Der Jahresrückblick stellt den Filmblogger vor ein organisatorisches Problem: Welche Filme hat er in den vergangenen 365 Tagen gesehen? Welche davon stammen tatsächlich aus diesem Jahr? Gerade bei Leuten, die aufgrund mangelnder Zeit und mangelnden Kino-Angebots darauf angewiesen sind, Neuheiten auf DVD zu sehen, verschwimmen schnell die Jahresgrenzen. Ich habe mir große Mühe gegeben, meine Sichtungen zu rekonstruieren und bin dabei auf insgesamt über 50 Kinofilme gekommen, die 2008 in deutschen Lichtspielhäusern zu sehen waren. Dazu zähle ich auch Festivalfilme. Ich ordne sie in vier Kategorien: Die Großartigen, die Guten, die Mittelmäßigen und die Schwachen.
Die Crème de la crème
Burn After Reading ist seit langem der erste Film, der das gewohnte Coen-Gefühl der 90er Jahre wieder auszulösen vermag. Vielleicht sind es die starken Anleihen an
Fargo (man achte nur auf die musikalische Begleitung), die
Burn After Reading zur besten Komödie des Jahres werden lässt. John Malkovich als cholerischer Ex-Agent macht auch bei Mehrfachsichtungen einen Heidenspaß. Wann sonst darf er schließlich solch schöne Sätze ausspucken wie: „I have a drinking problem? - You're a Mormon. Compared to you we all have a drinking problem!“
No Country for Old Men mit seinen famosen Landschaftsaufnahmen, geschliffenen Dialogen und hochkarätigem Darsteller-Ensemble ist kaum noch als Coen-Film erkennbar. Die Brüder haben sich hier bewusst zugunsten der Story zurückgenommen, sie insbesondere in der ersten Hälfte fast eins zu eins aus
Cormac McCarthys Vorlage übernommen. Die erfolgten Vereinfachungen ergeben Sinn, lassen den durchaus fordernden Film für den Zuschauer zugänglicher werden. Dieses Jahr ging der Oscar ausnahmsweise mal an die richtigen!
There Will Be Blood hätte die Oscars für beste Regie und Film allerdings ebenfalls verdient: ein vielschichtiges und stilistisch reifes Epos, wie man es von keinem anderen so jungen Regisseur neben Paul Thomas Anderson erwarten würde. Lediglich die Fehlbesetzung des maßlos überforderten Paul Dano als Paul/Eli ist an diesem ansonsten nahezu perfekten Film klar zu beanstanden.
In Bruges steht hier als größte Überraschung des Jahres. Denn diese kleine Gangster-Moritat hatte wohl vergangenes Jahr noch niemand auf dem Radar. Mit einem ordentlichen Schuss schwarzen Humor versehen, weiß die Geschichte von zwei Killern im belgischen Exil auf ganzer Linie zu überzeugen.
Redacted: Brian De Palmas intelligenter, preisgekrönter, stilistisches Neuland betretender Wutschrei gegen den Irakkrieg, dem hierzulande bedauerlicherweise nur eine Videothekenpremiere zuteil wurde. Eine Schande, gerade angesichts des vielen Schrotts, der weiter unten aufgeführt wird.
Iron Man ist gleich zweierlei: Die beste Comicverfilmung und der beste Actionfilm des Jahres.
Before the Devil Knows You're Dead: Sidney Lumet meldet sich mit diesem phänomenalen Thriller zurück. Leider ist diese kluge Familiengeschichte vom Kinopublikum weitgehend unbeachtet geblieben.
Die Guten
Låt den rätte komma in flimmerte auf dem FFF als Centerpiece über deutsche Leinwände. Dort habe ich ihn nicht gesehen, konnte dies dank des jüngst erfolgten deutschen Kinostarts aber nun nachholen und wurde nicht enttäuscht. Der beste Vampirfilm seit
Near Dark.
Midnight Meat Train ist neben dem schwedischen Vampirfilm der beste Horrorfilm des Jahres. Kleinere darstellerische und dramaturgische Schwächen werden durch eine dichte Atmosphäre und einer gelungenen Mischung aus realen und CGI-Effekten ausgebügelt.
The Dark Knight habe ich mittlerweile dreimal gesehen. Mit jedem Mal hat er mir weniger gefallen. Über jeden Zweifel erhaben sind einige der Actionsequenzen und die Leistung Heath Ledgers. Dennoch hat
TDK mehr als eine Länge und erreicht selten die erzählerische Intelligenz des ersten Teils.
Weitere empfehlenswerte Horrorfilme des Jahres sind
Eden Lake, und
All the Boys Love Mandy Lane.
The Mist macht riesigen Spaß, wenn man ihn als Trash sieht. Gleiches gilt für
My Name is Bruce und
Dance of the Dead.
In der Sparte anspruchsvollerer Filme wissen
Cassandra's Dream,
Michael Clayton,
Le Scaphandre et le papillon sowie
Interview und
In the Valley of Elah zu überzeugen.
Die Neuverfilmung von
Die Welle darf ebenfalls als gelungen angesehen werden, wenn man einmal vom dämliche
n Drehbuchdoktor-Ende absieht. Da hatten die Macher nicht den Arsch in der Hose, auf die Vorlage zu vertrauen.
Mit
JCVD hat sich Jean Claude van Damme dieses Jahr unerwartet leise, aber dafür umso persönlicher zurückgemeldet. Hoffen wir, dass er diese zweite Chance zu nutzen versteht.
Und schließlich hat uns Roger Donaldson mit
The Bank Job den intensivsten Heistfilm seit
Heat geschenkt.
