Tommy
Wiseaus schnulziges Melodram
The Room aus dem Jahr 2003 wurde von der Kritik zum
Citizen Kane der schlechten Filme erklärt. Und in der Tat:
The Room ist wie ein Unfall,
dessen Zeuge man wird – gleichermaßen furchtbar wie faszinierend.
Nun
hat Greg Sestero, einer der Darsteller in
The Room, ein Buch über die
Entstehung dieses Beziehungsschinkens geschrieben. Sestero hatte von Beginn Einblick in die
Produktion und arbeitete auch als
Line Producer, also als eine Art Mädchen für alles
am Set. Seine Memoiren haben im Gegensatz zu Wiseaus Sleaze-Machwerk durchaus
Qualitäten. Das hängt gewiss auch damit zusammen, dass der Schriftsteller Tom
Bissell Sestero beim Verfassen seiner Erinnerungen unter die Arme griff.
Der etwas naive 19-jährige Greg Sestero trifft Tommy Wiseau im Jahr 1998 bei einem
Schauspiel-Workshop. Wiseaus Präsenz, Leidenschaft und
Instinkt faszinieren Sestero sofort, obwohl Wiseau trotz dieser Eigenschaften jeden einzelnen Bühnenauftritt
komplett versaut. Er beschließt ihn anzusprechen, um die nächste Workshop-Szene mit ihm
zusammen zu proben. Vielleicht übertragen sich ja diese bedingungslose Leidenschaft
und das angstfreie Agieren Wiseaus auf ihn?
Aus dieser ersten Zusammenarbeit entwickelt
sich über die Zeit eine äußerst merkwürdige Freundschaft, bei der Sestero sowohl
von Wiseau profitiert als auch schrecklich unter ihm leidet. So ermöglicht
es Wiseau Sestero zwar, kostengünstig in seiner Wohnung in Los Angeles unterzukommen,
schikaniert ihn aber immer wieder.
The
Disaster Artist entfaltet die Freundschaft der zwei Männer und die Jahre später stattfindenden Dreharbeiten parallel:
So wie die Beziehung der beiden in immer düstere Gefilde abgleitet, so spitzt
sich auch die Stimmung bei den Dreharbeiten zu The Room zu.
Autor und Schauspieler Greg Sestero.
Nun
wäre
The Disaster Artist nur halb so interessant, hätte man
The Room nicht
gesehen. Sestero erklärt Szene für Szene, warum dieser Film so miserabel geworden
ist. Hauptursache ist zweifellos Tommy Wiseau, der sich am Set als
narzisstischer Egomane entpuppte. Drei Filmcrews hat das Projekt deshalb verschlissen.
Sechs Millionen Dollar hat es gekostet (übrigens komplett privatfinanziert von
Tommy Wiseau). Zum Vergleich: Zehn Jahre zuvor hat Danny Boyle für einen
Bruchteil des Geldes ein kleines Kammerspiel mit dem Titel
Shallow Grave
abgedreht, für das ein großes Set gebaut werden musste. Wiseau ließ ebenfalls Sets bauen, zum Beispiel eine murklige
Dachterrasse – ein Greenscreen-Alptraum: „Half the time the Mediterranean San
Francisco skyline more closely resembles that of Istanbul; at other times, it
looks as though the Rooftop is carrying its inhabitants through space and time
itself.“ Das Hauptset,
the Room, ist
ein spärlich ausgestattetes Wohnzimmer mit Couch und Wendeltreppe. Die Bilder in der Wohnung zeigen Löffel, weil die Rahmen mit diesen Bildern verkauft wurden. Dafür
spendierte sich Wiseau nur zum Eigengebrauch ein luxuriöses Scheißhaus am Set: „Several
crew members […] were staring daggers into the $6,000 private bathroom Tommy
had constructed for himself […].” Natürlich sorgte das für Unmut unter den schlecht
bezahlten Crewmitgliedern: “I am totally shitting in that thing every time he
is not looking.“
Filmplakat von The Room mit Hauptdarsteller Tommy Wiseau.
The
Disaster Artist ist gespickt mit derartigen Episoden, die immer wieder
verdeutlichen: Tommy Wiseau ist ein unfähiger Regisseur, ein gleichermaßen talentloser wie überforderter
Schauspieler, ein katastrophaler Drehbuchautor, dessen Englischkenntnisse
offenbar nicht einmal das Niveau durchschnittlicher deutscher Abiturienten
erreicht und -nicht zuletzt- vollkommen von sich selbst überzeugt. Denn so sehr
man Wiseau als Leser auch verachtet, so sehr packt einen sein Tun und Handeln.
Man möchte wissen, woher sein Vermögen stammt, wie es ihn, der mit einem geografisch schwer greifbar zu machenden Akzent spricht, in die USA verschlagen hat und schließlich wie
das Verhältnis zwischen Wiseau und Sestero heute aussieht. Sestero versteht es,
die Neugier des Lesers zu wecken und die Beantwortung derartiger Fragen
geschickt hinauszuzögern. Einige Fragen bleiben jedoch offen.
Für
Fans von The Room ist The Disaster Artist freilich eine Pflichtlektüre. Aber auch
ohne Vorkenntnisse hat man Freude an Greg Sesteros vergnüglichen Schilderungen
über diesen grottigen Film.
The Room besitzt heute eine weltweite Fangemeinde,
die bei ausverkauften Vorführungen gemeinsam um die Wette lacht, bis es
schmerzt. Kurioserweise besucht Wiseau diese Screenings und redet sich tatsächlich
ein, das Publikum halte sein Produkt für ein filmisches Meisterwerk. Und an
dieser Stelle weiß ich nicht recht, wie ich das finden soll: Todtraurig oder
irre komisch? Tommy Wiseau ist aus einem ganzen Bündel von Gründen kein Mensch,
dem ich begegnen möchte, aber man muss ihm eines lassen: Er hat seinen Traum kompromisslos
gegen alle Widerstände realisiert. Er hat seinen Film gedreht. Er wird für
diesen Film von Fans gefeiert. Da er die Gründe dafür jedoch vollkommen verkennt,
müssen wir uns vermutlich auf einen weiteren Wiseau-Film gefasst machen. Und das ist gar nicht lustig.
Weiterführende Links: