Mittwoch, November 22, 2006

2006: Ein Jahresrückblick

Ein Jahresrückblick schon jetzt? Ja! Einer muss ja der erste sein. Und auch wenn ich den neuen Bond noch nicht gesehen habe, würde dieser Kinobesuch am Gesamtbild nichts mehr verändern. 2006 war ein seltsamer Jahrgang. So lange ich zurückdenken kann, habe ich noch nie folgendes geäußert: Die besten Filme des Jahres kamen aus Deutschland, waren deutschsprachig oder aus Europa.

Hollywood hat 2006 versagt. Keiner ihrer Blockbuster überraschte: Da Vinci Code, Superman Returns, M:i-III, X3, Pirates 2 - alles Stangenware. Nichts neues. Größtenteils lieblos heruntergekurbelte Crowdpleaser. Bunt, laut, geschmacksneutral, leicht verdaulich und ohne Langzeiteffekt. Hollywoods Mainstreamfilme waren noch nie so langweilig. Löbliche Ausnahme: Miami Vice. Aber auch Michael Mann war schon mal besser - dennoch für mich der eindeutig beste Big Budget Mainstreamfilm 2006.

Parallel dazu liefen die anspruchsvollen Oscarfilme. Aber auch hier hat mich dieses Jahr nichts überzeugt. Zum Beispiel Brokeback Mountain: Sicherlich ein wichtiges Thema, von Ang Lee stilsicher inszeniert. Aber im Gegensatz zu Lees frühen Filmen wollte Brokeback Mountain bei mir emotional nicht zünden. Die Liebe zwischen den zwei Cowboys ging mir nicht nahe und so empfand ich ihn in seiner moralischen Zuspitzung als zu didaktisch kalkuliert.

Ähnliches gilt für Syriana und Good Night and Good Luck. Auch hier wollten die Macher ihren erzieherischen Anspruch nicht verschleiern. Good Night and Good Luck kam bei der Presse natürlich gut an - wann wird schon mal die Bedeutung der eigenen Branche so sehr thematisiert? Sicherlich kein schlechter Film, aber eben auch nicht herausragend, weil dialoglastig und somit uncineastisch. Capote hat ähnliche Probleme. Durch die Bank großartige Darsteller. Aber der Film ist kalt. Sogar die dystopische Comicverfilmung V for Vendetta verspielte nach großartiger erster Hälfte das Stoffpotenzial durch überlange und prätentiöse Dialoge, die in einem schmalzig-melodramatischen Ende gipfelten.

Gut waren kleine amerikanische Filme: Thank you for Smoking, Art School Confidential (leider nur auf DVD) und Clerks II (noch kein Starttermin) zum Beispiel. Ohne viel Tamtam überzeugten diese drei durch einen anarchischen Biss, den die Hochglanz-Oscarfilme schmerzlich vermissen ließen.

Und dann schaut man ohne darauf vorbereitet zu sein einen Film wie Caché und merkt: Verdammt, es bedarf keines enormen Budgets, keiner tollen Kostüme, keiner CGI-Effekte und keines weltpolitisch aufgeladenen Themas - man muss nur ein wenig die Erzählform variieren und schon wird ein gewöhnlicher Thrillerplot maßlos spannend und subversiv. Michael Hanekes Spiel mit der filmischen Wirklichkeit ist toll und in seiner grundsätzlichen Aussage identisch mit der Brian De Palmas. Nur dass De Palma sie stilistisch anders ausdrückt. Die manipulative Kraft der Bilder zu entlarven, liegt beiden Filmemachern offenbar am Herzen. Die Lüge als Thema verbindet Caché und Black Dahlia: Beide Filme zeigen Figuren, die lügen oder bei denen der Zuschauer nicht sicher sein kann, ob das, was sie sagen, auch wahr ist. Das ist nah am Leben, glaubhaft und (vorsicht Wortspiel!) wahrhaftig.


