Mittwoch, September 26, 2007

Deadwood

Deadwood macht es einem nicht leicht, wenn man Nicht-Muttersprachler ist und gerne Originalversionen guckt. Als ich etwa die Hälfte der ersten Staffel gesehen hatte, war ich deshalb drauf und dran, diese HBO-Westernserie abzusetzen. Doch dann realisierte ich, dass ich bereits einige der Figuren zu sehr ins Herz geschlossen hatte, um getrost auf den Rest verzichten zu können, auch wenn das bedeuten sollte, gewisse Feinheiten nicht mitzubekommen. Ironischerweise verstehe ich problemlos die gebildeten Figuren, die in der Serie auftauchen, und die von den Charakteren ohne Bildung aufgrund ihrer Sprache teilweise nicht verstanden werden. Westernslang und obsoletes Vokabular sorgen für Verständnisprobleme, verleihen Deadwoods oftmals musikalischen Dialogen einen barocken Touch. Während es bei den Sopranos genügt, einige Mafia-Vokabeln zu kennen (die HBO auf der offiziellen Website hilfsbereiterweise sogar auflistet), muss man bei Deadwood mit Shakespeare-Englisch, Westernslang und Kraftausdrücken der Gegenwart gleichermaßen vertraut sein. Hinzu kommt die im Bourbonrausch vernuschelte Aussprache einiger Figuren.

Wen diese einleitenden Zeilen nicht zu sehr abschrecken, dem sei gesagt: Deadwood ist ein Juwel von einer Serie. Die Authentizität, mit der das kleine Goldgräberkaff Deadwood gezeichnet wird, trifft den Zuschauer mit einer solchen Wucht, dass mir in diesem Zusammenhang das Wort "Realitätsschock" am angemessensten scheint. So abgewanzt, dreckig, modderig, schleimig, brutal und aufgrund dessen faszinierend ist der Wilde Westen noch nie gewesen. Ähnlich wie in Rome geht mit diesem hohen Wirklichkeitsanspruch ein zeitgemäßer Umgang mit der Materie einher. Das schlägt sich zum einen in der Verwendung übelster Schimpftiraden sowie einer nie dagewesenen Frauenfeindlichkeit und einem unverhohlenem Rassismus nieder, wie sie wohl nur im Bezahlfernsehen möglich sind. Zum anderen ist die Figuren- und Handlungsstruktur dermaßen komplex, wie man sie nur in Serien der Gegenwart oder in seitenreichen Romanen des Realismus finden wird. Das Kino ist nicht in der Lage, mit einer vergleichbaren Figurenanzahl in solch epischer Breite zu erzählen.

Doch worum geht es in Deadwood eigentlich? Deadwood setzt im Jahr 1876 ein. Der Ort Deadwood hat zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht den offiziellen Status einer Stadt, sondern ist ein Camp voller Abenteurer und Goldsucher, die vom Gerücht abgelockt werden, in den nahegelegenen Black Hills befänden sich Goldvorkommen. Zentraler Anlaufpunkt ist der Saloon des zwielichtigen Unternehmers und Zuhälters Al Swearengen (Ian McShane), der gewissermaßen als Chef des Lagers fungiert und seine Macht durch hilfreiche Muskelmänner auszuüben versteht. Der Ex-Sheriff Seth Bullock (Timothy Olyphant) möchte mit seinem Partner Sol Star (John Hawkes) einen Haushaltswarenladen eröffnen und gerät aus verschiedenen Gründen wiederholt mit Swearengen aneinander. Und die reiche Alma Garret (Molly Parker) ist plötzlich auf sich alleine gestellt, als Swearengen aus Profitgier den Mord an ihrem Ehemann veranlasst. Weiter möchte ich die komplexen Handlungsstränge nicht auseinanderklamüsern, nur noch darauf hinweisen, dass sowohl der Ort als auch einige der Charaktere historisch fundiert sind. Politik, Korruption, Liebe, Krankheit, Mord und Tod sind die Themen, um die die drei Staffeln kreisen.

Schauspielerisch befindet sich Deadwood wie alle HBO-Serien auf höchstem Niveau. Die Offenbarung für mich ist allerdings Ian McShane, der die ambivalente Figur des Al Swearengen mit einem solchen Nuancenreichtum spielt, der seine Mecker- und Schimpftiraden mit einer derartigen Leidenschaft ausspuckt, dass einem der Atem wegbleibt. Warum McShane 2005 lediglich eine Emmy-Nominierung erhalten hat, ist mir ein Rätsel.

Eine besondere Stellung im Camp nimmt der Doktor ein, der von Brad Dourif sehr liebenswert gespielt wird. Dourif übernimmt die leicht geduckte Körperhaltung von Wormtongue für Doc Cochran, ist aufgrund seines Jobs, der ihn zu allen Leuten des Ortes führt, gewissermaßen die einzig neutrale Person des Lagers. Da der Tod permanent wie eine Dunstglocke über Deadwood zu schweben scheint und Siechtum in etlichen Varianten durchgespielt wird (möglicherweise das heimliche Hauptthema der Serie), hat der einzige Arzt des Dorfes stets alle Hände voll zu tun. In der ersten Staffel hat der Doc beispielsweise mit dem Ausbruch der Pocken zu kämpfen.

Die offene Political Incorrectness hat Deadwood einige Kritik eingebracht. Dabei wird verkannt, dass die historisch durchaus korrekte Darstellung von Rassismus und Misogynie für den heutigen Zuschauer die Quelle eines einzigartigen Humors ist, der die Menschenverachtung und Stumpfsinnigkeit einer derartigen Weltanschauung plastisch vorführt. Die Dynamik zwischen den WASPs auf der einen Seite und den chinks, cocksuckers, niggas und cunts auf der anderen führt nur selten zu handfesten Auseinandersetzungen zwischen den Figuren, jedoch regelmäßig zu schreiend komischen Dialogen. Dieser Link zu youtube zeigt ein typisches Zwiegespräch zwischen Al Swearengen und dem chinesischen Schweinezüchter (und des Englischen unkundigen) Woo, dessen Getier regelmäßig Deadwoods Leichen zu fressen bekommt und der sich hier über den Diebstahl seines Rauschgiftes durch weiße Banditen beschwert.

Zwei gesellschaftliche Außenseiter: 'Lil' Nigga General' und Calamity Jane

Abschließend bleibt mir nur noch darauf hinzuweisen, dass sich Deadwood zu Whisky verhält wie Sideways zu Wein: Man kommt als Whiskyfan regelmäßig in Versuchung, beim Zuschauen mitzutrinken. Hier wird so viel Bourbon verkonsumiert wie in kaum einem anderen Western. Allerdings zeigt Deadwood im Gegensatz zu Sideways auch die Schattenseiten des Saufens auf. Am deutlichsten wird dies durch die Rolle der Calamity Jane (Robin Weigert) zum Ausdruck gebracht, die in kaum einer Szene nüchtern ist.

Ob es eine vierte Staffel geben wird, steht wohl in den Sternen. Ich konnte im Internet kein offizielles Statement zu Einstellung beziehungsweise Fortsetzung der Serie finden.

6 Kommentare:

Flo Lieb hat gesagt…

Auch sehr viel positives über die Serie gelesen, dann aber auf Premiere den Einstieg verpasst und irgendwie ist mir das alles mit den vielen Serien inzwischen auch zu kompliziert *g*

Man kann ja schließlich nicht alles machen: Bücher lesen (was ich gerne tue), Filme und Serien schauen (da fallen einem ja irgendwann die Augen aus).

Anonym hat gesagt…

keine ahnung ob es irgendjemand helfen wird ein kommentar noch drunter zu schreiben.

ich finde es wurde ziemlich genau beschrieben wie diese serie rüberkommt.

nur soviel. ABSOLUT SEHENSWERT !

nur kann man mitlerweile leider sagen das es eine 4te staffel nicht mehr geben wird !

leider leider !

ps: ANSCHAUEN LOS LOS !

Anonym hat gesagt…

Unglaublich. Ich habe Deadwood erst jetzt kennengelernt - wohl durch andere US-Pay-TV Perlen wie BSG 2003, Rom, Band of Brothers uva. bei mir irgendwie unter die Räder gekommen.

Der Vergleich zu Rome ist offensichtlich wie auch als neueste Serienperle "Game of Thrones" in die gleiche Kerbe haut wie eben Deadwood und Rome.

Die engagierten TV-Produktionen (englischen und amerikanischen Ursprungs - Deutschland bleibt weiterhin Copycat-Ödland mit Ballermann bzw. Gartenzwerg-Charme)haben Hollywood längst den Rang abgelaufen, denn Hollywood kopiert und zitiert sich nur noch selbst.

Schon bei den ersten Bildern wird klar, dass hier an die Epoche der eher (sozial)kritisch-dreckigen Spätwestern der Siebziger angeknüpft wird ("Valdez kommt" fällt mir da z.B. ein)als an die "Glorreichen Sieben" die unter allen Umständen immer sauber, rasiert und heldenhaft-ehrenwert daherkamen.

Genauso wie in Deadwood wollte ich den wahren "Wilden Westen" immer dargestellt haben: Authentisch, dreckig, brutal und schonungslos durchbrochen von berührenden Szenen in denen einige Protagonisten sich still und heimlich mal erlauben dürfen menschlich zu sein und trotzdem dem Leben und Sterben der Realität des amerikanischen 19.Jh hoffnungslos ausgesetzt sind.

Genial!

Wieder mal bezeichend, dass es davon nur 3 Staffeln gab während der übliche Verblödungsmüll über Jahrzehnte die Glotze "versifft".

Jochen hat gesagt…

@ Anonym 2

Deine Ausführungen kann ich größtenteils unterschreiben. Lediglich beim Punkt des Realitätsanspruchs würde ich eine Einschränkung anfügen: Denn natürlich wirkt das alles wahnsinnig authentisch, gleichzeitig ist die verwendete Sprache aber unglaublich künstlich. Ein solches Englisch hat nie ein Mensch gesprochen - und die Schauspieler haben regelmäßig bei Drehbuchautor David Milch nachgefragt, was sie da eigentlich gerade sagen :)

"Game of Thrones" will ich erst sehen, wenn ich den ersten Band gelesen habe. Ich freue mich aber schon sehr darauf. "Boardwalk Empire" ist derzeit meine Lieblingsserie. Auch dieses Gangster-Epos steht eindeutig in der Tradition von Sopranos, Rome und Deadwood.

Joe der Schreckliche hat gesagt…

Deadwood ist Megakacke.

Und was soll daran authentisch sein?

Kein Volk oder Völkchen dieser Erde war jemals zu irgend einer Zeit so dumm und primitiv wie es dargestellt wurde.

Kommt doch nur davon, weil es den Amis im normalen TV NICHT gestattet ist, auch nur ein einziges kleines Schimpfwort zu äußern, das wird ja alles zu 100% zensiert.

Und da nutzen es diese privaten nichtöffentlichen Sender nun mal aus, Gewalt und Primitivität bis zum Extrem auszukosten.

Jochen hat gesagt…

Und was soll daran authentisch sein?

Wenn du den Text aufmerksam liest, wirst du feststellen, dass ich das recht genau beschreibe und die Authentizität dem zeitgemäßen Umgang mit dem Wilden Westen gegenüberstelle. Denn du hast in gewisser Weise Recht: Sprache, Figurenentwicklung etc. sind freilich sehr künstlich.

Dass du in der Lage bist, alle Völkchen dieser Erde mit der Deadwood-Community zu vergleichen, ist sehr beeindruckend. :)