Sonntag, September 30, 2007

S.O.B.

S.O.B.s witzigster Moment ist leise und kurz: Die unter Drogen gesetzte Hauptdarstellerin (Julie Andrews) wird auf dem Set kurz vor Drehbeginn von zwei Make-up-Leuten bearbeitet und stimmt sich währenddessen auf die bevorstehende Nacktszene ein, indem sie mit sanft-lasziver Stimme singt: There are only five bullets in my old six-shooter cos I had to say goodbye to Mooonaaaa. - Wie aus dieser Beschreibung schon ersichtlich wird, handelt es sich bei S.O.B. um einen Film übers Filmemachen. Eine Materie, das weiß man spätestens seit The Player und Living in Oblivion, der man durchaus Amüsantes abgewinnen kann. Doch leider verpuffen in S.O.B. viele Gags, kämpft der Film grundsätzlich mit seinem Tempo und ist mit 121 Minuten eindeutig zu lang geraten.

Regielegende Blake Edwards (The Pink Panther) drehte S.O.B. im Jahr 1981. Die Besetzung kann einem die Schuhe ausziehen: Da spielen solche Größen wie William Holden, Julie Andrews und Robert Vaughn neben B-Filmgrößen wie Robert Loggia und Rosanna Arquette. Ein TV-Gigant wie Larry Hagman gibt sich in einer Nebenrolle ebenso die Ehre wie Joe Penny, einem Hauptdarsteller der 80er Jahre B-Actionserie "Trio mit vier Fäusten" (aka Riptide). Ein wahrlich seltsames Ensemble also, welches allerdings in seiner Bandbreite wunderbar zum Sujet des Films passt.

S.O.B. erzählt vom Erfolgsproduzenten Felix Farmer (Richard Mulligan), der nach etlichen Kassenhits seinen ersten Flop (ein familientaugliches Musical) abliefert. Schwer depressiv versucht Farmer, sich nun mehrfach vergeblich das Leben zu nehmen. Dann durchfährt ihn ein Geistesblitz: Der Film sei noch zu retten, wenn man ihn in einen Sexfilm umwandeln würde.

Julie Andrews gibt die Hauptdarstellerin und Ehefrau Farmers, einen Hollywood-Superstar, der sich nach dümmlichen Musicaltänzchen auf einmal gezwungen sieht, oben ohne über die Bühne zu hüpfen. Aus dem inneren Konflikt der Aktrice entsteht die oben erwähnte Szene.

S.O.B. will in erster Linie eine Hollywoodsatire sein. Edwards zieht hier sämtliche Facetten des Showbiz durch den Kakao: Eitle Studiobosse mit Doppelmoral, raffgierige Rechtsanwälte, eigensinnige Agenten, penetrante Klatschreporter - S.O.B. bedient jedes Klischee, das man von Hollywood hat, walzt es geradezu aus und zerstört dadurch leider auch viele Gags. Gerade im letzten Akt, als eine Leiche aus einem Bestattungsunternehmen stibitzt werden soll, zieht sich S.O.B. bedenklich in die Länge. Aus heutiger Sicht ist es wohl sicher zu sagen, dass auf dem Film eine Patina liegt, er also nicht gut gealtert ist. Die Komödie wurde aber auch schon zur Zeit ihrer Veröffentlichung ambivalent aufgenommen. So gab es neben einer Golden Globe Nominierung in der Sparte Komödie/Musical auch zwei Razzie-Nominierungen (Drehbuch und Regie). Trotz all dieser Gegensätze erklärt Blake Edwards' Abrechnung mit Hollywood, die ihm augenscheinlich sehr am Herzen lag, was eine große Hollywoodproduktion letztlich immer ist: Standard Operational Bullshit.

