Samstag, Januar 21, 2017

Gedrucktes: The Godfather Notebook

Francis Ford Coppola macht dieser Tage vor allem kulinarische Schlagzeilen: Der 77-jährige schloss unlängst einen exklusiven Catering-Vertrag mit der amerikanischen Filmakademie ab. Der passionierte Winzer darf bei den kommenden drei Oscarverleihungen als Sponsor auftreten und die Stars mit den Traubensäften seines Weingutes abfüllen. Sogar für das derzeit stattfindende Sundance-Festival liefert Coppola den Wein. 

Seine Liebe zu gutem Essen und Trinken lässt sich auch in seinen Filmen entdecken. Im ersten Godfather-Film gibt es beispielsweise eine Szene, in der Michael Corleone erklärt wird, wie er anständige Fleischbällchen zubereitet - nämlich mit einem ordentlichen Schuss Rotwein! Ein Moment, der so nicht in Mario Puzos Romanvorlage zu finden ist. 

Puzos Bestseller ist Ende letzten Jahres in einer für Film- und Godfatherfans wahnsinnig interessanten Fassung erschienen: in der Arbeitsausgabe Francis Ford Coppolas, der dieses Buch The Godfather Notebook taufte. 

In einer Doku, die auf einigen BD/DVD-Ausgaben des Godfather zu finden ist, hatte Coppola sein Godfather Notebook bereits vorgestellt und erklärt. Dass es jedoch jemals als eigenständiges Werk verlegt werden wird, damit hatten wohl nicht einmal die treusten Godfather-Fans gerechnet. Umso größer war dann die Freude - die Limited Edition von 500 Exemplaren mit aufwendiger Ringbuchbindung und Autogramm des Regisseurs war trotz des beachtlichen Preises von 500 Dollar innerhalb kürzester Zeit vergriffen (eine zweite Limited Edition ist offenbar in Planung). 

Je mehr der Vorlagentext von Kommentaren umzingelt ist, desto wichtiger ist die Szene. Hier: Michael tötet Sollozo.

Für etwa ein Zehntel des Preises kann man den Bildband nun aber auch in normal gebundener Form oder als Taschenbuchausgabe erwerben. Und es ist ein großer Spaß, durch die Seiten dieses 2-Kilo-Schinkens zu blättern und die Randnotizen Coppolas zu studieren. Doch wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Buch? 

Coppola erläutert dies in einem einleitenden Essay. Nachdem er wusste, er würde The Godfather verfilmen, las er Puzos Roman ein zweites Mal und wandte anschließend eine Technik an, die er als Student gelernt hatte: Er erstellte ein 'prompt book', eine Art Regiebuch. Hierfür zerlegte er eine neue Ausgabe des Romans und klebte die einzelnen Seiten auf 8,5'' x 11''-Blätter, die er zuvor mittig so ausgeschnitten hatte, dass die Romanseiten in die Blätter einklebbar waren, man Vorder- und Rückseite des Romantextes nach dem Einkleben lesen konnte. Jetzt war es möglich, Notizen zum Roman an den breiten Rand zu schreiben. Genau das tat Coppola, nachdem er die Blattsammlung in einen gewaltigen Ringbuchordner geheftet und den Roman ein wenig umstrukturiert hatte.

Er gliederte Puzos Text in fünf Akte und diese wiederum in 50 Abschnitte, er änderte an manchen Stellen die Chronologie und schmiss Episoden aus dem Buch, von denen er wusste, er werde sie aus verschiedenen Gründen nicht realisieren. Jeden der 50 Abschnitte leitete er mit Vorüberlegungen ein, die er erneut in fünf Teile gliederte: 1. Inhalt 2. Die Zeitepoche 3. Bilder und Atmosphäre 4. Der Kern 5. Fallgruben. 


Coppolas Vorüberlegungen zur Attentatsszene auf Don Corleone.

Nun las er den gesamten Roman ein drittes Mal sehr genau und versah Puzos Text mit Kommentaren, unterstrich und umrahmte wichtige Passagen in verschiedenen Farben, um über Dramatisierung und Akzentuierungen Klarheit zu gewinnen. 

Abschließend verfasste er eine elfseitige Liste mit Kurzcharakterisierungen aller Figuren, die er dem kommentierten Romantext voranstellte. 

Erst jetzt schrieb Coppola auf der Grundlage des Notebooks das Drehbuch, was nach all der Vorarbeit relativ schnell vonstattenging. Alleine daran lässt sich erkennen, welch zentrale Bedeutung der Romanvorlage und dem Notebook zukommen. Mario Puzo erhielt das Drehbuch abschnittweise per Post, schrieb Coppolas Vorschläge um oder segnete sie ab. 

Während des Drehs verließ sich Coppola auf sein Notebook: "When I went to shoot the movie, I had this notebook in my big brown bag; I would schlep it around from location to location, and it was always with me, throughout the shooting of the entire film. There was a script, obviously, which was used by the production team and actors, but I really directed the film using the notebook because it had the actual book rather than a screenplay, which had left so much out, so I was able to review not only Mario Puzo's original text, but all my first notations as to what was important to me or what I really felt was going on in the book. The notebook was a kind of multilayered road map for me to direct the film, and the script was really an unnecessary document for me. I didn't need a script because I could have made the movie just from this notebook.

Da Coppola der hohe Stellenwert des Notebooks bewusst war und er Angst hatte, es zu verlieren, schrieb er einen Hinweis aufs Deckblatt, dass es einen Finderlohn für das Buch gebe. 

The Godfather Notebook ist einen genialer Werkstattbericht, der auf mehreren Ebenen große Freude bereitet. Er ermöglicht einen unverstellten, unmittelbaren Eindruck in den Entstehungsprozess des ersten Godfather-Films - die Randnotizen zeigen, wie Coppola den Film vor seinem geistigen Auge vorstrukturierte, welche Passagen ihm besonders gefielen, welche er weniger mochte und bei welchen er mit sich rang, weil er nicht recht wusste, wie er sie filmisch umsetzen sollte. Die den einzelnen Abschnitten vorangestellten Vorüberlegungen interpretieren Puzos Text aus dem Blick eines Filmemachers, der an so konkrete Dinge wie Zeitplan und Budget denken muss. Und die Anmerkungen lassen deutlich werden, wie viel Arbeit Coppola investierte - allein der Umfang (784 Seiten) ist enorm.

Auf einer ganz anderen Ebene funktioniert das Buch aber auch. Immer wieder bemerkte ich beim Durchstöbern des Notebooks, wie ich mich in Puzos geschmeidiger Prosa verlor, wie mich sein Roman erneut gefangennahm. The Godfather Notebook ist ein Filmbuch, das die Sammlung eines jeden Filmfreundes bereichert. Für Cineasten hochinteressant, für Liebhaber des Films absolute Pflicht. 

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