Donnerstag, April 12, 2007

Filmtipp: The Killing of a Chinese Bookie


Die Handlung ist schnell umrissen: Der Nachtclubbesitzer Cosmo Vitelli (großartig: Ben Gazzara) verliert in einem Pokerspiel 23.000 Dollar. Da er nicht zahlen kann, soll er einen chinesischen Buchmacher liquidieren.

Um 27 Minuten kürzte John Cassavetes seinen Neo-Noir, zwei Jahre nachdem er 1976 in die Kinos gekommen war. Kritik und Publikum hassten The Killing of a Chinese Bookie inbrünstig. Als das Premierenpublikum nach reichlichen Buh-Rufen den Saal verließ, warnten einige der Premierengäste jene Kinobesucher, die für die Anschlussvorstellung anstanden: 'Spart euer Geld, der Film ist der letzte Dreck!' Eine Woche später war dieser atypische Gangsterfilm aus den US-Kinos verschwunden.

Doch Cassavetes schnitt die ursprüngliche Fassung nicht nur wegen der ablehnenden Haltung des Publikums um. Ihm missfiel auch das Tempo des Films. Er hatte ihn in Hetze schneiden müssen, nun wollte er sich genügend Zeit nehmen. Das Resultat wirkt nicht so behäbig wie die 135-minütige Erstfassung, ist leichter konsumierbar und insbesondere das rasantere Opening zieht einen stärker in den Film. Gleichzeitig enthält einem die 108-minütige Fassung Informationen vor, die zum Beispiel erklären, warum Cosmo überhaupt zum Pokerspiel fährt. Beide Versionen haben ihre Stärken und Schwächen. Und gewisse Nuancen kommen sogar erst in der kürzeren Fassung zur Geltung. Deshalb ist es verständlich, dass Criterion keine der Versionen einzeln veröffentlichen wollte, sondern beide zusammen in eine 2-Disc-Edition packte.

Eines ist sicher: In beiden Versionen erleben wir Cassavetes als einen Kino-Poeten. Die Zeit, die er sich dafür nimmt, die einzelnen Szenen ausspielen zu lassen, wie sehr er Gazzara mit der Kamera immer wieder auf die Pelle rückt und dort verharrt, als solle die Kamera ihn küssen, und der wohlüberlegte Einsatz von Musik bzw. die Abwesenheit einer musikalischen Begleitung: Das alles hebt Cassavetes weit über den Realismus eines Abel Ferrara, dessen Filme mir formal noch am ähnlichsten erscheinen. Cassavetes' Killing of a Chinese Bookie wirkt organisch und echt, und zwar nicht 'echt' im Sinne eines Abbildens sozialer Realität, sondern im Sinne der Glaubwürdigkeit von Figuren und Atmosphäre. Dazu tragen auch die Darsteller erheblich bei. Viele von ihnen sind Laien.


Die trashigen Stripteaseshows in Cosmos Club "Crazy Horse West" werden von talentlosen Darstellerinnen und einem noch talentloseren Ansager namens Mr. Sophistication (Meade Roberts) gespielt. Die Aufführungen bieten dabei neben einer hanebüchenen Story noch nicht einmal viel nackte Haut. Und doch: Man begreift sofort, dass Cosmo hier seine künstlerische Ader ausleben kann. Für Cosmo ist der Club ein Traum. Ein zentraler Punkt der Geschichte! Darauf weisen Gazzara und Ruban (Produzent und Kameramann) im Criterion-Interview hin: Die Gangster, die Cosmo zum Mord anstiften, verkörpern jene Mächte im Leben eines jeden Menschen, die einem den Lebenstraum zerstören wollen. Sie seien Seelenräuber. Und unter diesem Blickwinkel sei Gazzara bei den Dreharbeiten klar geworden, dass The Killing of a Chinese Bookie im Kern ein Film über den künstlerischen Kampf John Cassavetes' werden sollte.

Passend zu den Nachtgestalten, die The Killing of a Chinese Bookie bevölkern, verschwinden wiederholt Gesichter in Schatten oder das Bild ist dermaßen unterbelichtet, dass nur noch Umrisse wahrnehmbar sind. Zu großen Teilen ist es ein lupenreiner Dunkelfilm.


Einleitend habe ich geschrieben, es handele sich um einen "Neo-Noir". Doch in Wahrheit lässt sich Cassavetes elfter von insgesamt 15 Filmen keinem Genre zuordnen. Cassavetes selbst sagte wiederholt, er sei kein Gangsterfilm. Aber ganz stimmt auch das nicht. The Killing of a Chinese Bookie ist ein Grenzgänger, der mit Versatzstücken verschiedener Genres spielt, letztlich jedoch die Kriterien keines Genres komplett erfüllt. Aber genau das macht ihn so überragend: Seine Einzigartigkeit.

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