Mittwoch, September 26, 2007

Deadwood

Deadwood macht es einem nicht leicht, wenn man Nicht-Muttersprachler ist und gerne Originalversionen guckt. Als ich etwa die Hälfte der ersten Staffel gesehen hatte, war ich deshalb drauf und dran, diese HBO-Westernserie abzusetzen. Doch dann realisierte ich, dass ich bereits einige der Figuren zu sehr ins Herz geschlossen hatte, um getrost auf den Rest verzichten zu können, auch wenn das bedeuten sollte, gewisse Feinheiten nicht mitzubekommen. Ironischerweise verstehe ich problemlos die gebildeten Figuren, die in der Serie auftauchen, und die von den Charakteren ohne Bildung aufgrund ihrer Sprache teilweise nicht verstanden werden. Westernslang und obsoletes Vokabular sorgen für Verständnisprobleme, verleihen Deadwoods oftmals musikalischen Dialogen einen barocken Touch. Während es bei den Sopranos genügt, einige Mafia-Vokabeln zu kennen (die HBO auf der offiziellen Website hilfsbereiterweise sogar auflistet), muss man bei Deadwood mit Shakespeare-Englisch, Westernslang und Kraftausdrücken der Gegenwart gleichermaßen vertraut sein. Hinzu kommt die im Bourbonrausch vernuschelte Aussprache einiger Figuren.

Wen diese einleitenden Zeilen nicht zu sehr abschrecken, dem sei gesagt: Deadwood ist ein Juwel von einer Serie. Die Authentizität, mit der das kleine Goldgräberkaff Deadwood gezeichnet wird, trifft den Zuschauer mit einer solchen Wucht, dass mir in diesem Zusammenhang das Wort "Realitätsschock" am angemessensten scheint. So abgewanzt, dreckig, modderig, schleimig, brutal und aufgrund dessen faszinierend ist der Wilde Westen noch nie gewesen. Ähnlich wie in Rome geht mit diesem hohen Wirklichkeitsanspruch ein zeitgemäßer Umgang mit der Materie einher. Das schlägt sich zum einen in der Verwendung übelster Schimpftiraden sowie einer nie dagewesenen Frauenfeindlichkeit und einem unverhohlenem Rassismus nieder, wie sie wohl nur im Bezahlfernsehen möglich sind. Zum anderen ist die Figuren- und Handlungsstruktur dermaßen komplex, wie man sie nur in Serien der Gegenwart oder in seitenreichen Romanen des Realismus finden wird. Das Kino ist nicht in der Lage, mit einer vergleichbaren Figurenanzahl in solch epischer Breite zu erzählen.

Doch worum geht es in Deadwood eigentlich? Deadwood setzt im Jahr 1876 ein. Der Ort Deadwood hat zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht den offiziellen Status einer Stadt, sondern ist ein Camp voller Abenteurer und Goldsucher, die vom Gerücht abgelockt werden, in den nahegelegenen Black Hills befänden sich Goldvorkommen. Zentraler Anlaufpunkt ist der Saloon des zwielichtigen Unternehmers und Zuhälters Al Swearengen (Ian McShane), der gewissermaßen als Chef des Lagers fungiert und seine Macht durch hilfreiche Muskelmänner auszuüben versteht. Der Ex-Sheriff Seth Bullock (Timothy Olyphant) möchte mit seinem Partner Sol Star (John Hawkes) einen Haushaltswarenladen eröffnen und gerät aus verschiedenen Gründen wiederholt mit Swearengen aneinander. Und die reiche Alma Garret (Molly Parker) ist plötzlich auf sich alleine gestellt, als Swearengen aus Profitgier den Mord an ihrem Ehemann veranlasst. Weiter möchte ich die komplexen Handlungsstränge nicht auseinanderklamüsern, nur noch darauf hinweisen, dass sowohl der Ort als auch einige der Charaktere historisch fundiert sind. Politik, Korruption, Liebe, Krankheit, Mord und Tod sind die Themen, um die die drei Staffeln kreisen.

Schauspielerisch befindet sich Deadwood wie alle HBO-Serien auf höchstem Niveau. Die Offenbarung für mich ist allerdings Ian McShane, der die ambivalente Figur des Al Swearengen mit einem solchen Nuancenreichtum spielt, der seine Mecker- und Schimpftiraden mit einer derartigen Leidenschaft ausspuckt, dass einem der Atem wegbleibt. Warum McShane 2005 lediglich eine Emmy-Nominierung erhalten hat, ist mir ein Rätsel.

