In den vergangenen Jahren wurde in Filmen so viel gefoltert wie noch nie. Das beschränkt sich keineswegs auf das Horrorgenre, findet dort aber den stärksten Ausdruck. In Mel Gibsons The Passion of the Christ wird Jesus in einem zweistündigen Martyrium, wie es ein Freund von mir zynisch ausdrückte: "zur Blutwurst verarbeitet". Schon das Ende von Braveheart oder einige Szenen in Mad Max, Payback und Lethal Weapon ließen Gibsons Vorliebe für eine "Erlösungsfolter" offenkundig werden: Der reine Held wird von seinen Widerstreitern heftig gefoltert, um sie in der Regel anschließend als nicht weniger brutaler Racheengel mit dem Tod zu bestrafen.
Nun will ich Mel Gibson seinen Hang für solch folterfröhliche Erlöserrollen nicht vorwerfen. Denn in der westlichen Welt ist die Folter historisch wohl am stärksten an die christliche Kirche gebunden. Eine Religion, deren zentrales Symbol ein altertümliches Hinrichtungsinstrument ist, auf dem sich der gefolterte Leib Jesu befindet, hat seine Spuren im Denken der Menschen sicherlich hinterlassen. In diesem Zusammenhang wundert mich allerdings des Öfteren die Scheinheiligkeit einiger Geistlicher, die sich erst über die Brutalität von Filmen und Computerspielen aufregen, anschließend in die nächste Kathedrale rennen, um die symbolische Bedeutung eben jener brutalen Folterszene zu verehren. Aber das ist ein weites Feld und führt vom eigentlichen Thema ab.
Die Kirche legitimierte mit der Gründung der Inquisition die Folter, was zwar äußerst unangenehm für unzählige vermeintliche Ketzer und Hexen endete, andererseits Literatur, Theater, Malerei und Film mit ordentlich Stoff versorgte. Von Potocki (Handschrift von Saragossa) über Poe (Die Grube und das Pendel) und Kafka (In der Strafkolonie) bis Eco (Der Name der Rose) wirkten die Taten der Inquisition literarisch stimulierend.
Von der Kirche sanktionierte, lustvolle Darstellung von Folter.
Die barocken Wandertruppen folterten in vielen ihrer Aufführungen sogar schon unter Zuhilfenahme komplizierter Tricks. Ein großer Publikumsliebling war Shakespeares blutigste Tragödie Titus Andronicus in einer bearbeiteten Fassung. Knapp 300 Jahre später öffnete das Grand Guignol Theater in Paris seine Pforten. In den dort aufgeführten kurzen Stücken wurde ebenfalls heftig gefoltert.
Machen wir einen weiten Sprung in die 70er Jahre und begeben uns in einen fensterlosen Raum mit Dustin Hoffman und Laurence Olivier: Die Zahnarzt-Verhörszene in Marathon Man, in der Olivier Hoffman mit seinem Zahnarztbohrer foltert, um an Informationen zu gelangen, dauerte in der ursprünglichen Fassung angeblich knapp acht Minuten. Doch in diversen Previews stand das Publikum bei dieser Szene geschlossen auf und verließ das Kino. Schlesinger kürzte die Szene mehrfach, doch ohne Erfolg: Die Zuschauer verließen stets den Saal. In der Kinofassung war schließlich nur noch zu sehen, wie Olivier den Bohrer einschaltet und noch bevor dieser Hofmanns Zähne berührt, schneidet der Film zurück auf Olivier, wie er den Raum verlässt und erklärt, Hoffman habe nichts gewusst. Ob ein heutiges Mainstream-Publikum immer noch so reagieren würde? Ich vermute schon, denn im Gegensatz zu den Folterszenen in einem Horrorfilm wie Saw zeigt Marathon Man eine für jeden Zahnarztbesucher nachvollziehbare Form der Folter. Das Anlaufen gegen einen Stacheldrahtzaun in Adamskostüm (Saw) zählt wohl nur selten zum persönlichen Erfahrungsschatz des gewöhnlichen Kinobesuchers. Michael Hanekes Funny Games, von dem er gerade ein US-Remake dreht, kommt einer solchen Marathon-Man-Realität wohl noch am Nähesten.
In den 70er Jahren drehte der Spanier Jesus Franco einige Folterfilme (z. B. Frauengefängnis). Diese waren offenbar in erster Linie dazu gedacht, die männlichen Zuschauer auf S&M Ebene zu erregen. Große Geschichten erzählten die Streifen jedenfalls nicht einmal, wenn sich Franco einen bedeutenden Stoff wie Jack the Ripper vornahm und dafür Schauspieler wie Klaus Kinski rekrutierte. Als Exploitation-Trash können sie dennoch gut unterhalten.
