Mittwoch, September 24, 2008

L' Année dernière à Marienbad

Man muss Alain Resnais sicherlich hoch anrechnen, mit L' Année dernière à Marienbad (deutscher Titel: Letztes Jahr in Marienbad) gängige Handlungsstrukturen zu sprengen, sich also einer Handlung im eigentlichen Sinn bewusst zu widersetzen, und Schauspiel als Spiegel von Emotionen nicht zuzulassen. Im Jahr 1961 muss dieser Film wie ein Donnerschlag gewirkt haben. Resnais überträgt hier postmoderne literarische Merkmale konsequent ins filmische Medium. Etwas, das heute (zumindest in diesem Maßstab) kaum noch jemand wagt. Und Resnais beweist uns mit diesem zauberhaft schön fotografiertem Traum doch nur eines: Dass ein solcher Film mit seinem wohl durchdachtem Gebaren unglaublich prätentiös und sterbenslangweilig ist. Letztes Jahr in Marienbad ist ein Film für Masochisten, die sich während der Rezeption einreden, sie würden gerade filmische Hochkultur genießen, obwohl sie im Grunde dem Scheitern eines formalen Experiments beiwohnen. Die ewiggleichen Kamerafahrten auf Gesichter, die schwülstigen Voice-Over-Kommentare des X, der über seine Affäre mit einer namenlosen Frau lamentiert - das ist der ganze Film. Die Frau erinnert sich nicht an ihr letztjähriges Betthüpfen mit X, was X enttäuscht. Doch diese Mikrobe an Handlung kehrt den Zuschauer ohnehin nicht. Das grausige Orgelspiel aus dem Soundtrack gepaart mit selbstverliebten Einstellungen von kostbaren barocken Deckenverzierungen, Spiegeln und Säulen sind das eigentlich "Wichtige" in diesem französischen Kunstfilm: Es geht um das Zelebrieren von Oberflächen. Wem das gefällt, dem sei dieser furchtbar selbstgefällige Filmschinken empfohlen.

8 Kommentare:

Rajko Burchardt hat gesagt…

LOL

Jochen auf den Irrwegen des Erzählkinos...

Klar kann man das prätentiös finden. Dass der Film mit genau dem, was du da so schön polemisierst, etwas mitteilen möchte, auch etwas, das über Filmstrukturbrüche hinausgeht, entgeht einem dann natürlich.

Tipp: Schau dir nie GERRY von Gus van Sant an.

Jochen hat gesagt…

Du wirst es mir vielleicht nicht glauben, aber ich habe durchaus ein wenig Ahnung, wenn es um die Postmoderne geht. Dass, was du in deinen Kritiken oft gerne als "postmodern" abtust (du verwendest das Wort häufig, wenn du eigentlich von Intertextualität [einem möglichen Merkmal postmoderner Werke] redest! - wollte ich dir schon lange mal sagen;-), wird dem Begriff übrigens höchstens im Ansatz gerecht. Wie dem auch sei: Dekonstruktion von Identität, Menschen als fremdgesteuerte Wesen, keine gültige Ideologie, Auflösung von Sprache etc. Das kann man hier natürlich alles finden und zu Tode interpretieren - der Film bietet eine schillernde Folie, auf der man lustig Gedankengebäude errichten kann. Viel besser zumindest, als bei einem "gängigen" Film. Das lässt Letztes Jahr in Marienbad in meinen Augen aber noch zu keinem guten Film werden. Ich finde auch viele postmoderne Romane zu Kotzen, obwohl sie rein literaturgeschichtlich sicherlich von Bedeutung sind. Und die angenehm einfache (und offene) Intepretierbarkeit eines Werkes ist ja nun nicht automatisch ein Qualitätsmerkmal!

Rajko Burchardt hat gesagt…

Alles schön und gut, aber ich verstehe beim besten Willen nicht, was das jetzt mit einem Diskurs über Postmoderne im Kino (und das ist in der tat ein Diskurs - so ist zwischen Intertextualität und Postmoderne gar nicht so leicht abzugrenzen, mit Ironie allein ist's ja nicht getan) zu tun haben sollte!?

Jochen hat gesagt…

ich verstehe beim besten Willen nicht, was das jetzt mit einem Diskurs über Postmoderne im Kino [...]zu tun haben sollte!?

