicht genug Stoff. Das Finale wird dafür dann im Eiltempo erzählt. Bis auf Alan Rickman weiß auch keiner der Darsteller wirklich zu überzeugen. Bezeichnenderweise ist Rickman einer der wenigen, die dem Hang zum Overacting durchweg widerstehen, uns nicht mit schwer erträglichen Grimassen (siehe insbesondere Rupert Grint und Helena Bonham Carter) behelligen. Ja, es handelt sich bei diesem Auftakt zum Ende der erfolgreichsten Fantasy-Reihe aller Zeiten ganz klar um ein Desaster. Eines der besten Harry-Potter-Bücher wurde zum bislang schwächsten Film.

Fanboys: Die Idee klingt vielversprechend: Fünf Star-Wars-Nerds wollen im Jahr 1998, ein halbes Jahr vor der Episode 1-Premiere, in George Lucas' Skywalkerranch einbrechen, um eine Frühfassung des Films zu sehen. Auf dem Weg dorthin, müssen sie sich vor allem mit verfeindeten Trekkern auseinandersetzen. So weit so gut. Klingt nach einem Roadmovie. Ist auch eines. Doch leider eines, das kein Klischee auslässt: Schwulenbar, Drogenträume, böser Zuhälter auf den Fersen, Knast. Zwischen all diesen gewöhnlichen Komödienzutaten erscheint die ernste Krebs-Nebenhandlung (einer der Nerds hat nicht mehr lange zu leben) wie ein Fremdkörper. Trotz dieser offensichtlichen Defizite hält Fanboys für Fans beider großen SciFi-Serien natürlich unendlich viele Anspielungen, Gags und Cameos bereit. Und diesem Dauerbeschuss erliegt man auch. Dass George Lucas sein Wachpersonal in THX 1138-Uniformen inklusive Masken arbeiten lässt, William Shattner einmal mehr seinen Sinn für Selbstironie unter Beweis stellt oder Harry Knowles (Ethan Suplee) als ungekrönter König der Geeks den Star-Wars-Nerds den Arsch versohlt, lässt diese Komödie dann doch sehenswert werden. Ein DVD-Release hätte aber wohl gereicht, denn optisch hat Fanboys nichts zu bieten, was nach einer großen Leinwand verlangt.

Freitag, Juli 10, 2009

Short Cuts #12

Fighting hat schon jetzt, knapp sechs Monate vor der Deadline, gute Chancen zum schlechtesten Film des Jahres gekürt zu werden. Hier kommt alles zusammen, was nicht zusammengehört: Ein einfallsloses Drehbuch, das sämtliche Klischees des Hau-und-Prügel-Genres bedient (arme aber talentierte und aufrechte Dumpfbacke verdient endlich reichlich Geld durch illegale Kämpfe und verliebt sich in eine Bardame), talentfreie Schauspieler (Channing Tatum, Zulay Henao) und Schauspieler, die deutlich unter ihren Möglichkeiten bleiben (Terrence Howard, Luis Guzmán) stottern, spucken und stammeln belanglose Sätze, die sie dann auch noch dreimal wiederholen (Is that a lot of money? - Yeah, that's a lot of money. - Man, that's a lot of money!). Da ist es nur konsequent, diese auch langweilig abzufilmen und den Look des Films auf TV-Niveau zu halten (Kamera: Stefan Czapsky). Ein trendiger Soundtrack sorgt dafür, dass sich die Zielgruppe der 10- bis 16-jährigen trotz der offensichtlichen Mängel einigermaßen wohlfühlen dürfte. Alle anderen haben eben Pech gehabt.


Wer den Trailer zu The Hangover kennt, muss den Film nicht mehr sehen, denn der Trailer schafft in 65 Sekunden, wofür der Film 100 Minuten benötigt. Für die drei oder vier guten Gags, die der Trailer nicht zeigt, kann man auch getrost auf die DVD warten. Es nimmt auch niemand Schaden, der auf diese Komödie gänzlich verzichtet. Wie bei Fighting wird die Teenage-Generation hier zweifellos ihren Spaß haben. Immerhin sind die Jokes nicht so platt-vulgär wie in der American-Pie- oder Scary-Movie-Reihe. Das sei dieser Mainstreamsommerlachgranate positiv angerechnet. Zusätzlich stellt sich Schadenfreude ein, wenn man vernimmt, dass Lindsay Lohan dem Drehbuch nicht ganz zu Unrecht „kein Potential“ bescheinigte und die Rolle der Stripperin Jade deswegen ablehnte. Nun hat der Film in der Zwischenzeit beachtliche 210 Millionen Dollar eingespielt – mangelndes finanzielles Potential kann man diesem künstlerisch bestenfalls mittelmäßigen, wirtschaftlich jedoch klug kalkulierten Werk sicherlich nicht vorwerfen. Ein guter Film ist The Hangover deshalb noch lange nicht.

