Dienstag, März 13, 2007

Filmtipp: Gun Crazy


Der junge Filmkritiker Paul Schrader verfasste im Jahr 1972 einen Artikel für die britische Zeitschrift Film Comment, mit dem er englischen Cineasten den Film Noir nahebringen wollte. Teil dieses Artikels war eine Liste mit zehn Filmen, die nach Schraders Meinung den Noir-Stil am besten repräsentieren. Gun Crazy befand sich auf dieser Liste.

Dabei scheint Gun Crazy auf den ersten Blick gar kein Film Noir zu sein. Hier gibt es keine Voiceover-Kommentare, keine kettenrauchenden Private Detectives und auch der Plot ist nicht sonderlich verworren. Gun Crazy erzählt vielmehr die Geschichte von Bart und Laurie, zwei Meisterschützen, die Überfälle begehen, um ein angenehmes Leben führen zu können.

Wenn man das Film Noir Genre nicht durch Konventionen, Setting und Art des Konflikts definiert, sondern den Ton und die Atmosphäre des Films dafür zugrundelegt, dann ist Gun Crazy allerdings ein waschechtes Werk der schwarzen Serie, auch wenn wir ihn heute wegen seines Themas vielleicht zunächst eher mit einem Roadmovie wie Bonnie and Clyde in Verbindung bringen.

Gun Crazy eröffnet mit einer flashbackreichen Gerichtsverhandlung, in der der junge Bart wegen eines missglückten Waffendiebstahls angeklagt wird. Wir lernen, dass Bart ein begnadet guter Schütze ist, der nach einer traumatischen Erfahrung nicht in der Lage ist, das zu tun, wofür Schusswaffen eigentlich bestimmt sind: zu töten. Der innere Konflikt der Hauptfigur besteht also ironischerweise darin, das nicht tun können, worin er am besten wäre.

Nach vier Jahren in einem Internat geht Bart zur Army, arbeitet dort als Schießausbilder, kehrt Uncle Sam aber aus Langeweile den Rücken. Und so lernt er auf einem Kirmes die englische Kunstschützin Laurie kennen. Bart fordert sie zu einem Wettkampf heraus und gewinnt - eine Liebe fürs Leben ist geboren. Selten habe ich das Schießen sexuell so aufgeladen gesehen wie in Gun Crazy. Es dient als Bindeglied zwischen dem Paar. Gleichzeitig ist Laurie eine der wohl finstersten Femme Fatales in der Geschichte der Noirs. Sie erpresst Bart mit ihrer sexuellen Zuwendung und zwingt ihn, das zu tun, was Bart moralisch ablehnt. Bart wird zu einem weinerlichen Schwächling in den Fingern der manipulativen Laurie. Der ursprüngliche Titel bezog sich deshalb nicht auf den waffenfetischistischen Aspekt des Films, sondern auf Lauries Macht über Bart: Deadly is the Female.

Femme Fatale und moralischer Weichling - verhängnisvoll verliebt.

Regisseur Joseph H. Lewis kombiniert geschickt die großen Themen Sex und Gewalt, ohne die zeitgemäßen Vorstellungen der Sitte ernsthaft auszutesten. So wird beispielsweise brav geheiratet, bevor man zum ersten Mal rammelt.

Die Isolation des Outlaw-Pärchens unterstreicht Lewis durch immer wiederkehrende Kamerafahrten auf die Figuren, deren Gesichter oder Hände. Der Bildausschnitt isoliert so die Antihelden von ihrer Umwelt.

Erwähnenswert ist auch die für die damalige Zeit ungewöhnliche und originelle Darstellung eines Banküberfalls: Lewis zeigt die Fahrt zur Bank, den Banküberfall und die Flucht in nur einer Kameraeinstellung. Die Kamera verharrt dabei auf dem Rücksitz des Wagens. Der Dialog zwischen Bart und Laurie auf dem Weg zur Bank ist improvisiert. Diese dokumentarische Realitätsnähe, die man eher von französischen Filmen der 60er erwarten würde, steht in krassem Gegensatz zu den stilisierten, teilweise expressionistischen Momenten und verleiht Gun Crazy eine visuell und atmosphärisch aufregende Vielseitigkeit.

Knapp dreieinhalb Minuten dauern Anfahrt, Raub und Flucht. Da der Banküberfall, wie er im Drehbuch stand, Lewis zu aufwändig war, entschied er sich für diese lange Einstellung. Angeblich funktionierte sie beim Drehen gleich im ersten Versuch.

Gun Crazy war wegen schlechten Marketings kein großer Erfolg beschieden, als er 1950 gleich zweimal mit unterschiedlichen Titeln in amerikanische Kinos kam. Sein Einfluss auf spätere Filme ist jedoch unverkennbar. Neben Fritz Langs You Only Live Once dürfte Gun Crazy der auffälligste Vorläufer von Arthur Penns Bonnie and Clyde sein.

4 Kommentare:

Rajko Burchardt hat gesagt…

Ganz wunderbare Vorstellung eines Filmes, der schon lange auf meiner Liste steht.

Und toll, dass du auf Schrader hörst: Seinen Essay zum Film-Noir halte ich noch immer für das beste, was jemals jemand dazu geschrieben hat.

Jochen hat gesagt…

Vielen Dank, freut mich sehr!

Leider habe ich den Schrader-Text gar nicht gelesen, sondern bin nur wiederholt über Auszüge daraus gestolpert. Wenn du den Essay bei dir rumliegen haben solltest, wäre ich dir echt dankbar, wenn du mir die paar Seiten mal einscannen könntest...:-)

Rajko Burchardt hat gesagt…

Habe ich leider beides nicht - weder Scanner noch den Text. ;-(

Gibt es den nirgends online?

Jochen hat gesagt…

Schade. Hab ihn online nicht finden können. Er soll im Noir Reader von Alain Silver und James Ursini abgedruckt sein. Das gute Buch ist mir für nur einen Aufsatz, der mich sehr interessiert, zu teuer und es befindet sich auch nicht in meiner Uni-Bibo...:-(