Eine besondere Stellung im Camp nimmt der Doktor ein, der von Brad Dourif sehr liebenswert gespielt wird. Dourif übernimmt die leicht geduckte Körperhaltung von Wormtongue für Doc Cochran, ist aufgrund seines Jobs, der ihn zu allen Leuten des Ortes führt, gewissermaßen die einzig neutrale Person des Lagers. Da der Tod permanent wie eine Dunstglocke über Deadwood zu schweben scheint und Siechtum in etlichen Varianten durchgespielt wird (möglicherweise das heimliche Hauptthema der Serie), hat der einzige Arzt des Dorfes stets alle Hände voll zu tun. In der ersten Staffel hat der Doc beispielsweise mit dem Ausbruch der Pocken zu kämpfen.

Die offene Political Incorrectness hat Deadwood einige Kritik eingebracht. Dabei wird verkannt, dass die historisch durchaus korrekte Darstellung von Rassismus und Misogynie für den heutigen Zuschauer die Quelle eines einzigartigen Humors ist, der die Menschenverachtung und Stumpfsinnigkeit einer derartigen Weltanschauung plastisch vorführt. Die Dynamik zwischen den WASPs auf der einen Seite und den chinks, cocksuckers, niggas und cunts auf der anderen führt nur selten zu handfesten Auseinandersetzungen zwischen den Figuren, jedoch regelmäßig zu schreiend komischen Dialogen. Dieser Link zu youtube zeigt ein typisches Zwiegespräch zwischen Al Swearengen und dem chinesischen Schweinezüchter (und des Englischen unkundigen) Woo, dessen Getier regelmäßig Deadwoods Leichen zu fressen bekommt und der sich hier über den Diebstahl seines Rauschgiftes durch weiße Banditen beschwert.

Zwei gesellschaftliche Außenseiter: 'Lil' Nigga General' und Calamity Jane

Abschließend bleibt mir nur noch darauf hinzuweisen, dass sich Deadwood zu Whisky verhält wie Sideways zu Wein: Man kommt als Whiskyfan regelmäßig in Versuchung, beim Zuschauen mitzutrinken. Hier wird so viel Bourbon verkonsumiert wie in kaum einem anderen Western. Allerdings zeigt Deadwood im Gegensatz zu Sideways auch die Schattenseiten des Saufens auf. Am deutlichsten wird dies durch die Rolle der Calamity Jane (Robin Weigert) zum Ausdruck gebracht, die in kaum einer Szene nüchtern ist.

Ob es eine vierte Staffel geben wird, steht wohl in den Sternen. Ich konnte im Internet kein offizielles Statement zu Einstellung beziehungsweise Fortsetzung der Serie finden.

Freitag, September 21, 2007

Gedrucktes: No Country for Old Men


Ende November startet in den USA der neue Film der Gebrüder Coen: No Country for Old Men. Der Film basiert auf dem 2005 veröffentlichten, gleichnamigen Roman von Cormac McCarthy. McCarthy ist seit Mitte der 60er Jahre als Autor tätig, bekannt wurde er jedoch erst in den 90er Jahren durch seine Border-Trilogie. Teil eins der Trilogie, All the Pretty Horses, erhielt etliche Literaturpreise und war wochenlang in Bestsellerlisten vertreten. Im Jahr 2000 adaptierte Billy Bob Thornton den Roman für die Leinwand.

Die Coens versuchen sich nun also an McCarthys recht jungem, gut 300 Seiten langem Prosawerk, das wie die Border-Trilogie die Handlung an der texanisch-mexikanischen Grenze ansiedelt. In No Country for Old Men verzahnt McCarthy die Perspektive dreier Figuren miteinander: Die eines Jägers, eines Gejagten und eines Fährtenlesers.