Dienstag, Juli 07, 2009

2012: It's a Disaster!!!

Für all jene, die den nächsten Emmerich nicht erwarten können!

Samstag, Juli 04, 2009

Filmtipp: White Dog


White Dog ist erst vor kurzem in den USA in einer luxuriös ausgestatteten Criterion Edition erschienen. Zuvor war dieses in den USA kontrovers diskutierte Spätwerk Samuel Fullers (The Naked Kiss) nicht einmal auf VHS erhältlich. In Deutschland flimmerte White Dog hingegen bereits in den 80er Jahren über TV-Bildschirme. Ein erwähnenswerter Unterschied im Umgang mit Fullers umstrittener Fabel. Ursprünglich war White Dog von Paramount als eine Art Hundeversion zu Spielbergs Jaws geplant. Doch die Studio-Verantwortlichen schätzten den Co-Autoren Curtis Hanson falsch ein. Dass Fuller noch nie Angst davor hatte, Grenzen jedweder Art zu attackieren, hätte ihnen allerdings nach einem kurzen Blick auf sein bisheriges Schaffen klar sein müssen.

Des Nachts fährt die Hollywood-Actrice Julie Sawyer (Kristy McNichol) versehentlich einen strahlend weißen deutschen Schäferhund an. Sie pflegt ihn gesund und erfreut sich zunächst an dessen Beschützerinstinkt. Doch kurze Zeit später muss sie erkennen, dass ihr neuer weißer Freund darauf abgerichtet worden ist, Schwarze anzugreifen und zu töten. Was tun? Julie entscheidet sich dazu, die Bestie vom schwarzen Hundetrainer Keys (Paul Winfield) umerziehen zu lassen.

Wanna play?

White Dog ist vom Storyverlauf ein B-Movie, das jedoch durch Fullers inszenatorisches Geschick eine Qualität erreicht, die über Genrebegrenzungen hinausgeht. Schon der Anfang ist ungewöhnlich: Nach den Credits zur großartigen musikalischen Begleitung Ennio Morricones, die es vermag, fast übergangslos zwischen Zartheit und Bedrohung zu schwanken, hören wir den Unfall, sehen ihn aber nicht. Fuller verzichtet also auf einen großen Schaueffekt zu Beginn und konzentriert sich auf die Konsequenz des Unfalls: die Beziehung zwischen Julie und dem Hund.

In bewusst simpler Metaphorik stellt White Dog Rassismus als eine erlernte Eigenschaft, als potentiell heilbare Krankheit dar und liegt somit auf der Linie eines radikalen Behaviorismus. Die Schluss-Pointe relativiert diese Haltung zu einem gewissen Grad, lässt in ihrer mangelnden Eindeutigkeit jedoch Raum für unterschiedliche Interpretationsansätze. Ist der durch den weißen Hund repräsentierte Rassismus nicht heilbar oder lediglich modifizierbar? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage lässt der Film nicht zu. Und während in dieser Mehrdeutigkeit eine klare Stärke liegt, erlaubt der Mangel an möglichen Erklärungsansätzen für die Gründe und Ursachen von Rassismus einen berechtigten Ansatz zur Kritik. Rassismus wird als ein gesellschaftlich vorhandenes Phänomen lediglich dargestellt – welche Motive dahinter stehen, welche Formen Rassismus annehmen kann, diese Ebenen blendet Fuller aus und verspielt so die Chance, rassistisches Verhalten zu erklären. In einer Schlüsselszene am Ende, als sich der ursprüngliche Besitzer, umgeben von zwei Enkelinnen im Sonntagskleid, bei Julie vorstellt und unverblümt eingesteht, es handele sich um den besten „white dog“, den er je gehabt habe, reagiert Julie mit hilflosen Beschimpfungen. Genau hier wäre es jedoch spannend gewesen, nachzuhaken und den Hintergrund des alten Mannes auszuleuchten. Dafür hätte man einige Szenen, wie etwa den vorübergehenden Ausbruch des Hundes, über Bord schmeißen können, weil hier nichts Neues erzählt, sondern lediglich Bekanntes variiert wird.