Die Mittelmäßigen
Hellboy 2 schließt sauber an den ersten Teil an, leidet immer noch an der viel zu prolligen Hauptfigur und ersäuft streckenweise an seinen kitschigen CGI-Effekten. Als harmloser Sonntagnachmittagfilm ohne Nebenwirkungen lässt er sich dennoch bedenkenlos konsumieren.
The Darjeeling Limited wirkt wie fast alle Wes Anderson Filme furchtbar angestrengt. Auch die Figuren sind erneut unsympathische Higher-Class-Yuppies, deren Familienschmerz mich nicht im Geringsten berührt. Allerdings bietet
TDL neben einer überaus schönen Optik auch hin und wieder Momente schwereloser Heiterkeit.
Tropic Thunder schwankt zwischen wenigen großartigen und einer Handvoll billigen Gag-Nummern. Bildet man den Mittelwert aus diesen zwei Extremen, landet man in der Mittelmäßigkeit, wo auch die überwiegende Mehrheit der Blödeleien anzusiedeln sind.
Sweeney Todd: Imposante Studio-Bauten setzt wohl niemand so gekonnt düster in Szene wie Tim Burton. Die dünne Handlung wird von gewöhnungsbedürftiger Musik begleitet, die erstklassige Schauspieler mit drittklassigem Gesang untermalen.
Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull enttäuscht nach gelungener erster Hälfte im dritten Akt. Mehrfachsichtungen bekommen dem Film überhaupt nicht.
Hancock: Wie
Indy 4 verliert auch dieser Film seine Fahrt im dritten Akt, als er anfängt dem Zuschauer Erklärungen zu liefern. Ansonsten: hirnloser Spaß zum Kopfabschalten.
How To Lose Friends & Alienate People: Ebenso leichte Kost wie
Run, Fatboy Run. Pegg verbindet erneut britischen mit amerikanischem Humor, was diese 08/15-Story kräftig nach oben reißt.
Be Kind Rewind: Nach Michel Gondrys letztem Film habe ich nicht mehr viel erwartet. Genau das trat dann auch ein. Highlight sind die „geswedeten“ Filme, der Rest ist eher mau.
The Incredible Hulk kann freilich nicht an die beste Comicverfilmung aller Zeiten in punkto Tiefgang anschließen. Dafür kracht es ganz ansehnlich. Allerdings empfehlen sich auch hier keine Mehrfachsichtungen!
Mirrors: Jack Bauer gefangen in einem japanischen Horrorfilm! Gewohnt souverän kämpft er sich aus der Bredouille. Das macht Spaß! Als Alexandre-Aja-Film ist
Mirrors allerdings die wohl heftigste Horrorfilm-Enttäuschung des Jahres.
Außerdem mittelprächtig:
Donkey Punch,
Hush,
I am Legend,
X-Files – I want to Believe,
Wanted,
Run, Fat Boy Run,
Diary of the Dead,
Transsiberian.
Schwache Filme und Ärgernisse
Speed Racer: bunt, laut und trotzdem öde.
Dieser Artikel der Süddeutschen fasst das Problem von
Speed Racer klug zusammen, erklärt, warum diese knallbunte Kinderfantasie als Actionfilm nicht funktionieren kann. Kurz gesagt: Es fehlt die Körperlichkeit, die scheinbare Gefahr der Action. Ich hoffe inständig, dass die Zukunft des Actionkinos anders aussieht! Revolutionierten die Wachowski-Brüder vor knapp zehn Jahren den Actionfilm, läuten sie hiermit nun dessen Sterbeglocke.
Quantum of Solace setzt das fulminante Reboot der Bondserie schaurig schlecht fort. Ein armselig gescripteter, hundsmiserabel geschnittener, insgesamt einfach überflüssiger Haufen Müll, über den ich mich gar nicht weiter aufregen will. Abgehakt und fertig. Der nächste Bond kann kommen.
Juno wurde groß bejubelt, bleibt aber der vielleicht verlogenste Film des Jahres, weil er uns eine Hauptfigur präsentiert, aus der die Sprache der 30-jährigen Drehbuchautorin quillt. Die Konsequenz: Juno wirkt furchtbar altklug und ist als Figur kein Stück glaubwürdig. Auch der nette Retro-Flair (Mode, Musik) kann über diese Grundschwäche nicht hinwegtäuschen.
Cloverfield ist nur eines: Sterbenslangweilig! Warum irgendwer mit diesen Arschlöchern mitfiebert, bleibt mir ein Rätsel. Auch die pseudo-dokumentarische Haltung des Films nervt gewaltig.
21 zeigt, wie vergleichsweise genial das kanadische Fernsehen mit
The Last Casino die literarische Vorlage „Bringing Down the House“ umgesetzt hat.
The Last Casino wirkt wie Ecstasy,
21 wie ein Sedativum.
Weiterer Schrott:
John Rambo,
Vantage Point,
Jumper,
Alien vs. Predator 2,
You don' mess with the Zohan,
Jack Brooks – Monster Slayer,
A L'Interieur2008 war eindeutig das Jahr der Coens! Sie haben diesem Kinojahr ihren Stempel aufgedrückt. Enttäuscht haben wie schon in den vergangenen Jahren die Blockbuster. Das Fantasyfilmfest im Sommer bot insgesamt gute Kost. Zwei Filme, die dieses Jahr noch auf dem Programm stehen, sind der neue Woody Allen
Vicky Cristina Barcelona und Breloers
Buddenbrooks-Verfilmung.