Der Vietnam-Veteran Llewellyn Moss stößt während der Antilopen-Jagd auf einige Pickup-Trucks voller Leichen und Heroin. Unweit davon entfernt liegt ein weiterer Toter mit einem Koffer voll Geld, den Moss an sich nimmt und flüchtet. Nun wird der Freizeitjäger und Ex-Soldat selbst zum Gejagten. Dabei ist es jedoch nicht die wie gelähmt erscheinende Polizei, vor der er sich fürchten muss, sondern es sind die Auftragskiller der zwei Parteien, deren Drogendeal schief gelaufen ist. Insbesondere der psychopathische Killer Chigurh, der seinen Opfern vorzugsweise mit einem Luftdruck-Schlachtinstrument das Hirn aus dem Schädel bläst, wird zur ernsthaften Bedrohung für Moss. Der alte Sheriff des zuständigen Südstaatenkaffs, Ed Tom Bell, dessen Reflexionen über sein Leben und die dramatischen Veränderungen der Welt jedes Kapitel melancholisch einleiten und dem Roman die Aura eines Abgesangs auf ein Südstaatenidyll verleihen, fungiert hier als Fährtenleser, der dem blutigen Pfad, den die Gangster quer durch die grenznahen Kleinstädte schlagen, nur folgen, ihm aber nicht Einhalt gebieten kann.

Die Verquickung der Perspektiven macht den Roman hochinteressant. Sie führt dem Leser auf beeindruckende Weise vor, wie sehr sich die Rollen ähneln, in denen sich die Figuren bewegen. McCarthy beschreibt nicht nur Suche und Flucht in schnörkellosen Sätzen, sondern auch den Stillstand und das quälende Warten. Immer wieder liegen die Figuren regungslos auf ihren Motelbetten, den Blick starr an die Decke gerichtet. - Es geht um die alte Frage, ob man sein Schicksal selbst verändern kann oder ob es eine lenkende Hand gibt, die unser Tun steuert. Moss durchfährt ein starkes Gefühl der Angst, kurz bevor er den Geldkoffer an sich nimmt. Er weiß um die möglichen Konsequenzen. Er tut es trotzdem. Den Sheriff quält ein Kriegserlebnis, das über dreißig Jahre zurückliegt, und für das er zu Unrecht einen Orden erhalten hat. Und der eiskalte Killer Chigurh ist ein Determinist reinsten Wassers. So erklärt er einem seiner Opfer: “When I came into your life your life was over. It had a beginning, a middle, and an end. This is the end. You can say that things could have turned out differently. That they could have been some other way. But what does that mean? They are not some other way. They are this way.”

No Country for Old Men ist über weite Strecken ein äußerst effektiv gestrickter Thriller. Man ist kaum in der Lage, das Buch auf den ersten 200 Seiten aus der Hand zu legen. Für mich eindeutig das Spannendste, was ich dieses Jahr bislang gelesen habe. Doch dann - so um die Seite 250 - endet die Thriller-Handlung sehr abrupt. Es folgen weitere Meditationen des Sheriffs, ein langes Gespräch zwischen ihm und seinem Onkel, Gedanken über den verstorbenen Vater. McCarthy möchte hier die philosophische Ebene vertiefen, die er durch die kapiteleinleitenden Gedankenströme bereits eingeführt hat. Leider funktioniert das nicht wie intendiert. Denn Sheriff Bell ist eine dröge, langweilige Figur, die aufgrund ihrer Unfähigkeit, die Geschehnisse um den Geldkoffer gezielt zu beeinflussen, in ihrer stetigen Grübelei prätentiös erscheint. McCarthy taumelt also nach einem fulminanten Start und einem nervenaufreibenden Mittelteil ins späte Finish.

Die Sprache aber macht den Roman trotz alledem sehr lesenswert. Zwar erzwingt McCarthy vom Leser permanente Aufmerksamkeit, indem er auf gängige Interpunktion verzichtet und auch Grammatik und Rechtschreibung in die Funktion des Lokalkolorits stellt. Das hat aber Dialoge zur Folge, die, selbst wenn man still liest, den Singsang des texanischen Slangs im Kopf zum Klingen bringen.

