Die Verfilmung von Dietrich Schwanitz' Der Campus gehört zu den besten deutschen Filmen der 90er Jahre. Bedauerlicherweise fand er nicht sein Publikum und wird auch nur selten im Fernsehen gezeigt. Ein amazon-Kritiker spottet: „[D]afür sorgen schon die Frauenbeauftragten der Fernsehsender”. Als Schwanitz' Uni-Roman 1995 erschien, hagelte es Proteste im Namen der Political Correctness. Frauenfeindlich und faschistisch sei das Werk geraten. AStA und taz waren Vorreiter der teilweise aberwitzigen Angriffe.
In der Zwischenzeit ist das alles offenbar in Vergessenheit geraten. Schwanitz kam 2004 tragisch ums Leben. Seine Romane und Wissens-Fibeln sind keine Bestseller mehr. Dabei ist sein Werk nach wie vor hochaktuell. Das Schachern um Posten, die Einflussnahme von Seilschaften und Korruption in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft - der Blick in eine beliebige Tageszeitung konfrontiert uns täglich mit solch selbstherrlichem Getue von Politikern, Wirtschaftsbossen, Kulturschaffenden usw. Befeuert wird deren Amtsmissbrauch zumeist durch allzu menschliche Eitelkeiten, ganz wie im Campus.
Der Campus führt uns den Verlauf einer Kampagne rigoros vor: Der Soziologieprofessor Hanno Hackmann (Heiner Lauterbach) beendet seine Affäre mit der Studentin Babsi (Sandra Speichert). Kurze Zeit später macht das Gerücht am Campus die Runde, Babsi wäre von einem Professor vergewaltigt worden. Der selbstgerechte, machtbesessene Universitätspräsident (Rudolf Kowalski), karrieregeile Kollegen, die sensationslüsterne Presse und einige andere Interessenverbände versuchen nun das Gerücht zu ihren Gunsten zu nutzen und schließen sich zu einer Jagdmeute zusammen, deren Opfer Hanno Hackmann ist. Die Suche nach der Wahrheit spielt dabei keine Rolle.
Heiner Lauterbach als Hanno Hackmann
Die Geschichte, die der Film erzählt, könnte auch in der Sphäre der Politik, des Sports, der Wirtschaft oder Kultur spielen. Sie ist universal und zeitlos. In der übersteigerten Art, wie sie Schwanitz angelegte und wie sie sich bei Wortmann entfaltet, ist sie glücklicherweise von einer fein ausbalancierten Komik. Der Campus ist somit ganz und gar untypisch für einen deutschen Film, insbesondere wenn man sich vor Augen hält, welch dämliche Beziehungskomödien das Land in den 90er Jahren überfluteten (leider findet dieser Tage ein Backlash statt). Eine Genrezuordnung fällt schwer. Vielleicht war auch das ein Grund für die mäßigen Einspielergebnisse seinerzeit.
Freilich sind wir in punkto Political Correctness und Mobbing 14 Jahre später ein kleines bisschen weiter: Die Frauenbeauftragte heißt heute meist Gleichstellungsbeauftragte (und ist fast immer eine Frau) und das Internet sorgt in mancherlei Hinsicht für mehr Transparenz (führt aber auch zu einer effektiveren Vernetzung von Mobbing-Rudeln).
Wortmanns Gesellschaftssatire besticht ebenfalls durch Qualitäten jenseits des Plots. Kameramann Tom Fährmann widersteht der Versuchung - und somit dem visuellen Klischee - die Klüngeleien in düstere Bilder zu tauchen. Fast der gesamte Film spielt am Tag und in hell ausgeleuchteten Räumen. Von einer TV-Optik bleibt er gleichwohl weit entfernt. Die Farben stechen hervor, spiegeln gewissermaßen die Überzogenheit des Plots. Gleichzeitig geben die Hauptdarsteller der Versuchung zum Overacting nicht nach, die die Rollen zweifellos anbieten. Und jene Schauspieler in Nebenrollen, die tatsächlich overacten, tun gut daran. Besonders überzeugt Stefan Jürgens als charismatischer Leiter der Abteilung für Ausländerintegration.
„Malt schonmal die Plakate: Ausländer gegen das Patriarchat!”
„Aber die Türken sind doch die schlimmsten Machos!”
„Scheißegal - wir machen ne Demo!”
„Aber die Türken sind doch die schlimmsten Machos!”
„Scheißegal - wir machen ne Demo!”
Zwei Jahre Zeit nahm sich Wortmann zur Vorbereitung des Films. Schwanitz selbst schrieb das Drehbuch. Dadurch gibt es spritzige, scharfzüngige Dialoge, wie man sie in einem deutschen Film selten zu hören bekommt. Ton und Intention der Vorlage sind weitgehend erhalten geblieben. Darüber hinaus konnte sich Wortmann die Schauspieler offensichtlich frei aussuchen. Neben Heiner Lauterbach spielen Armin Rohde, Axel Milberg und Barbara Rudnik.
Den Campus gilt es nach 14 Jahren wiederzuentdecken. Kein deutscher Film der letzten zwanzig Jahre ist gleichzeitig so tagesaktuell, komisch und wortgewaltig.
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