Du hast mir doch vorgeworfen, ich würde den Film nicht "richtig" wahrnehmen. Deshalb der kurze Exkurs zur Postmoderne.

o ist zwischen Intertextualität und Postmoderne gar nicht so leicht abzugrenzen

Doch: Die Abgrenzung zwischen Intertextualität und Postmoderne ist recht simpel. Das eine ist eine Literaturtheorie (Intertextualität), das andere eine Art Epoche. Intertextualität findest du schon in 2000 Jahre alten Texten. Die Postmoderne beginnt erst im 20. Jahrhundert.

Rajko Burchardt hat gesagt…

Intertextualität ist längst auch eine Begrifflichkeit der Filmrezeption. Deine starre Dogmatisierung verwundert mich.

So arbeiten beispielsweise die alten STAR WARS-Filme mit intertextuellen Verweisen, die neuen hingegen funktionieren postmodern mit ironischen Wiederholungen.

Filmwissenschaftlich wird Postmodernität erst Ende der 80er-Jahre erstmals verortet. Davor handelt es sich um Vorreiter (so wie du THE HORROR PICTURE SHOW schon mal als postmodern bezeichnet hast, was ich nach wie vor falsch finde), denen man sich am ehesten mit intertextuellen Ansätzen nähenr kann.

Verstehe dennoch nicht, was das alles mit MARIENBAD zu tun hat, sorry.

Jochen hat gesagt…

Wir "reden" hier gerade aneinander vorbei! Dein Satz über Star Wars ist m. E. so sachlich falsch. Aber ich habe gerade keine Zeit darauf ausführlich einzugehen. Das klären wir im Oktober im IP ;-)

Nun musst du mir aber doch noch erklären, was du in deinem ersten Posting mit "entgehen" meintest - was entgeht mir denn so wesentliches?

Rajko Burchardt hat gesagt…

Ich meinte einfach, dass das, was du zwar herauszustellen versuchst, letztlich aber (imho etwas ignorant, so wie ich bei Godard z.B.) ablehnst und als prätentiös und kunstbetont beschimpfst, eben ein Konzept ist, dass sich - vielleicht - solchen Rezeptionsmustenr ganz entzieht. Sowas ist mit "langweilig" etc. für mich gar nicht mehr adäquat zu fassen. Man kann das alles zB auch über LA JETEE sagen, aber das führt nicht weiter, weil der Film sich gängigen Maßstäben (und sorry, deine Maßstäbe reichen hier, zumindest in diesme Posting, arg nach Unterhaltungs[kino]maßstäben) entzieht.

Wie dem auch, ich halte MARIENBAD für kein Meisterwerk, aber der Film hat Bilder, für die Kino (auch) geschaffen wurde.

Jochen hat gesagt…

Wenn du meine Kurzrezi aufmerksam gelesen hast, wird dir aufgefallen sein, dass ich die Bildkompositionen als "zauberhaft schön" gelobt habe. Die Bilder sind über jeden Zweifel erhaben - das ist ganz großes Kino. Punkt.

ABER: Wie diese Bilder einem in ihrer permanent gleichen Art und Weise vorgeführt werden (z. B. langsame Fahrten auf versteinerte Gesichter), ist, zumindest für mich, auf Dauer reizlos, folglich langweilig.

Was du mit "Rezeptionsmustern" vermutlich meinst, lässt sich doch im Wesentlichen auf zwei mögliche Arten herunterbrechen: Entweder ich sehe einen Film affektiv oder ich sehe ihn kognitiv. Ich bin der Meinung, dass ich beiden möglichen Lesarten (in aller Kürze) gerecht geworden bin. Für mich funktioniert er affektiv schon einmal überhaupt nicht, darüber brauchen wir gar nicht zu reden, denn darauf legt er es zumindest von der Handlung nicht an. Kognitiv (also reflektiv) halte ich ihn formal für prätentiös, aufgesetzt, gezwungen (hier setzt dann die ganze postmodern-Debatte ein!). Wobei ich eingestehen muss: Ich könnte verstehen, wenn jemand behauptet, dass ihn die Bilder emotional berühren...nur nachempfinden kann ich das nicht, weil Marienbad sich da selbst ein Bein stellt...