No Country for Old Men ist wie geschaffen für die Coens! Darf man dem Trailer trauen, hält sich die Verfilmung sehr an die Vorlage. Der Stoff wird sich großartig in das Coensche Filmuniversum einreihen. Denn wie die meisten ihrer Filme spielt No Country for Old Men nicht in der Gegenwart. Im Jahr 1980 nimmt die Handlung ihren Lauf. Es wird wohl der mit Abstand blutigste, ja vielleicht sogar erste wirklich gorige, Coenfilm. Und er wird einen literarischen Bezug haben, wie er bislang in fast jedem ihrer Filme zu finden war.

Dienstag, September 18, 2007

OT: Das Gottesvirus

Ein überaus lesens- und nachdenkenswerter Artikel befindet sich im heutigen Tagesspiegel: Das Gottesvirus. Bas Kast stellt das neue Buch vom bekannten Evolutionsbiologen Richard Dawkins vor. Titel: Der Gotteswahn. Dawkins vertritt in dieser Streitschrift die These, ein an Gott glaubender Mensch leide unter einer Art Psychose, von der er dringend geheilt werden müsse. In den USA längst ein Bestseller, befindet sich die gerade auf Deutsch erschienene Ausgabe derzeit immerhin schon auf Platz 16 in der amazon-Rangliste.

„Der Gott des Alten Testaments ist die unangenehmste Gestalt in der gesamten Literatur: Er ist eifersüchtig und auch noch stolz darauf; ein kleinlicher, ungerechter, nachtragender Überwachungsfanatiker; ein rachsüchtiger, blutrünstiger ethnischer Säuberer; ein frauenfeindlicher, homophober, rassistischer, Kinder und Völker mordender, ekliger, größenwahnsinniger, sadomasochistischer, launisch-boshafter Tyrann.“ Mit diesen versöhnlichen Worten beginnt Richard Dawkins das zweite Kapitel seines soeben auf Deutsch erschienenen Buchs „Der Gotteswahn“ (Ullstein, 576 Seiten, 22,90 Euro). Die Passage gehört zu den Lieblingsstellen des Autors. Oft fängt er seine Lesungen mit diesen Sätzen an, um, wie er sagt, „bei einem neuen Publikum das Eis zu brechen“.

Montag, September 17, 2007

HDNET wirbt für 'Redacted'

"Coming Fall 2007" heißt es im gestern bei youtube veröffentlichten Ad für De Palmas Irakfilm. Wenn sich bewahrheiten sollte, was ursprünglich angekündigt worden ist, dann erscheint in diesem Herbst zeitgleich mit dem US-Kinostartttermin auch die Redacted-DVD. Ich hege allerdings Zweifel daran, dass HDNET nach dem großen Erfolg bei den Filmfestspielen in Venedig an dieser Marketing-Strategie festhalten wird. Da Redacted in den USA für hitzige Debatten sorgt, wird man wohl versuchen, zunächst über ein Kino-Release die Kassen zum Klingeln zu bringen.




Montag, September 10, 2007

Film noirs in Kürze: Zweimal Anthony Mann

Raw Deal: Anthony Mann zählt zu den wichtigsten Regisseuren der Noir-Ära. Kaum jemand hat in den 40er Jahren so viele Film noirs gedreht wie er. Seine Filme zeichnen sich durch ein verhältnismäßig geringes Budget aus, haben aber gerade auch deshalb einen sehr rauhen Look. Kameramann John Alton, mit dem Mann meist zusammenarbeitete, war oftmals gezwungen, Teile des Bildes schwarz zu lassen, weil Kulisse fehlte oder für aufwendige Lichtdesigns keine Zeit oder kein Geld zur Verfügung stand. - In Raw Deal bricht der Kleinganove Joe Sullivan (Dennis O'Keefe) aus dem Knast aus und flüchtet mit seiner Freundin Pat (Claire Trevor) und der Sozialarbeiterin Ann (Marsha Hunt) in Richtung San Francisco. 50.000 Dollar schuldet ihm der Gangsterboss Rick (Raymond Burr). Doch der denkt nicht ans Zahlen, sondern setzt einen Killer auf Joe an. Neben dieser äußerlichen Bedrohung, lauert auch Gefahr von innen, denn Joe verliebt sich zu Pats Ärger in die couragierte Ann. - Dunkle, klaustrophobische Bildgestaltungen unterstreichen sowohl die inneren, emotionalen Spannungen zwischen den zwei Frauen und Joe als auch die äußerlichen Bedrohungen durch Polizei und Gangster. Die für den Film noir typische fatalistische Stimmung gelangt so zur vollen Blüte, unterstützt auch durch den in resignierendem Ton gesprochenen Voice-Over von Pat. - Raw Deal zählt zum Besten, was die B-Noirs zu bieten haben.
75 Punkte.