Ursprünglicher Hundebseitzer mit Enkelinnen: Hätte wie anfangs geplant Roman Polanski Regie geführt, wären die Hintergründe für die Abrichtung des Hundes womöglich angerissen worden. Polanski musste zu dieser Zeit jedoch aufgrund einer Anklage wegen sexuellen Missbrauchs die USA verlassen.

Die Kämpfe zwischen Trainer und Hund sind im Übrigen fantastisch choreographiert, von Kameramann Bruce Surtees (Dirty Harry) blendend bebildert und von Bernard Gribble (Top Secret!) packend montiert. Insgesamt wirkt White Dog jedoch leider uneinheitlich – Julie verkommt in der zweiten Hälfte zu einer Nebenfigur, ihr Freund verschwindet ohne Erklärung völlig von der Bildfläche. Darüber hinaus gibt es Szenen, die die ursprüngliche Intention des Studios, einen Horrorfilm mit einem Hund machen zu wollen, sehr deutlich erkennen lässt. Diese etwas willkürlich wirkenden Einschübe beißen sich mit der grundlegenden Atmosphäre.

All diese Kritikpunkte, so berechtigt sie seien mögen, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei White Dog um eine spürbar persönliche Arbeit Fullers handelt, in der er ein weiteres Mal seine Sozialkritik deutlich zum Ausdruck bringen konnte. Vielleicht ist White Dog auch einfach nur zur falschen Zeit erschienen – es darf nämlich angezweifelt werden, dass zehn Jahre zuvor ein derartiger Film auf so massiven Widerstand gestoßen wäre. Anfang der 80er jedoch, in der Zeit des Conservative Backlash hatte der Stoff von Anfang an schlechte Karten.

Mittwoch, Juli 01, 2009

Bottle Shock


„Wine is sunlight held together by water.“ (Galileo Galilei)

Der unerwartete Erfolg des charmanten Independent-Streifens Sideways zieht eine ganze Reihe von Filmen nach sich, die ebenfalls den edlen Rebensaft zum Thema erklären. Nach A Good Year oder Race You to the Bottom nun also Bottle Shock. Ein Blick auf die Besetzungsliste ist vielversprechend: Alan Rickman, Bill Pullman, Dennis Farina und Freddy Rodriguez geben sich hier die Ehre. Auch der Plot scheint tauglich zu sein für einen Spielfilm, denn es wird die „wahre Geschichte“ vom internationalen Durchbruch der kalifornischen Weine erzählt: Wir schreiben das Jahr 1976. Der im Kreis der Pariser Weinelite als Außenseiter dahindarbende britische Snob Steven Spurrier (Alan Rickman) tritt eine Reise nach Kalifornien an, um die dortigen Weine zu verkosten und die besten in einem Wettbewerb gegen die angesehensten französischen Weine, die die weltweit höchste Reputation genießen, antreten zu lassen. Zugleich kämpft ein kalifornischer Winzer (Bill Pullman) mit seinem Hippie-Sohn (der junge Kirk persönlich: Chris Pine) ums finanzielle Überleben. Eine blonde Praktikantin (Rachel Taylor) und ein mexikanisches Gaumen-Genie (Freddy Rodriguez) sorgen für Nebenhandlungen.

Leider haben die Drehbuchautoren Galileos weisen Ausspruch, dass Wein Sonnenlicht ist, welches von Wasser zusammengehalten wird, lediglich im Film zitiert, jedoch nicht auf ihre eigene Arbeit übertragen. In Bottle Shock wird nämlich nichts zusammengehalten. Es läuft alles auseinander. Die Geschichte entwickelt zu keinem Zeitpunkt Momentum. Sie plätschert einfach vor sich hin. Die Figuren, die wie im Fall von Spurrier auf realen Personen basieren, werden zu billigen Stereotypen degradiert – das haben die Schauspieler offensichtlich bei den Dreharbeiten bemerkt, so gelangweilt wie sie vor der Kamera agieren. Rickman ist dank seines Talents fürs Komische der einzige Lichtblick in diesem Auflauf von Klischeefiguren: Da wäre der starrköpfige, allein erziehende Vater mit dem Herzen am rechten Fleck, der erwachsene aber träge Sohn mit dem Herzen am rechten Fleck und die sexy Praktikantin mit dem Herzen am rechten Fleck. Die Handlungsträger in Bottle Shock sind allesamt Gutmenschen. Antagonisten gibt es nicht. Dafür aber reichlich Helikopter-Aufnahmen von Weinanbaugebieten in Kalifornien und ein Finale mit einem wirklich überraschenden Ausgang (Vorsicht: Ironie!).