Größte angenehme Überraschung 2006: Michael Hanekes intelligente Geschichte über eine Familie unter Druck.


The Black Dahlia ist zusammen mit Das Parfum für mich das optisch imposanteste, was 2006 über deutsche Leinwände flimmerte. Und beide Werke sind trotz internationaler Besetzung zumindest teilweise deutsche Filme. Denn deutsches Geld hat sie erst möglich gemacht.

Ein kleiner, beeindruckender und ungemein wichtiger deutschsprachiger Film: We feed the World. Eine Dokumentation, die einen beim nächsten Supermarktbesuch innerlich begleitet. Wo kommen meine Tomaten her? Soll ich wirklich das Putenfleisch zum Tiefpreis kaufen? - Mit wenigen Mitteln und größtenteils nur im Zweierteam gedreht, folgt Erwin Wagenhofer den globalen Verflechtungen der Ernährungsindustrie, ohne das moralisch zu garnieren. Hier liegt die Stärke der Doku und hebt sie von den Michael Moore Filmen aber auch von den beschriebenen Oscarkandidaten ab: Wagenhofer beschränkt sich aufs Zeigen. Man merkt: Er tritt dem Nestlé-Chef mit ebensoviel Respekt entgegen wie dem hungerleidenden Bauern in Südamerika. Für mich der wichtigste Film des Jahres, den sich jeder europäische Nahrungskonsument anschauen sollte.

Es gab 2006 noch eine Reihe weiterer deutscher Filme, die außergewöhnlich waren: Das für unverfilmbar gehaltene Buch Michel Houellebecqs zum Beispiel: Elementarteilchen. Vielleicht kein Meisterwerk aber -wenn man die Vorlage kennt- ein Geniestreich. Röhler hat den Plot stark verdichtet und ihn in passende Bilder verpackt. Punktgenau besetzt, insbesondere im Fall von Moritz Bleibtreu, besticht der Film durch eine eigenartige Mischung aus beißender 68er-Kritik und trockenem Humor.

Knallhart lockte gerade mal 150.000 Besucher in die Kinos. Im Hinblick auf die diesjährigen Schulskandale (Rütli, Pisa, Emsdetten) eine traurig stimmende Bilanz. Zumal Detlev Buck eine beklemmend authentische Atmosphäre kreiert, die Knallhart ehrlich wirken und deshalb aus dem Kino-Einerlei herausragen lässt.

Und noch ein faszinierender deutscher Film: Das Leben der Anderen. 17 Jahre nach der Wende der erste Film über die Machenschaften der Stasi. Informativ, spannend und schauspielerisch weltklasse.

Außerdem außergewöhnlich gut dieses Jahr: Adams Äpfel und Wolf Creek. Das erste eine schwarze Komödie aus Dänemark, das zweite ein fieser Horrorfilm aus Australien, der den Genrekonventionen eine unangenehm realistische Note abgewinnt und der Intention und Stimmung des original Texas Chain Saw Massacre näher kommt, als sämtliche Sequels und Remakes zusammengenommen.

My personal Faves:
Bester Film (insgesamt): The Black Dahlia
Beste Komödie: Clerks II / Adams Äpfel
Bestes Drama: Caché
Bester Horror: Wolf Creek
Beste Action: Miami Vice
Beste Doku: We feed the World

Filme, die ich leider verpasst habe und/oder noch sehen will: A Prairie Home Companion, Borat, Children of Men, Casino Royale, The New World, Der freie Wille, Snakes on a Plane, An Inconvenient Truth, The Departed, Scoop, Requiem, Deutschland - Ein Sommermärchen.

2 Kommentare:

Flo Lieb hat gesagt…

Wieso überrascht es mich nicht, dass DAHLIA bei dir der beste Film 2006 geworden ist ;)

Jochen hat gesagt…

Tja, ich weiß nicht so recht...vielleicht weil er "objektiv" der beste Film des Jahres 2006 war ;-)