T-Men ist der Referenzfilm für das Subgenre der Doku-Noirs. Der Film beginnt wie He Walked by Night mit einer recht steifen Einführung in die Aufgaben des Treasury-Departments, um uns anschließend die angeblich wahre Geschichte einiger T-Men, also Treasury-Men, zu erzählen: Dennis O'Brien (Dennis O'Keefe) soll zusammen mit seinem Partner Tony (Alfred Ryder) eine Geldfälscherbande infiltrieren. T-Men fesselt wie Raw Deal insbesondere durch klaustrophobische Bildgestaltungen, glaubwürdige Figuren und einen zügig erzählten Plot. Auch wenn die etwas selbstverliebte Darstellung kriminaltechnischer Methoden im Zeitalter von Jack Bauer hin und wieder unfreiwillig komisch wirkt und die Story zu sehr süßlichen Patriotismus zelebriert, handelt es sich formal um einen sorgfältig durchdachten Klassiker, der mit Gewaltdarstellungen nicht spart. Hier wird gefoltert und geschossen. In einer der eindringlichsten Szenen wird ein Mann in einem Dampfbad bei lebendigem Leibe gekocht, was Kameramann John Alton mit einer Kombination aus Schatten und grellem, infernalischem Licht eindrucksvoll bebildert.
66 Punkte.

Samstag, September 08, 2007

Brian De Palma gewinnt Silbernen Löwen

Bei den 64. Filmfestspielen von Venedig hat Brian De Palma mit seinem Irakfilm Redacted den Silbernen Löwen für die beste Regie gewonnen. Der Goldene Löwe ging an Ang Lees Se, jie.

Für De Palma ist dies der erste Preis eines A-Festivals, seitdem er 1968 mit Greetings den Silbernen Bären in Berlin gewann.

De Palma sagte kurz nach der Preisvergabe: "Prizes are always great because it helps your film to be seen. But critics and prizes just tell you what the fashion of the day is. We don't make movies to win prizes."

Außerdem wurde Redacted mit dem Unicef Award ausgezeichnet. Der Preis wird an den Film verliehen, der die Werte und Ideale der Unicef am besten transportiert, indem er den Rechten von Kindern Stimme und Gesicht gibt.

Bereits gestern erhielt Redacted den Digital Award des Future Film Festivals als bester Film, der mit digitaler Technologie gedreht worden ist.

Le Cercle rouge endlich auf DVD

Die SZ-Cinemathek geht heute in die nächste Runde. Eine zwölfteilige Série Noire widmet sich dem französischen Kriminalfilm und wird in den kommenden Wochen nach und nach veröffentlicht. Den Anfang macht Jean-Pierre Melvilles fantastischer Gangsterfilm Le Cercle rouge (DT: Vier im roten Kreis), der skandalöserweise bislang in Deutschland nicht auf DVD erhältlich war. Insgesamt fünf solcher DVD-Premieren befinden sich unter dem Dutzend DVDs. Bei 9.90 Euro pro Film gibt es preislich nichts auszusetzen, auch wenn (wie bei der SZ-Cinemathek üblich) gänzlich auf Special Features verzichtet wird.

