Mittwoch, November 01, 2006

Knallhart vs. Wut - eine Gegenüberstellung (Teil 1)


In diesem Jahr haben zwei Filme zum Thema Jugendgewalt einige Gemüter erhitzt. So wurde mit viel peinlichem Medientamtam der Sendetermin des Schüler-Mobbing-Thrillers Wut auf einen späteren Sendeplatz verschoben und Detlev Bucks Knallhart wurde zum Zeitpunkt seines Kinostarts gerne dafür benutzt, um die Probleme der Rütli-Schule zu veranschaulichen.

Ich möchte in einer dreiteiligen Gegenüberstellung Ähnlichkeiten und Unterschiede der Filme beschreiben. Im ersten Teil sollen zunächst Handlung und Opferfiguren in ihren Grundzügen vorgestellt werden. Im zweiten Teil will ich mich den Tätern widmen. Im dritten Teil werde ich einen kurzen Blick auf angeschnittene Themenkreise werfen und die filmische Realisierung dieser Jugendgewalt-Thriller thematisieren.

Ich hoffe, dass ich nicht die Lust am Thema verlieren werde. Teil 2 ist halb fertig und wird wohl morgen oder übermorgen gepostet. Für Teil 3 habe ich einige Stichpunkte, die ich noch ausarbeiten muss...vielleicht wird dieser Teil etwas später kommen, weil ich zwischendurch eine thematische Abwechselung brauche.

Los geht’s...

Der Inhalt der Filme

Wut erzählt die Geschichte von Felix (Robert Höller), der von einer türkischen Jugendgang regelmäßig abgezogen wird. Als sie ihm seine neuen Schuhe klauen, interveniert auf Drängen seiner Mutter (Corinna Harfouch) Felix' Vater (August Zirner). Doch die Worte des angehenden Literaturprofessors richten nichts gegen die Gang um den Anführer Can (Oktay Özdemir) aus, sondern verschlimmern nur die Lage für Felix. Felix' Vater wendet sich an Cans Vater, was dazu führt, dass Felix die Schuhe zurückbekommt, Can jetzt aber auch Felix’ Vater unter Druck setzt, indem er beispielsweise seine Antrittsvorlesung stört. Der Vater beschattet Can beim Drogendealen, geht dazwischen als er sieht, wie sein Sohn Gras von ihm kauft, wird von der Jugendgang zusammengeschlagen und wendet sich erst jetzt an die Polizei. Die durchsucht Cans Wohnung und findet Unmengen an Dope. Can wird von seinem Vater aus der Familie verstoßen, muss aber bis zum Prozessbeginn nicht ins Gefängnis. Die Situation eskaliert, die Gewaltspirale dreht sich immer schneller: Die Gang schlägt zur Vergeltung Felix zusammen, der Vater lässt Can von einem Freund verprügeln, Can überfällt die Familie eines Abends mit einer Schusswaffe und Felix' Vater tötet ihn schließlich im Swimmingpool des Villengrundstücks.

Knallhart handelt von Michael (David Kross), der an seinem 15. Geburtstag mit seiner Mutter Miriam (Jenny Elvers-Elbertzhagen) vom gutbürgerlichen Berliner Bezirk Zehlendorf in den sozial schwachen Stadtteil Neukölln ziehen muss, weil Miriams reicher Liebhaber Miriam sexuell nicht mehr anziehend findet. In Neukölln wird Michael umgehend von einer türkischen Jugendgang um den Anführer Erol (Oktay Özdemir) abgezogen: Schuhe und Handy sind weg, die Nase blutet und er muss "Schutzgeld" organisieren. Dafür bricht Michael mit seinen neuen Freunden Crille und Matze in die Wohnung des Ex-Geliebten seiner Mutter ein. Doch auch die Schutzgeldzahlung schützt ihn nicht wirklich vor weiterer Prügel. Michaels Probleme mit der Jugendgang lösen sich erst, als ihn der Drogendealer Hamal (Erhan Emre) unter seine Fittiche nimmt. Eine Zeitlang sieht es gut aus für Michael: Er verdient Geld als Drogenkurier, wird von der Jugendgang gemieden und findet eine Art Familie in der Gangsterszene. Doch als Erol Michaels Rucksack, in dem sich 80.000 Euro Drogengeld befinden, auf einen S-Bahn-Zug wirft, zerbröckelt diese scheinbar heile Welt: Michael wird von Hamal nachts unter einer Autobahnbrücke dazu gezwungen, Erol oder sich selbst zu erschießen: "Es geht um eine Geste." Nach stundenlangem inneren Kampf erschießt Michael Erol, stellt sich anschließend aber der Polizei.

Die Opfer: Felix und Michael

Felix und Michael sind beide die perfekten Opfer: Sie sind schmächtig, haben sanfte Gesichtszüge und keinen Freundeskreis, der sie beschützen könnte. Jedoch gehen sie unterschiedlich mit dieser Opferrolle um, entwickeln unterschiedliche Strategien, um sich aus dieser Lage zu befreien. Felix sucht die Freundschaft zu Can, bewundert ihn für seine Stärke, hofft auf dessen Verständnis und womögliches Einlenken. Dieser Wunsch nach Integration erklärt, warum Felix Can wiederholt in das Haus seiner Eltern lässt und warum er bestimmte Aktionen des Vaters harsch kritisiert. Felix befindet sich gewissermaßen in einer doppelten Opferrolle: Er wird auf dem Schulweg von Cans Gang schikaniert und muss sich zu Hause dem Willen seiner Eltern beugen. Er kann sich in beiden Rollen nicht behaupten. Seine Suche nach Integration in die Gang bleibt erfolglos, gegen seine Eltern will er auch nicht konsequent rebellieren. Einen Ausweg bietet der Film nicht an. Felix hat offenbar keine Freunde und mit seiner erwachenden Sexualität kann er noch nicht umgehen: Die von ihm mit Blicken angehimmelte Violinistin spricht er nicht an.

Michael sucht im Gegensatz zu Felix nicht die Freundschaft des Anführers der Gang. Einen Rückhalt in der Familie hat er nicht. Seine Mutter ist damit beschäftigt, einen neuen Liebhaber zu finden, der Kontakt zu seinem Großvater ist abgebrochen. Er sucht und findet andere Freundschaften: Zunächst Crille und Matze, später Hamal und Barut. Diese Freundschaften bieten Michael einen gewissen Halt. Allerdings basiert dieser Halt auf kriminellen Machenschaften, die jeweils nur vorübergehend von Erfolg gekrönt sind. Immerhin entwickelt Michael durch seine illegalen Aktivitäten ein neues Selbstbewusstsein. Er behauptet sich verbal gegen seine Mutter. Eine erste Liebesbeziehung mit einer Klassenkameradin bahnt sich auch an. Insgesamt verhält sich Michael aktiver als Felix. Michael handelt gezwungenermaßen selbst, während Felix zur Passivität gezwungen wird: Seine Eltern sind die Handelnden. Während des Wasserpfeiferauchens beim türkischen Barbier äußert Michael seine Bedürfnisse: Er wünscht sich Ruhe und Stille. Doch seine Umgebung lässt ihn nie zur Ruhe kommen. Am Ende des Films, wenn er in der U-Haft-Zelle sitzt, geht dieser Wunsch dann in pervertierter Form in Erfüllung.

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