Dienstag, November 07, 2006

Filmtipp: Peeping Tom

Nachdem ich in meinen vorangegangenen Filmtipps zwei 40er-Jahre-Filme von Powell und Pressburger vorstellte, mache ich nun einen Sprung ins Jahr 1960. Es soll um einen Film gehen, der mit The Life and Death of Colonel Blimp und Black Narcissus bis auf den Namen des Regisseurs so gut wie nichts gemein hat: Peeping Tom (DT: Augen der Angst).

Peeping Tom ist ein Paradebeispiel dafür, wie sehr Kritiker mit ihren Urteilen daneben liegen können. Im Erscheinungsjahr 1960 wurde der Film durchweg verrissen - auf die übelste Art und Weise (in Auszügen hier nachzulesen). Die Zeit war noch nicht reif für die Geschichte um Kameramann Mark (Karlheinz Böhm), der Frauen während ihres Todes filmt und ihnen dabei einen Spiegel vorhält, so dass sie ihr eigenes Ende mitansehen müssen. Einflussreich auf die nächste Generation von Filmemachern war Peeping Tom natürlich trotzdem. Als Martin Scorsese den in der Versenkung verschwundenen Film in den 80er Jahren wiederaufführte, schwelgten die Kritiker plötzlich in den höchsten Tönen. So geht es ja seit Jahrhunderten in der Kultur: Die Moden der Zeit sind oft nicht das, was Bestand hat. Wird in 46 Jahren -so alt ist Peeping Tom- noch jemand Interesse an Borat oder The Devil Wears Prada haben? Ich melde entschiedene Zweifel an.

Sissi-Star Karlheinz Böhm strahlt in der Rolle des Mark eine charismatische und dennoch unheimliche Ruhe aus: Wie die Arbeitskollegen und Bekannten Marks, so bekommt auch der Zuschauer die Figur zunächst nicht richtig zu fassen. Wir wissen, er ist ein Mörder. Davon informiert uns Powell noch vor dem Vorspann, und zwar in frappierend ähnlicher Weise wie es ein gewisser John Carpenter 18 Jahre später in Halloween tun wird: durch die Perspektive des Killers. Aber wir können uns keinen Reim aus Marks Verhalten machen. Schließlich lernen wir, dass er als Kind von seinem Vater misshandelt wurde, selbst Opfer der Kamera gewesen ist.

Galt Peeping Tom vor einigen Jahren noch als Geheimtipp, befindet er sich heute im Kanon der wichtigsten Filme des 20. Jahrhunderts. Brachte Peeping Tom Michael Powell seinerzeit eine gehörige Kritikerschelte ein, ist es heute der Film, für den er als erstes erinnert wird.

Die Meinung der Kritik kümmerte die junge Generation von Filmemachern nicht: Peeping Tom beeinflusste ihre Werke nachhaltig. Links ein Capture aus Peeping Tom, rechts eines aus Brian De Palmas Studentenfilm Murder à la Mod.

Drei Monate nach der Veröffentlichung Peeping Toms erging es Alfred Hitchcock mit Psycho ähnlich, denn auch Psycho wurde von der Kritik zunächst gehasst. Die Filme sind ohnehin sehr verwandt: In beiden geht es um einen mordenden Psychopathen, der durch die Erziehung eines herrischen Elternteils zum Killer geworden ist. Im Gegensatz zu Norman Bates in Psycho möchte Mark in Peeping Tom durch den Akt des Tötens ein Kunstwerk schaffen. Der Augenblick des Todes, die auf Zelluloid gebannten Augen des Opfers, das Fenster zu Seele - hier finden mehrere Dinge zueinander: Mark sublimiert seine Libido in diese Gewaltakte, um durch sie ein radikales Kunstwerk zu erschaffen. Eine schockierende Metapher für die Filmkunst selbst.

Peeping Tom spielt mit einem der größten Themen des Kinos: Voyeurismus. Der Film ist in gewisser Hinsicht eine Selbstreflexion über das Kino. Michael Powell versuchte deshalb, den französischen Titel "Le Voyeur" in "Le Cineast" zu ändern. Erfolglos, wie uns dieses Poster verrät.


Die deutsche DVD ist leider nur bedingt empfehlenswert. Das Bild wirkt im Vergleich zu den 40er-Jahre-Filmen Michael Powells körnig. Allerdings lassen die Screencaptures bei dvdbeaver den Schluss zu, dass das Bild der Criterion Edition auch nicht wirklich besser ist. Viel ärgerlicher ist, dass sich Sprachen und Untertitel nur durch das Zurückspringen auf die Sprachauswahlebene (also noch vor das Hauptmenü) umstellen lassen. Eine neue, bessere Veröffentlichung wäre wünschenswert.

Links zum Thema:

Lesenswerte Kritik
DVD Review (Criterion Edition)

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