Donnerstag, September 06, 2007

Film noirs in Kürze: This Gun for Hire & The Dark Corner

This Gun for Hire: Alan Ladd gibt hier einen Auftragskiller mit traumatischer Kindheit, der von seinem Auftraggeber hereingelegt wird und sich nun dafür rächen möchte. Verwoben wird dies noch mit einer Art Agenten-Nebenhandlung: Die Zauberkünstlerin Ellen Graham (Veronica Lake) soll mit eben jenem Auftraggeber anbändeln, weil dieser unter Verdacht steht, geheimes Material an den Kriegsgegner Japan weiterzugeben. - Was als geradliniger Gangsterfilm beginnt, entwickelt sich zu einem komplexen Spionagethriller. Quasi nebenbei werden hier Themen und Motive der James-Bond-Reihe vorweggenommen. Der Antiheld wird tiefenpsychologisch ausgeleuchtet, ohne dass dies aufgesetzt wirkt - er ist eine Figur wie sie dunkelgrauer nicht sein könnte. Zudem erinnert Ladd an die Gangster, die Alan Delon in seinen Melville-Filmen spielte: Vom Trenchcoat bis zur Gesprächsarmut - wer This Gun for Hire gesehen hat, weiß, was Melville und Delon inspirierte. Lediglich Veronica Lake enttäuscht. Sie ist wenig erotisch, kaum mysteriös und auch nicht gefährlich, also keine wahre Femme Fatale. Aber diese Graham-Greene-Adaption stammt auch aus dem Jahr 1942, wurde also vor der heißen Noir-Phase abgekurbelt.
73 Punkte.


The Dark Corner heißt in der deutschen Übersetzung Feind im Dunkel. Der deutsche Titel trifft den Kern des Films ausnahmsweise besser. Im Zentrum des Geschehens steht nämlich der Privatdetektiv und Ex-Häftling Bradford Galt (Mark Stevens), dem das Leben durch einen Unbekannten schwer gemacht wird: Ein bulliger Mann im weißen Anzug verfolgt ihn und jemand versucht Galt nachts mit einem Lincoln über den Haufen zu fahren. Galt glaubt zunächst, sein Ex-Partner Jardine (Kurt Kreuger) stecke hinter all dem. Doch wie er schmerzlich feststellen muss, irrt er gewaltig. Der wahre Strippenzieher hält sich bedeckt. Jardine wird ermordet und Galt wird die Tat angehängt. Zusammen mit seiner Sekretärin (Lucille Ball) versucht Galt, Identität und Motiv des 'Feinds im Dunkel' herauszufinden. - Henry Hathaways Thriller gehört zu den wenigen Film noirs der 40er Jahre, bei denen ein Privatdetektiv im Mittelpunkt steht, die Story aber nicht von Chandler oder Hammett stammt. Und das merkt man auch sehr deutlich. Hier gibt es keine Femme Fatale und der Held ist trotz Knast-Historie ein Saubermann ohne Ecken und Kanten. Durch Clifton Webb, der wie in Laura eine sexuell ambivalente Figur verkörpert, die zwar reich und gebildet, moralisch aber verkommen ist (ein typisches Klischee in Film noirs), erreicht dieser handwerklich ordentlich gemachte Krimi hin und wieder ungeahnte Höhen. Details und Dialoge überzeugen. Im Gegensatz zu der überwiegenden Mehrheit der Noirs hat der Zuschauer in The Dark Corner gegenüber den Protagonisten einen Wissensvorsprung, kann deshalb oft deren nächsten Schritte vorhersehen - eine Erzählstrategie, die gelegentlich zu Lasten der Spannung geht.
64 Punkte.

