Deadwood macht es einem nicht leicht, wenn man Nicht-Muttersprachler ist und gerne Originalversionen guckt. Als ich etwa die Hälfte der ersten Staffel gesehen hatte, war ich deshalb drauf und dran, diese HBO-Westernserie abzusetzen. Doch dann realisierte ich, dass ich bereits einige der Figuren zu sehr ins Herz geschlossen hatte, um getrost auf den Rest verzichten zu können, auch wenn das bedeuten sollte, gewisse Feinheiten nicht mitzubekommen. Ironischerweise verstehe ich problemlos die gebildeten Figuren, die in der Serie auftauchen, und die von den Charakteren ohne Bildung aufgrund ihrer Sprache teilweise nicht verstanden werden. Westernslang und obsoletes Vokabular sorgen für Verständnisprobleme, verleihen
Deadwoods oftmals musikalischen Dialogen einen barocken Touch. Während es bei den
Sopranos genügt, einige Mafia-Vokabeln zu kennen (die HBO auf der offiziellen Website hilfsbereiterweise sogar
auflistet), muss man bei
Deadwood mit Shakespeare-Englisch, Westernslang und Kraftausdrücken der Gegenwart gleichermaßen vertraut sein. Hinzu kommt die im Bourbonrausch vernuschelte Aussprache einiger Figuren.
Wen diese einleitenden Zeilen nicht zu sehr abschrecken, dem sei gesagt:
Deadwood ist ein Juwel von einer Serie. Die Authentizität, mit der das kleine Goldgräberkaff Deadwood gezeichnet wird, trifft den Zuschauer mit einer solchen Wucht, dass mir in diesem Zusammenhang das Wort "Realit
ätsschock" am angemessensten scheint. So abgewanzt, dreckig, modderig, schleimig, brutal und aufgrund dessen faszinierend ist der Wilde Westen noch nie gewesen. Ähnlich wie in
Rome geht mit diesem hohen Wirklichkeitsanspruch ein zeitgemäßer Umgang mit der Materie einher. Das schlägt sich zum einen in der Verwendung übelster Schimpftiraden sowie einer nie dagewesenen Frauenfeindlichkeit und einem unverhohlenem Rassismus nieder, wie sie wohl nur im Bezahlfernsehen möglich sind. Zum anderen ist die Figuren- und Handlungsstruktur dermaßen komplex, wie man sie nur in Serien der Gegenwart oder in seitenreichen Romanen des Realismus finden wird. Das Kino ist nicht in der Lage, mit einer vergleichbaren Figurenanzahl in solch epischer Breite zu erzählen.
Doch worum geht es in
Deadwood eigentlich?
Deadwood setzt im Jahr 1876 ein. Der Ort Deadwood hat zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht den offiziellen Status einer Stadt, sondern ist ein Camp voller Abenteurer und Goldsucher, die vom Gerücht abgelockt werden, in den nahegelegenen Black Hills befänden sich Goldvorkommen. Zentraler Anlaufpunkt ist d
er Saloon des zwielichtigen Unternehmers und Zuhälters Al Swearengen (Ian McShane), der gewissermaßen als Chef des Lagers fungiert und seine Macht durch hilfreiche Muskelmänner auszuüben versteht. Der Ex-Sheriff Seth Bullock (Timothy Olyphant) möchte mit seinem Partner Sol Star (John Hawkes) einen Haushaltswarenladen eröffnen und gerät aus verschiedenen Gründen wiederholt mit Swearengen aneinander. Und die reiche Alma Garret (Molly Parker) ist plötzlich auf sich alleine gestellt, als Swearengen aus Profitgier den Mord an ihrem Ehemann veranlasst. Weiter möchte ich die komplexen Handlungsstränge nicht auseinanderklamüsern, nur noch darauf hinweisen, dass sowohl der Ort als auch einige der Charaktere historisch fundiert sind. Politik, Korruption, Liebe, Krankheit, Mord und Tod sind die Themen, um die die drei Staffeln kreisen.
Schauspieleris
ch befindet sich
Deadwood wie alle HBO-Serien auf höchstem Niveau. Die Offenbarung für mich ist allerdings Ian McShane, der die ambivalente Figur des Al Swearengen mit einem solchen Nuancenreichtum spielt, der seine Mecker- und Schimpftiraden mit einer derartigen Leidenschaft ausspuckt, dass einem der Atem wegbleibt. Warum McShane 2005 lediglich eine Emmy-Nominierung erhalten hat, ist mir ein Rätsel.
Eine besondere Stellung im Camp nimmt der Doktor ein, der von B
rad Dourif sehr liebenswert gespielt wird. Dourif übernimmt die leicht geduckte Körperhaltung von Wormtongue für Doc Cochran, ist aufgrund seines Jobs, der ihn zu allen Leuten des Ortes führt, gewissermaßen die einzig neutrale Person des Lagers. Da der Tod permanent wie eine Dunstglocke über Deadwood zu schweben scheint und Siechtum in etlichen Varianten durchgespielt wird (möglicherweise das heimliche Hauptthema der Serie), hat der einzige Arzt des Dorfes stets alle Hände voll zu tun. In der ersten Staffel hat der Doc beispielsweise mit dem Ausbruch der Pocken zu kämpfen.
Die offene Political Incorrectness hat
Deadwood einige Kritik eingebracht. Dabei wird verkannt, dass die historisch durchaus korrekte Darstellung von Rassismus und Misogynie für den heutigen Zuschauer die Quelle eines einzigartigen Humors ist, der die Menschenverachtung und Stumpfsinnigkeit einer derartigen Weltanschauung plastisch vorführt. Die Dynamik zwischen den WASPs auf der einen Seite und den
chinks,
cocksuckers,
niggas und
cunts auf der anderen führt nur selten zu handfesten Auseinandersetzungen zwischen den Figuren, jedoch regelmäßig zu schreiend komischen Dialogen.
Dieser Link zu youtube zeigt ein typisches Zwiegespräch zwischen Al Swearengen und dem chinesischen Schweinezüchter (und des Englischen unkundigen) Woo, dessen Getier regelmäßig Deadwoods Leichen zu fressen bekommt und der sich hier über den Diebstahl seines Rauschgiftes durch weiße Banditen beschwert.
Zwei gesellschaftliche Außenseiter: 'Lil' Nigga General' und Calamity Jane
Abschließend bleibt mir nur noch darauf hinzuweisen, dass sich
Deadwood zu Whisky verhält wie
Sideways zu Wein: Man kommt als Whiskyfan regelmäßig in Versuchung, beim Zuschauen mitzutrinken. Hier wird so viel Bourbon verkonsumiert wie in kaum einem anderen Western. Allerdings zeigt
Deadwood im Gegensatz zu
Sideways auch die Schattenseiten des Saufens auf. Am deutlichsten wird dies durch die Rolle der Calamity Jane (Robin Weigert) zum Ausdruck gebracht, die in kaum einer Szene nüchtern ist.
Ob es eine vierte Staffel geben wird, steht wohl in den Sternen. Ich konnte im Internet kein offizielles Statement zu Einstellung beziehungsweise Fortsetzung der Serie finden.