Bottle Shock macht dem Titel alle Ehre und ist tatsächlich ein echter Schock. Nur Alan-Rickman-Fans kann man dieses Desaster bedenkenlos empfehlen. Alle anderen sollten diesem gepanschten Gemisch aus...was eigentlich?...fernbleiben. Das hat auch der deutsche Verleih erkannt, der Bottle Shock lediglich eine Videothekenpremiere spendiert. Lieber noch einmal Sideways ansehen, denn um Bottle Shock als erträglich einzustufen, muss man schon reichlich Traubensaft in sich reinschütten.

Mittwoch, Juni 24, 2009

TV-Tipp: Blow Out

Blow Out wurde von De-Palma-Anhängern mehrmals zu seinem besten Film gewählt. Dies geschah nicht ohne Grund, denn das komplexe Gebilde aus Anspielungen, Verweisen und Brechungen erzeugt hier eine nahezu unerreichbare erzählerische Dichte. In Zeiten von Bush Junior wurde der Film des Öfteren zu einer Art politischen Offenbarung erklärt. Blow Out ist einmalig. Er ist Dekonstruktion eines B-Movies und intertextuelle Fundgrube zugleich. Darüber hinaus ist er ein zutiefst menschlicher Film, der zeigt, was für ein sensibler Mensch De Palma im Kern doch sein muss.

Tele 5 zeigt Blow Out am kommenden Sonntag, den 28.06.09 um 22.10 Uhr und in einer Wiederholung um 02.00 Uhr nachts.

Short Cuts #11

Taken: Was für eine Adrenalin-Granate! Keine 90 Minuten dauert Liam Neesons Rachefeldzug und keine Sekunde wird mit überflüssigem Beiwerk verschwendet: Nach einer knappen Exposition geht's für den Zuschauer nur noch darum, sich auf animalisch-instinktivem Niveau mit der Hauptfigur zu identifizieren, wenn sie sich auf der Suche nach der gekidnappten jungfräulichen 17-jährigen Tochter durch die französische Unterwelt metzelt. Muss man sich dafür schämen, wenn man diesen implizit rassistischen Selbstjustiz-Reißer genießt, wenn es einem sardonische Freude bereitet, wie Neeson zur Erreichung seines Ziels kaltblütig, brutal und gnadenlos wütet, foltert und mordet? Nein, lautet die kategorische Antwort. Denn Taken macht nie einen Hehl daraus, in einem wirklichkeitsfernen Raum zu spielen. Fazit: Der abgedroschene Begriff "tour de force" trifft hier voll und ganz zu.


Der Felsen: Dominik Grafs DV-Film aus dem Jahr 2002, der die Liebesgeschichte zwischen einer innerlich verlorenen Mitdreißigerin und einem verurteilten jugendlichen Straftäter erzählt, besticht sowohl durch die überaus ungewöhnliche Ausgangskonstellation für ein Liebesdrama als auch durch die rauhe, grobkörnige, oftmals unscharfe Ästhetik der digitalen Aufnahmen. Lediglich im Mittelteil wirkt dieser experimentell anmutende Streifen etwas zäh. Hier wurde nicht konsequent genug reduziert, der Kern nicht gründlich genug herausgeschält. Der Grund: DV-Material ist billig. Dementsprechend viel wurde vermutlich gedreht - da muss man auch Szenen über Bord schmeißen können. Abgesehen davon fallen manche Drehbuchsätze wie bei den meisten Graf-Filmen sehr bemüht und affektiert aus. Doch das gehört irgendwie zu einem echten Graf dazu. Fazit: Der Felsen zählt zu den besseren deutschen Filmen dieses Jahrzehnts.