Fantasy Filmfest 2008

Auf der offiziellen Fantasy Filmfest Internetsite werden die Termine für das kommende Jahr bekanntgegeben. Drastische Änderung: Hamburg und Berlin werden die Startstädte sein. Das Festival wird um einen Monat nach hinten verschoben, so dass sich nur für die Berliner und Hamburger nichts ändert. Alle anderen Festiavalorte werden allerdings erst im späten August oder Anfang September in den Genuss der FFF-Filme kommen. Die Daten im Einzelnen:

Berlin: 12. - 20. August
Hamburg: 13. - 20. August
Köln: 20. - 27. August

Bochum: 20. - 27. August
Frankfurt: 27. August - 03. September
Nürnberg: 27. August - 03. September
Stuttgart: 03. - 10. September

München: 03. - 10. September

Im f3a.net-Forum wird bereits heftig über die Terminänderung diskutiert.

Samstag, September 01, 2007

De Palma bekommt 10-minütige Standing Ovations

Nach der Weltpremiere von Redacted applaudierten die 2000 Zuschauer laut Globeandmail.com für zehn Minuten nonstop. Reuters schreibt: "Redacted stuns Venice". Und auch Tagesspiegel, Berliner Zeitung und FAZ sind sich einig: Redacted ist der erste Höhepunkt der 64. Filmfestspiele in Venedig. Nachdem viele Kritiker von Ang Lees neuem Film, Se jie, enttäuscht waren (tsp: "edler Mainstream") und auch der Eröffnungsfilm, Atonement, mit Keira Knightley in der Hauptrolle als melodramatischer Kostümschinken (Die Welt: "protzige Kinokonfektionsware") abgetan worden ist, schockierte De Palma mit seinem Dokudrama das Premierenpublikum. Nach der Pressevorstellung habe bedrücktes Schweigen geherrscht und vereinzelt seien Tränen geflossen. Die FAZ feiert den Film als "radikalste Antwort des Kinos auf Abu Ghraib".

Während die US-amerikanische Fachpresse Redacted durchaus würdigt (Hollywood Reporter: "De Palma's filmmaking skills have seldom been as razor sharp"), hetzen konservative Kreise gegen den Film (The Daily Standard: "Hollywood Hates the Troups").

Kulturzeit berichtete in der gestrigen Sendung kurz über Redacted: Filmausschnitte lassen sich neben einigen Schnipseln aus der Pressekonferenz bei youtube begutachten.

Nachdem heute nun der zweite Irakfilm zu sehen war, Paul Haggis' In the Valley of Elah, der ebenfalls vom Publikum gefeiert worden ist, gelten De Palmas und Haggis' Film derzeit als heißeste Anwärter auf den begehrten Goldenen Löwen.

EDIT 03.09.07: Eine Besprechung in der heutigen Süddeutschen (Druckausgabe) fasst das Verhältnis zwischen In the Valley of Elah und Redacted so zusammen:

Die beiden Filme ergänzen sich, im Guten wie im Schlechten - wo De Palma keine Spur Mitleid hat mit den Jungs, von denen er erzählt, forscht Haggis in den Kindergesichtern nach einer Antwort. Wo Haggis so nah an den Figuren bleibt, dass ihm der Überblick fehlt, beobachtet De Palma aus der Ferne und findet ein viel größeres Mosaik der Machanismen, Verstrickungen, Manipulationen. Aber am Ende weiß De Palma, in all seinem Furor, doch besser, wie unendlich kompliziert die Welt ist. Es gibt keine Antworten bei ihm, keine Lösung, keine Erlösung. Haggis, der "Million Dollar Baby" geschrieben hat, kann zu Tränen rühren, aber De Palma erzeugt nachhaltige Verstörung.

Und Jan Schulz-Ojala schreibt im Tagesspiegel:

Immer ums inszenatorisch Deutliche, ja Überdeutliche, und auch in scheinbarer Unterkühltheit immer effekthascherisch um die große Emotion bemüht, funktioniert der Film ["In the Valley of Elah"] wie der perfekte Gegenentwurf zu „Redacted“ (vgl. Tsp vom 1. 9.). Und doch: Haggis (54) macht, verglichen mit Brian De Palma (66), dessen Film auf dem Festival alles finster überstrahlt, uraltes Kino.

Empfehlenswerter Link:
Geoff von De Palma a la Mod stellt alles Wesentliche über Redacted auf seiner Internetseite zusammen.