Im Juli 1997 publizierte Bloomsbury in bescheidener Auflage von 5.000 Exemplaren Harry Potter and the Philosopher's Stone. Zehn Jahre und gut 3.600 Seiten später findet diese erfolgreichste Fantasyreihe aller Zeiten nunmehr ihr Ende.
Ich muss zugeben: Ich gehöre nicht zu den Lesern der ersten Stunde. Ich stieg erst im Oktober 2000 in die Serie ein. In der Nacht, als der vierte Band auf Deutsch erschien, sendete Radio Eins das Hörbuch des ersten Teils. Ich hörte es mir an und war fasziniert, besorgte mir daraufhin alle Rufus-Beck-Hörbücher und anschließend einen Schuber mit den englischen Ausgaben der Bände 1 bis 4, um die Romane noch einmal im Original zu lesen. Seit Teil fünf bin ich sozusagen live dabei.
Als ich mit einem Freund, der die Bücher nicht gelesen, aber alle Verfilmungen gesehen hatte, nach dem Order-of-the-Phoenix-Kinobesuch beim anschließenden Bierchen saß, fragte er mich, ob ich die Potter-Reihe tatsächlich für ein Epos halte. Ich zögerte - die Verfilmung von Teil 5 noch frisch im Gedächtnis. Die ehrliche Antwort lautet: Nein in Bezug auf die Verfilmungen, die verkürzte und oftmals episodenhafte Bebilderungen der Bücher sind und die zu keinem Zeitpunkt einen übergreifenden Zusammenhang spürbar werden lassen. Mitunter wirken die Verfilmungen hektisch in ihrer Inszenierung und grobschlächtig in ihrer simplen Aneinanderreihung der wichtigsten Handlungspunkte. Nie wird mal innegehalten. Und so gibt es keinen Raum für den Zuschauer, kurz Atem zu holen, einfach eine Weile abzuhängen in der Zaubererwelt und sie auf sich wirken zu lassen.
In den Bücher ist das freilich anders! Die epische Breite äußerst sich bei ihnen gerade in der Darstellung vieler Einzelheiten, in Abschweifungen und eingeschobenen Episoden. J. K. Rowling hat ein detailreiches, lebendiges literarisches Universum geschaffen, das sowohl die gegenwärtige (Muggle-)Realität glaubhaft schildert, als auch eine ausgeklügelte Fantasywelt zum Leben erweckt. Dieser schwierige Spagat zusammen mit den spannungsfördernden Krimi- und Horrormotiven ist neben den glaubwürdigen Figurenzeichnungen meines Erachtens entscheidend für den Erfolg der Potter-Reihe und lässt sie vielen Lesern zugänglicher werden als beispielsweise Tolkiens komplett im Fantastischen angesiedelte Lord-of-the-Rings-Trilogie, deren Figuren weniger Bezüge zur Alltagswelt anbieten.
Nun aber zu Band 7 und seinen "deathly hallows". Im Folgenden werden sich Spoiler kaum vermeiden lassen. Weiterlesen von hier an also auf eigene Gefahr!
Im letzten Teil der Heptalogie geschieht so viel, dass man die Handlung für die Verfilmung wohl wieder kräftig kürzen wird. Es beginnt düster. Bereits in den ersten Kapiteln findet eine Luftschlacht zwischen den Death Eatern und den Mitgliedern des Ordens statt, bei der Harrys Seite schwere Verluste einstecken muss. Das Ministerium wird von Voldemorts Leuten übernommen und die Hochzeit von Fleur und Bill Weasley endet damit, dass sich Ron, Hermione und Harry auf die Flucht begeben. Harry ist fortan "Undesirable Number One" und kreuzt zusammen mit Ron und Hermione monatelang durch die Welt. Ihre Mission: Die restlichen Horcruxe zu finden und zu zerstören. Hierbei kommt es zu mehreren Einbrüchen, einem spektakulären Kerker-Ausbruch, einer ganzen Reihe Kämpfe mit den Todessern und schließlich zu einem langen Showdown in Hogwarts. Auf dieser Schatzsuche begegnen wir so gut wie allen wesentlichen Gestalten, Orten und magischen Gegenständen der früheren Bände. Viele von Harrys tapferen Mitstreitern müssen allerdings dran glauben. Wenn ich mich nicht verzählt habe, beißen insgesamt sieben Lebewesen ins Gras, die in den vorangegangen Teilen eine beachtliche Rolle gespielt haben.