The Boy in the Striped Pyjamas: Meiner Klasse, mit der ich John Boynes Vorlage im Deutschunterricht gelesen habe, hat der Film überhaupt nicht gefallen. Hauptgrund: Die etlichen Änderungen zur Vorlage. Ich sehe das etwas differenzierter, denn den Grundton hat Mark Herman gut getroffen, die wesentlichen Aspekte von Boynes Fabel bildlich umzusetzen gewusst, ja, auch die naive Perspektive Brunos überraschend stimmig ins andere Medium transferiert. James Horners Begleitung, die manch einer vielleicht als zukleisternde Klangsoße abtun wird, passt ebenfalls zum Ton der Geschichte. Die Schauspieler (allen voran David Hayman in der Nebenrolle als Pavel) sind gut besetzt. Die abschließende Parallelmontage zu Horners immer lauter aufspielender Musik, die in plötzlicher, absoluter Stille gipfelt, beinahe ein Geniestreich. Fazit: Gelungene Literaturadaption, die keine Kompromisse eingeht.

Dienstag, April 14, 2009

kulturzeit über Verhoevens Jesus-Buch

Als kleinen Nachschlag zum letzten Post gibt's jetzt noch einen kulturzeit-Bericht zu Paul Verhoevens Jesus-Buch:


Sonntag, April 12, 2009

Paul Verhoeven über Jesus


In der heutigen Osterausgabe des Taggesspiegel erklärt Paul Verhoeven sein Verhältnis zu Jesus, warum sich über Religulous in den USA kein Mensch aufgeregt hat und dass es um seinen Jesus-Film, sollte er je gedreht werden, bestimmt mehr Aufregung gäbe.


"Liebe ist nur ein Trick der Natur"

Paul Verhoeven forscht seit 25 Jahren über den historischen Jesus. Er vergleicht ihn mit Che Guevara und sagt: Ein Jesus-Film wäre gefährlich.

Paul Verhoeven, 70, wurde in Den Haag geboren. Der promovierte Mathematiker ist der erfolgreichste holländische Regisseur. 1985 ging er nach Hollywood und drehte dort Filme wie „Basic Instinct“, „Robocop“ und „Total Recall“. Jetzt erscheint Verhoevens erstes Buch: „Jesus – Die Geschichte eines Menschen“.

Herr Verhoeven, wissen Sie, dass man Sie in Deutschland oft mit dem Regisseur Michael Verhoeven verwechselt, dem Ehemann von Senta Berger?

Ich kenne Michael, wir haben in den 70ern für denselben Produzenten gearbeitet. Aber ich werde nicht nur mit ihm verwechselt, sondern auch mit seinem Vater Paul. Der war ebenfalls Regisseur. Manchmal passiert es sogar, dass jemand Filme von ihm in meinen Lebenslauf mischt. Ich müsste demnach steinalt sein. Dieser Paul Verhoeven hat schon 1936 „Der Kaiser von Kalifornien“ gedreht.

Wenn man dann erklärt, Sie seien der Regisseur von „Basic Instinct", sagen die Leute: Ah, das ist doch der, der Sharon Stone unter den Rock filmte!

Die Szene hat eine lustige Vorgeschichte: Eine Kommilitonin von mir tauchte in den 60ern auf einer Party auf, hatte keinen Slip an und kreuzte immerzu die Beine. Einer meiner Freunde machte sie darauf aufmerksam, dass alle sie anstarrten. Aber sie sagte nur, ich weiß, deshalb mache ich es ja.


Dienstag, Februar 10, 2009

Kulturzeit über 70mm-Filme

Der Februar ist einer der härtesten Monate in meiner neuen Heimat Niedersachsen. Warum? Weil ich aus der Ferne miterleben muss, wie tolle Filme auf der Berlinale laufen. Der Wettbewerb interessiert mich dabei allerdings am wenigsten. Diese Filme bekommt in der Regel ein paar Wochen später auch noch regulär im Kino zu sehen, spätestens aber auf DVD sind sie dann leicht greifbar zu machen. Nein, das Interessanteste läuft normalerweise im Panorama, Forum und dieses Jahr ganz besonders in der Retrospektive! Wann und wo bekommt man sonst schon unlängst restaurierte 70mm-Schätze auf der großen Leinwand zu sehen?

Ja, manchmal ist das Leben hart. Jetzt brachte kulturzeit gestern auch noch einen Bericht über eben diese Filme...

Donnerstag, Januar 22, 2009

Cahiers du cinéma wählt Redacted zum besten Film 2008

Das altehrwürdige und vielleicht beste Filmmagazin der Welt Cahiers du cinéma hat kürzlich seine Favoriten des Jahres 2008 veröffentlicht. Brian De Palmas Redacted landete dabei auf Platz eins! Die vollständige Liste kann man hier abrufen.