Samstag, September 01, 2007

De Palma bekommt 10-minütige Standing Ovations

Nach der Weltpremiere von Redacted applaudierten die 2000 Zuschauer laut Globeandmail.com für zehn Minuten nonstop. Reuters schreibt: "Redacted stuns Venice". Und auch Tagesspiegel, Berliner Zeitung und FAZ sind sich einig: Redacted ist der erste Höhepunkt der 64. Filmfestspiele in Venedig. Nachdem viele Kritiker von Ang Lees neuem Film, Se jie, enttäuscht waren (tsp: "edler Mainstream") und auch der Eröffnungsfilm, Atonement, mit Keira Knightley in der Hauptrolle als melodramatischer Kostümschinken (Die Welt: "protzige Kinokonfektionsware") abgetan worden ist, schockierte De Palma mit seinem Dokudrama das Premierenpublikum. Nach der Pressevorstellung habe bedrücktes Schweigen geherrscht und vereinzelt seien Tränen geflossen. Die FAZ feiert den Film als "radikalste Antwort des Kinos auf Abu Ghraib".

Während die US-amerikanische Fachpresse Redacted durchaus würdigt (Hollywood Reporter: "De Palma's filmmaking skills have seldom been as razor sharp"), hetzen konservative Kreise gegen den Film (The Daily Standard: "Hollywood Hates the Troups").

Kulturzeit berichtete in der gestrigen Sendung kurz über Redacted: Filmausschnitte lassen sich neben einigen Schnipseln aus der Pressekonferenz bei youtube begutachten.

Nachdem heute nun der zweite Irakfilm zu sehen war, Paul Haggis' In the Valley of Elah, der ebenfalls vom Publikum gefeiert worden ist, gelten De Palmas und Haggis' Film derzeit als heißeste Anwärter auf den begehrten Goldenen Löwen.

EDIT 03.09.07: Eine Besprechung in der heutigen Süddeutschen (Druckausgabe) fasst das Verhältnis zwischen In the Valley of Elah und Redacted so zusammen:

Die beiden Filme ergänzen sich, im Guten wie im Schlechten - wo De Palma keine Spur Mitleid hat mit den Jungs, von denen er erzählt, forscht Haggis in den Kindergesichtern nach einer Antwort. Wo Haggis so nah an den Figuren bleibt, dass ihm der Überblick fehlt, beobachtet De Palma aus der Ferne und findet ein viel größeres Mosaik der Machanismen, Verstrickungen, Manipulationen. Aber am Ende weiß De Palma, in all seinem Furor, doch besser, wie unendlich kompliziert die Welt ist. Es gibt keine Antworten bei ihm, keine Lösung, keine Erlösung. Haggis, der "Million Dollar Baby" geschrieben hat, kann zu Tränen rühren, aber De Palma erzeugt nachhaltige Verstörung.

Und Jan Schulz-Ojala schreibt im Tagesspiegel:

Immer ums inszenatorisch Deutliche, ja Überdeutliche, und auch in scheinbarer Unterkühltheit immer effekthascherisch um die große Emotion bemüht, funktioniert der Film ["In the Valley of Elah"] wie der perfekte Gegenentwurf zu „Redacted“ (vgl. Tsp vom 1. 9.). Und doch: Haggis (54) macht, verglichen mit Brian De Palma (66), dessen Film auf dem Festival alles finster überstrahlt, uraltes Kino.

Empfehlenswerter Link:
Geoff von De Palma a la Mod stellt alles Wesentliche über Redacted auf seiner Internetseite zusammen.

10 Kommentare:

Rajko Burchardt hat gesagt…

Westphal hat über LUST, CAUTION auch nicht viel Gutes zu berichten, ich kann es nicht glauben, ehrlich gesagt.

Aber sorry, hier geht es ja um den Meister De Palma, nicht den Meister Lee. *g*

Jochen hat gesagt…

Abwarten und Tee trinken. Ich glaube auch nicht, dass Ang Lee enttäuschen wird.

Was mich allerdings wundert: Paul "Crash" Harris' Film soll gut sein. Naja, dass haben einige ja auch von CRASH behauptet ;-)

Rajko Burchardt hat gesagt…

Eben. Und CRASH war letztlich Kinderkacke, die den Zuschauer mit so viel moraliner Säure übergoß, dass er anschließend ja nur wimmernd aus dem Kino rennen konnte.

Du fandest ja BBM nicht so gut, wenn ich das richtig in Erinneurng habe. Ich halte ihn nach wie vor für ein nicht zu übertreffendes Monument, einen modern classic, bei dem Lee auf dem Gipfel seines Könnens angelangt ist. Somit kann mich der neue gar nicht mehr umhauen, aber ich bin überrascht, sonst lieben die Feuilletons den guten Lee doch so sehr.

Und: CASUALTIES wird geguckt, ok ok. ;)

Jochen hat gesagt…

Stimme dir in Bezug auf CRASH zu.

BBM ist für mich ein schwächerer Lee. Sorry, aber der hat mich im Gegensatz zu seinen anderen Filmen nicht gepackt. Konnte nicht nachvollziehen, warum die zwei da plötzlich übereinander herfallen. Und deren Liebe hat mich auch zu keinem Zeiptunkt berührt *duck* Sicherlich kein schlechter Film, toll fotografiert. Auch wie die Landschaft eine Art eigene Figur wird usw. Aber Sense and Sensibility, Ice Storm, Ride with the Devil, Tiger and Dragon und HULK liegen einfach mehr auf meiner Wellenlänge.

Rajko Burchardt hat gesagt…

Ich versuche dir dann beim nächsten Bier mal darzulegen, warum ich den für das Meisterwerk halte, das er ist. ;)

Anonym hat gesagt…

Ich versuche dir dann beim nächsten Bier mal darzulegen, warum ich den für das Meisterwerk halte, das er ist.

Freue mich schon jetzt auf das Treffen Moonshade - Mr. Vincent Vega, wenn Silvan dem Rajko versucht zu erklären, warum "Crash" ein Meisterwerk ist.

--- Hankey, der beide Filme (wohl zu recht) noch nicht kennt und bloß mal kurz den Rajko provozieren wollte! ;) ---

Anonym hat gesagt…

CRAHS ist gut. Punkt! ;-) Aber dass auch Haggis' Film so gefeiert wurde, der sich von De Palamas in seiner Aussage ("... hates the troops." bzw. "... loves the troops.") bestimmt überdeutlich unterscheidet, wundert mich...

Jochen hat gesagt…

@ MVV

Ich bin gespannt... ;-)

@ Mr Hankey

Bin mir nicht so sicher, ob die Provokation gelungen ist :-)

@ Cleric

Da ich beide noch nicht gesehen habe, wäre es müßig zu spekulieren. Was ich weiß: Beide Filme schildern die dunkle Seite des Irakkriegs. Bei Haggis spielt wohl vor allem die psychische Verarbeitung der Kriegserlebnisse durch die Soldaten eine Rolle.

Anonym hat gesagt…

@ Mr Hankey

Bin mir nicht so sicher, ob die Provokation gelungen ist :-)


Ich glaube fast, dass du recht hast!

Verdammt! ;) ;)

Flo Lieb hat gesagt…

Die FAZ hat keine Ahnung. Ist jetzt nicht gegen De Palma's Film gerichtet, aber was die Journalisten der FAZ immer für Mist, vor allem bzgl. Filmfragen, schreiben ist grausam. Da muss man sich nur mal die wöchentlichen Arschkriechereien zu VALKYRIE durchlesen.