Zurück zu Hostel: Auch wenn ich einiges an Eli Roths zweitem Film zu kritisieren habe, auf das ich hier nicht eingehen möchte, so halte ich Hostel doch für einen der ehrlichsten Horrorfilme vergangener Jahre. Denn während mir der Plot in Roths überschätztem Cabin Fever zu fantastisch ist, um nachhaltig zu schockieren, betritt Hostel in der zweiten Hälfte ein Terrain, bei dem man sich fragt, ob es solche Folterverliese vielleicht wirklich gibt. Die Genauigkeit, mit der die Funktionsweise der vermodernden Fabrikhalle vorgeführt wird, trägt maßgeblich dazu bei, dem Geschehen Glaubwürdigkeit einzuhauchen. Wie Roth bei der diesjährigen Berliner Fantasy Filmfestnacht sagte, habe er bewusst weltpolitische Geschehnisse wie die Exekutionen US-amerikanischer Soldaten durch extremistische Iraker oder Abu Ghraibs Folterbilder als Anregungen in seinen Film einfließen lassen wollen: Der Gedanke, dass es irgendwo einen Raum gebe, aus dem man mit all dem Geld der Welt der Folter und dem Tod nicht entkommen könne, sei die beängstigende Grundidee gewesen, die ihn fasziniert habe. Und ist nicht genau das "horror at its best"? Wenn Ängste, die politischen Ursprungs sind, aufgegriffen und in Bilder verpackt werden? Ich finde nicht einmal, dass Roth diese Zusammenhänge platt rüberbringt - man vergleiche Joe Dantes Masters of Horror Episode Homecoming, in der tote US-amerikanische Soldaten als Zombies zur Wahlurne torkeln. Bei Dante wird einem die politische Message mit dem Dampfhammer eingebläut. Roth enthält sich eines Kommentars und beschränkt sich auf das Zeigen. Der Zuschauer erkennt die Bilder wieder und weiß sie ohne explizite Erklärung in den politischen Zusammenhang zu setzen.
Es ist gegenwärtig unmöglich, an das Folterthema unpolitisch heranzugehen. Die meisten erfolgreichen US-Serien sparen nicht mit Folterbildern. Bei 24 ist das Foltern schon zum Running Gag verkommen: Im Laufe einer Staffel sitzt bestimmt jeder Darsteller irgendwann einmal auf dem Folterstuhl. Als Jack Bauer in der zweiten Staffel wiederholt muslimische Fundamentalisten foltert, wurde FOX (sicherlich nicht ganz zu unrecht) Folter-Propaganda vorgeworfen - Folter sollte als legitimes Mittel erscheinen, wenn die Umstände es "rechtfertigen". Es seien ja schließlich die Bösen, die dem Folterknecht überantwortet werden. Nicht ganz: Hin und wieder weiß der Betroffene tatsächlich nichts, oder Jack Bauer wird selbst zum Opfer der Folter.
Folter scheint alle Kulturen miteinander zu verbinden. Den asiatischen Bondage-Folter-Fetisch will ich nur erwähnt wissen - jedenfalls sind die Filmemacher des Ostens derzeit auch fleißig am Foltern. Takashi Miike hat nicht nur einen Gastauftritt in Hostel, er ist auch selbst als Filmemacher fasziniert von der Folterkunst. Das Bild unter der Überschrift dieses Posts stammt aus seiner Masters of Horrors Episode Imprint, die als einzige Folge der ersten Staffel nicht im US-Pay-TV-Kanal ausgestrahlt worden ist. Der Koreaner Chan-wook Park thematisiert in seiner Rachetrilogie ebenfalls wiederholt die Folter: Im Abschlussfilm Sympathy for Lady Vengeance stellt eine lange Foltersequenz sogar den Schlüssel zum Verständnis der Handlung dar.
Auch der neue Bondfilm Casino Royale, der nächste Woche in die Kinos kommen wird, hat im Vorfeld für Aufsehen gesorgt, weil eine Folterszene angeblich zu gewaltvoll sei. Warten wir's ab, eine "haste nich jesehen DVD Edition" wurde damit indirekt angekündigt.
Links zum Thema:
Etwas Makaberes: Eine Top 10 Liste von Filmfolterszenen
Etwas Bildendes: Folter bei Wikepedia
Etwas Schockierendes: The Abu Ghraib Files
Etwas Feuilletonistisches: Kaputte Körper - Foltergewalt im Film
1 Kommentar:
Wirklich sehr schön analysiert und meiner Meinung auch vertiefenswert, aber machen wir uns doch nix vor: Wer guckt diese Filme im Hinblick auf den politschen Aspekt bzw. generelle Intentionen? Die meisten haben nicht genug Verstand um die Filme so zu verstehen, wie du sie verstehst...die Erfahrung habe ich zumindest gemacht.
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