Drei magische Gegenstände, die Deathly Hallows, sollen Harry in seinem Endkampf gegen Voldemort helfen. Aber auch diese Artefakte wollen erst einmal gefunden werden. Hierbei spielt Dumbledores dubiose Vergangenheit und seine Schlacht mit dem Magier Grindelwald eine wichtige Rolle. Um die Deathly Hallows zu finden, hat Dumbledore Ron, Hermione und Harry wiederum drei magische Gegenstände testamentarisch hinterlassen. Das macht zusammen mit den sieben Horcruxen also 13 Objekte, um die es sich dreht. Das verwirrt sogar Harry, der an einer Stelle nicht mehr so genau weiß, was er nun als nächstes suchen soll.
Man muss schon den Hut ziehen, vor einem so exakten Masterplan, vor einer solch innigen Kenntnis der Fantasywelt und der Handlungsentfaltung, die Rowling keinesfalls während des Schreibprozesses (weiter-)entwickelt haben kann, sondern von Beginn an vor Augen gehabt haben muss. Da verzeiht man auch gerne die Kleinigkeiten, die in ihrer ewigen Wiederholung penetrant wirken, wie etwa Hermiones permanent feuchte Augen oder Harrys Gejammer, Dumbledore habe ihm nicht genügend in seine Biographie eingeweiht.
Und letztlich kommt es dann doch alles so, wie es kommen musste. Viele Spekulationen treffen zu. Insbesondere was die Horcruxe und Snape anbelangt, hatte Rowling in The Half-Blood Prince zu deutliche Spuren gelegt, um uns in den Deathly Hallows wirklich zu überraschen. Das stört jedoch nicht, sondern befriedigt. Man wird gewissermaßen für sein aufmerksames Lesen belohnt. Der Epilog, der 19 Jahre nach dem Showdown spielt, ist allerdings ein Griff ins Klo. In einer ungeheuerlich verkitschten Schlussszene lässt Rowling die Hauptfiguren noch einmal auftreten, wie sie ihre eigene Brut zum Hogwarts-Express bringen. Alle brav mit ihren Schulliebschaften verheiratet, trägt der Nachwuchs die Namen der Großelterngeneration. Es ist zwar verständlich, dass Rowling nach all dem Blutvergießen ein Idyll, für das schließlich sieben Bände lang gekämpft wurde, an das Ende setzen will. Was sie mit diesem Bogen, den sie zu The Philosopher's Stone schlägt, jedoch tatsächlich macht, ist Stillstand zu zelebrieren...und sich eine Hintertür für mögliche Fortsetzungen offenzuhalten.
Rowling verpackt diesen Entwicklungsroman wie gewohnt in eine unkomplizierte, schnörkellose Sprache, die sich der Handlung komplett unterordnet, als eigene Größe jedoch wenig zu bieten hat.
The Deathly Hallows zählt für mich zu den besten der Potterbücher. Ob es das beste ist, will ich (noch) nicht sagen. Dafür muss etwas Zeit vergehen, muss ich Abstand gewinnen und es noch einmal lesen. Es sticht aber schon wegen seiner anderen Struktur heraus: Hier gliedert nicht das Schuljahr die Handlung. Auch die seit The Chamber of Secrets eingeführte Rassenideologie wird nun in ihrer grauenhaften Konsequenz geschildert: Willkürliche Verhaftungen, Schauprozesse, Rufmord, Exil. The Deathly Hallow führt die einzelnen Ebenen eines totalitären Staates anschaulich vor.
Und wie schon oft zuvor (Quirrell, Riddle, Serius, Moody), überraschen uns Figuren ob ihrer Wandelbarkeit. So wird an Dumbledores Saubermann-Image etwas gekratzt oder die Familie Malfoy distanziert sich in kleinen Schritten vom Dunklen Lord. Nur leider bleibt die große Überraschung diesmal aus, wenn man einmal vom furchtbaren Epilog absieht.
6 Kommentare:
Tolle Kritik zu einem tollen Buch. Es spiegelt sogar etwas die gesamte Reihe wieder, es hat auch einige Längen in der Mitte ;-)
Famous last Words (nicht des Buches!): "Look at me!" - genial...
Beim Epilog sind wir uns einig, nicht nur, dass er überkitschig ist, man erkennt auch, dass der vor langer Zeit geschrieben wurde (womit Rowling ja immer prahlte) und sie hat in der Zeit viel dazugelernt und dadurch passt der Teil einfach nicht rein...
Schwer wird es der deutsche Buchtitel haben, aber eventuell greift man da auf den von Rowling abgesegneten Alternativtitel zurück, der da heisst "Harry Potter and the Relics of Death".
