Pünktlich am Freitag, den 13. und zwei Wochen vor Halloween strahlte der Pay-TV-Kanal STARZ in den USA eine Dokumentation aus, die sich mit dem kommerziell erfolgreichsten Subgenre des Horrorfilms auseinandersetzt: Going to Pieces: The Rise and Fall of the Slasher Film. Die Doku basiert auf einem vor vier Jahren publizierten Sachbuch gleichen Titels von Adam Rockoff.
Den Film habe ich bedauerlicherweise noch nicht gesehen. Aber das Buch fand ich zu meiner Freude vergangenes Jahr unterm Weihnachtsbaum. Leider ist es nur als Hardcover zu haben und dementsprechend teuer. Eine deutsche Übersetzung gibt es bislang nicht.
Rockoff ist ein Fan des Genres seit Anfang der 80er Jahre, als Slasherfilme erstmals am Fließband produziert wurden. Aus Enttäuschung über den Mangel an Literatur über dieses künstlerisch nicht immer wertvolle, dafür ungemein lukrative Genre, beschloss er, selbst ein Buch zu schreiben.
Aber Rockoff hat nur teilweise Recht, was den vermeintlichen Bedarf an Literatur betrifft. So gab es lange vor der Veröffentlichung von Going to Pieces etliche filmwissenschaftliche Aufsätze und Abhandlungen zu Horror- und Slashergenre. Außerdem existieren eine ganze Reihe anekdotenreicher Horrorlexika. Allerdings, und hier liegen Neuland und Wert dieser 214 Seiten langen Schrift, gab es kein Buch, dass die Filmgeschichte der Slasher informativ, niveauvoll und leicht lesbar aufarbeitete, ohne sich dabei in der Trivialität belanglosen Fangeschwätzes zu verlieren. Going to Pieces ist die erste Hybride aus filmwissenschaftlichen Artikeln, dem Wissen der Fanlexika und nicht zuletzt langjähriger Rezeptionserfahrung.
Doch was ist eigentlich ein Slasherfilm? So lautet die einleitende Frage des Buches. Im Gegensatz zum Western oder Science Fiction lässt sich dieses Genre nämlich nicht ganz einfach definieren. Nach Rockoffs Meinung mache man es sich zu leicht, wenn man den Slasherfilm als einen Film definiere, in dem eine Gruppe gut aussehender Jugendlicher auf verschiedenste Art und Weise brutal abgeschlachtet wird. Rockoff arbeitet deshalb die häufigsten Merkmale der Slasherfilme unter Anführung unzähliger Beispiele anschaulich heraus. Als typische Charakteristika führt er den Killer, seine Waffenwahl, die Special Effects, das Setting, das zurückliegende (meist traumatische) Geschehen, das Final Girl, die Killerperspektive sowie die Art der Gewaltdarstellung an und entwickelt hierzu anregende Gedanken. In diesem ersten Kapitel steckt meines Erachtens am meisten Herzblut des Autors. Hier schreibt er sich von der Seele, was er schon immer loswerden wollte.
Die folgenden Kapitel widmen sich der (Vor-)Geschichte des Slasherfilms. Ab Kapitel zwei ist Going to Pieces eine reine Filmgeschichte. Daran ändert sich bis zum Ende nichts mehr. Rockoff beginnt zunächst mit den Einflüssen auf das Horrorgenre, stellt dann wichtige Vorläufer detaillierter vor (u. a. Filme von Hitchcock, Powell, Bava, Romero, Argento, Hooper und Craven), bevor er dem Auslöser des Slashergenres ein ganzes Kapitel widmet: Halloween. Die Wucht von John Carpenters 300.000 Dollar Film, der mehr als das 150-fache seiner Produktionskosten in die Kassen spülte, war sowohl künstlerisch als auch kommerziell stilbildend.
Rockoff geht freilich auf die großen Serien des Genres wie Friday the 13th und A Nightmare on Elm Street ein, widmet sich aber auch intensiv kleinen, eher unbeachtet gebliebenen oder zur Zeit ihrer Veröffentlichung falsch vermarkteten oder vom Publikum missverstandenen Perlen des Genres, wie Motel Hell, Return to Horror High oder April Fool's Day.
Glücklicherweise blickt Rockoff über den Tellerrand des Slashergenres hinaus und referiert auch über das europäische Horrorkino. Sein Augenmerk liegt dabei auf dem italienischen Giallo und insbesondere Argentos Filmen, die nach seiner Überzeugung starken Einfluss auf die amerikanischen Slasher hatten. Aber was man schmerzlich vermisst, ist ein roter Faden, der die Informationen zu den einzelnen Filmen miteinander verbindet. Eine These wäre wünschenswert, die diese willkürlich erscheinende Zusammenstellung in ihrer Struktur rechtfertigt. Denn so erschließt sich dem geneigten Leser die Reihenfolge der besprochenen Filme nicht wirklich. Auch der Bezug zu den reißerisch klingenden Kapitelüberschriften (z. B. Chapter 7: Campus Killers, Slashing for Laughs and One Human Brain) leuchtet nicht immer ein, wenn die Art der Besprechung stets folgendermaßen aussieht: Produktionskosten, Entstehung, Handlung, Kritiker- und Publikumserfolg, Einspielergebnisse. Das wirkt bedauerlicherweise ermüdend, weil es oft an einer kritischen Deutung der Filme mangelt.
Wie der Untertitel, "Rise and Fall of the Slasher Film, 1978-1986", bereits verrät, setzt Rockoff das Ende der Slasherära Mitte der 80er Jahre an. Die Studios wollten die kommerzielle Kuh bis auf den letzten Tropfen melken und verwendeten dafür die ewig gleiche Formel, was das Zielpublikum zunehmend langweilte. Obendrein wurden Filme, die dem Genre einen neuen Twist geben wollten, falsch vermarktet (Paradebeispiel: April Fool's Day). Das verwirrte die Zuschauer und half dem Genre nicht weiter. Nur die großen Reihen zogen noch mächtig Kapital aus der Slasherformel.
Anfang der 90er Jahre war dann endgültig Schluss mit den Slashern der ersten Generation. Erst Weihnachten 1996 belebte Scream das Genre neu. Eine derartig postmoderne Selbstreflexion kannte das Genre bis dato nicht. Der massive Erfolg von Scream löste nun die zweite Generation der Slasher aus, die Rockoff im letzten Kapitel „The Resurgence“ ebenfalls nach dem geschilderten Muster vorstellt.
Insgesamt handelt es sich bei Going to Pieces um ein bedingt lesenswertes Filmbuch. Jenseits des ersten Kapitels ist es nur für Hardcorefans des Genres oder als Nachschlagewerk geeignet. Deshalb würde ich aufgrund des immens hohen Anschaffungspreises (ca. 30-40 Euro) vom Kauf abraten und empfehlen, auf den Film zu warten. Bleibt zu hoffen, dass die Verfilmung es überhaupt in die Kinos schaffen wird - zumindest wie The American Nightmare vor fünf Jahren ins Forum der Berlinale und zu den Fantasy Filmfest Nights. Die US-DVD ist indessen für den 20. März 2007 angekündigt.
Link zum Thema: Interview mit Adam Rockoff
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