Donnerstag, November 02, 2006

Knallhart vs. Wut - eine Gegenüberstellung (Teil 2)


Im zweiten Teil dieser Gegenüberstellung von Detlev Bucks Knallhart und Züli Aladags Wut möchte ich die Täterfiguren charakterisieren und miteinander vergleichen.


Die Täter: Can, Erol und Hamal

Wut und Knallhart werden nicht nur durch das ähnliche Thema "Jugendgewalt" verbunden. Oktay Özdemir spielt in beiden Filmen den jugendlichen türkischen Täter und ist der heimliche Star dieser Thriller. Özdemir verleiht den Täterfiguren eine solch beunruhigende Realitätsnähe, die weitab vom stereotypen Filmbösewicht liegt, dass er so eingesessene Schauspieler wie August Zirner und Corinna Harfouch einfach an die Wand spielt. Der Gedanke liegt nahe: Wie viel davon ist gespielt, wie viel ist Lebenserfahrung? Im Grunde ist die Frage jedoch belanglos: Was zählt, ist Özdemirs authentische Darstellung. Und wenn er demnächst in die Haut einer vollkommen anderen Figur schlüpfen muss, wird sich diese Frage ohnehin von selbst beantworten.

Can in Wut ist Anführer einer Gang. Er dealt mit Haschisch und zeichnet sich durch eine hohe Gewaltbereitschaft aus. Felix spielt das Cello (Zeichen einer typisch bildungsbürgerlich-musischen Ausbildung), Can betreibt mit seiner Gang Streetdance (Zeichen für seine Verwurzelung mit der Straßenkultur). Er ist zwar nicht auf gleichem Bildungsniveau wie Felix, weiß dafür aber sehr genau, wie man sich auf der Straße durchschlägt. Er glaubt an das Recht des Stärkeren. So aggressiv er außerhalb seiner Familie auftritt, so unterwürfig verhält er sich gegenüber seinem Vater. Cans Vater, dem ein Gemüseladen gehört, in dem Can aushilft, scheint alleinerziehend zu sein. Wir lernen Cans Mutter nie kennen, wissen aber, dass er einen kleinen Bruder hat, um den er sich liebevoll kümmert. Die Turnschuhe, die er Felix abgezogen hat, waren für ihn bestimmt.

Can empfindet sich selbst als benachteiligt - er ist neidisch auf Felix' wohlhabendes Zuhause und auf seine Mutter. Cans Konflikt besteht jedoch nicht mit Felix, sondern mit dessen Vater: "Diese Schwuchtel!". Felix ist lediglich der Verhandlungsgegenstand in dieser Auseinandersetzung. Can versteht sich in psychologischer Kriegsführung: Er nutzt Felix' Wunsch nach Integration in seine Gang, um ihn über seinen Vater auszuhorchen und dessen Schwachstellen zu entlarven. Can schlägt zu einem strategisch schlauen Zeitpunkt zu, nämlich als Felix' Vater seine Antrittsvorlesung hält. Er kompromittiert ihn vor seinen Kollegen und Studenten, indem er sein Verhältnis zu Dominique hinausposaunt. Darüber hinaus beschimpft er ihn als Rassisten. Damit trifft er den liberalen Intellektuellen im Mark seines Wesens.

Als sein Vater sich von ihm abwendet, ist Can verzweifelt. Die daraus resultierenden negativen Gefühle wandelt er in Wut(!) gegen Felix' Vater und dessen Familie um: Felix' Vater trägt in seinen Augen die Schuld an seiner Situation. Can mangelt es an Einsicht in die Konsequenzen seines eigenen Tuns. Er hält Gewalt für ein legitimes Mittel zur Erreichung seiner Ziele. Darauf begründet er seine Stärke. Dass sein Hang zur Gewalt gleichzeitig seine größte Schwäche ist, erkennt Can nicht. Diese Charakterschwäche ist der Grund seines sukzessiven Niedergangs.

Erol ist Can sehr ähnlich. Auch er führt eine gewaltbereite Jugendgang an, die die Hauptfigur verprügelt und abzieht. Die Gründe für Erols Gewalt sind jedoch vielschichtiger. Zweifellos erfährt er durch sie ein Überlegenheits- und Machtgefühl, das ihm große Befriedigung bereitet. Er kostet die brutale Demütigung Michaels (Topfschlagen) genüsslich aus. Eine vergleichbare positive Genugtuung bleibt ihm gesellschaftlich verwehrt: Er lebt in ärmlichen Verhältnissen und muss zwei Kinder und eine Freundin ernähren. Somit hat das Abziehen der Schwächeren auch handfeste ökonomische Gründe für Erol. Can hingegen steht nicht unter diesem wirtschaftlichen Druck - er lebt bei seinem Vater und muss sich offenbar nicht selbst ernähren. Erol ist im Neuköllner Kiez allerdings nur ein kleiner Fisch unter den Gangstern. Er weiß, dass seine Halbstarkenbrutalität nichts ausrichten kann gegen die organisierte Kriminalität Hamals. Er weiß, dass er mit dem Feuer spielt, als er Michaels Rucksack auf das S-Bahn-Dach schleudert. Die bereits einige Zeit zurückliegende Provokation Crilles sowie Michaels schnodderiges "Ihr könnt mir gar nichts!" zwingen Erol aber zum Handeln, sonst würde er vor seinen Kumpanen womöglich das Gesicht verlieren. Auf diesen Profilierungsdrang Erols und auf seine Lust zur Gewalt weist auch die Szene, in der er (weil er Michael nicht schlagen kann) einen Zigarettenraucher ohne Provokation auf offener Straße vermöbelt.

Dass Erol auch ein einigermaßen fürsorglicher Vater sein kann, zeigen zwei andere Szenen: Als er mit Einkaufstüten bepackt um Einlass in die Wohnung seiner Freundin bittet, lernen wir einen durchaus charmanten Erol kennen. Und als Michael ihm hilft, den Kinderwagen die U-Bahn-Treppen hochzutragen, nickt er Michael zum Dank kurz zu.


Hamal ist kein kleinkrimineller Schläger wie Erol, sondern ein professionell organisierter Gangster. Die Gewalt Hamals und seines spielsüchtigen Helfers Burat hat deshalb eine andere Qualität: Sie ist gezielt und kann tödlich sein. Allerdings sind die Motive und Einstellungen Hamals mit denen Erols identisch: Hamal betreibt seine illegalen Machenschaften zur Ernährung seiner Großfamilie. Und auch sein seltsames Verhalten gegenüber Michael, nachdem die 80.000 Euro abhanden gekommen sind, scheinen mir nichts anderes zu sein, als eine Machtdemonstration gegenüber seinen Untergebenen. Denn wenn man sich fragt, was Hamal durch den Tod Erols an Handfestem gewinnt, gelangt man zur ernüchternden Erkenntnis: nichts - außer vielleicht einer Gerichtsvorladung. Ist die Gewalt hier zum Selbstzweck geworden, zu einer sinnentleerten Handlungskonvention im Gangstermilieu? Hamals mysteriöser Satz "Es geht um eine Geste" lässt nur den Schluss zu, dass der Erschießung Erols eine symbolische Bedeutung zukommt, die lautet: "Wer mir bei meinen Geschäften in die Quere kommt, muss sterben!" Es handelt sich also um eine vergrößerte Spiegelung des gewalttätigen Profilierungsverhaltens von Erol. Die Ironie der Erschießungsszene liegt nun darin, dass die ursprünglichen Machverhältnisse zwischen Michael und Erol umgekehrt sind. Das Opfer wird zum Täter. Der einstige Täter erfährt eine ums vielfache gesteigerte Form der Gewalt und deren absolute Konsequenz: den Tod. Jedoch hat die Gewalt hier nicht mehr das Spielerisch-Sadistische, das es noch bei Erols "Topfschlagen" hatte. Sie ist ernst und trägt das Gewand des Pseudogeschäftlichen.

2 Kommentare:

Christian hat gesagt…

Du hast Hamals Motivation nicht richtig verstanden. Um Erol geht es nicht, wie Hamal selbst sagt. Es geht um Michael. Dieser muss eine Geste des Vertrauens bringen, indem er Erol tötet. Hamal begeht den Fehler zu denken, dass Michael so ist wie er selbst und mit dem Mord zurechtkommen wird und ihn aus Selbstschutz nicht bei der Polizei verpeifen wird, sobald das Drogengeld mit Michael in Verbindung gebracht wird, dessen Ausweis ja in dem Rucksack ist.

Jochen hat gesagt…

Danke für den Kommentar. Ich glaube dir das einfach mal so, kann dazu nicht wirklich Stellung nehmen, weil ich den Film seit knapp vier Jahren nicht mehr gesehen habe und mich nur noch vage erinnere.

Allerdings weiß ich noch, dass mir die Motivation der Erschießung arg dubious und undurchsichtig erschien (deshalb auch die rhetorische Frage im Text!). M. E. wird an keiner Stelle offen ausgesprochen, was Hamal dazu bewegt, Michael zu dieser Tat zu zwingen - nur dieser mysteriöse Satz bleibt. Und an wen richtet sich denn die Geste?

Vielleicht schau ich ihn mir die Tage noch einmal an. Dann kann ich genauer darauf eingehen, warum ich das damals so forumuliert habe.