Eine Bitte nur an JKR: Bitte lass es dabei und schreib was ganz anderes, diese Geschichte ist gut beendet und benötigt keine weiteren Worte, die sie eventuell nach unten ziehen...
Ich hab deinen Beitrag nicht gelesen, Jochen, kein Wort davon ... weil: Sind Spoiler drin? Fange jetzt grad mal mit dem 6. Buch an *duck*.
Tolle Kritik zu einem tollen Buch. Es spiegelt sogar etwas die gesamte Reihe wieder, es hat auch einige Lägen in der Mitte ;-)
Danke. Und das stimmt mit den Längen, wobei die vermutlich zumindest teilweise intendiert sind - schließlich befinden sich Harry, Ron und Hermione auf der Flucht und wissen nicht genau, was sie tun sollen. Das schreit ja förmlich nach Passagen des Handlungsstillstands. Aber ich empfand die nicht als schlimm...
Beim Epilog sind wir uns einig, nicht nur, dass er überkitschig ist, man erkennt auch, dass der vor langer Zeit geschrieben wurde (womit Rowling ja immer prahlte) und sie hat in der Zeit viel dazugelernt und dadurch passt der Teil einfach nicht rein...
Genau das ging mir auch durch den Kopf. Das wirkte wie hinten rangepappt. Der Stil war da auch wieder kindlicher. Und das mit den Namen ging mir nach einer Seite auf den Keks.
Schwer wird es der deutsche Buchtitel haben, aber eventuell greift man da auf den von Rowling abgesegneten Alternativtitel zurück, der da heisst "Harry Potter and the Relics of Death".
Nein, seit heute steht der Titel fest. Das Buch wird "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" heißen. Finde den Titel sehr gelungen, hab mich nämlich selbst gefragt, wie ich das übersetzen würde und kam zu keiner zufriedenstellenden Antwort...
Eine Bitte nur an JKR: Bitte lass es dabei und schreib was ganz anderes, diese Geschichte ist gut beendet und benötigt keine weiteren Worte, die sie eventuell nach unten ziehen...
Amen. :-)
@ MVV
Du kannst den Post bis zur Spoilerwarnung lesen (die ist fettgedruckt im Text). Danach solltest du besser abbrechen, obwohl ich keine Riesenspoiler drin habe. Und wie bereits geschrieben: Wer Band 6 aufmerksam liest, für den hält Band 7 wenig große Überraschungen bereit...
Beneide dich übrigens darum, dass du das noch vor dir hast. War gestern schon ein gewisses Gefühl der Wehmut da, als ich Band 7 zuschlug *schnief* :-)
Das mit der Wehmut hatte ich auch empfunden, wobei mir das immer so geht, wenn ich ein größeres Werk in das ich "eingetaucht" bin, beendet habe. Deine Kritik ist dabei auch ziemlich gut gelungen. Mich persönlich hatte der Stillstand dann aber dennoch genervt, dass die drei Figuren in ihre Phlegmen aus den letzten beiden Büchern zurückgefallen sind.
Auch der Epilog passt überhaupt nicht zum Rest des Buches, wo ich dir und roughale zustimmen muss, den hätte man tatsächlich weglassen können.
Alles in allem hat Rowling ein sehr erwachsenes Buch abgeliefert, das m.E. für Kinder unter 14 Jahren schon mal gar nicht mehr geeignet ist. Äußerst problematisch, bzw. schade fand ich, dass sie so ziemlich jede Figur einbauen wollte, die sie je geschrieben hat (abgesehen von Lockheart). Dadurch kann sich keine der Figuren innerhalb der Handlung entfalten, was besonders schade für Snape geworden ist, der nur in dem Pensieve-Kapitel auftreten darf. Auch von Malfoy (Draco) hätte ich gerne mehr gelesen.
Alles in allem hat sie aber ein gutes Ende für ihre Reihe gefunden.
@ Rudi
Dass mit Snape war wirklich schade. Aber ging wahrscheinlich nicht anders. Schließlich war er neben der Frage, ob Harry überlebt, das angeblich größte Rätsel des siebten Bandes. :-)
Lockhart kam ja dafür extra noch einmal in Buch 5 vor. Diese ganze Nebenhandlung in St. Mungus haben sie ja in der Verfilmung ärgerlicherweise gekürzt.
Sehr gelungen fand ich die Wandlung von Kreacher, meinem Lieblingself :-)
***SPOILER!!!!***
OK, ich auch nochmal zum Tode von Snape, ich fand, dass damit der Rowling ein kleiner Meisterstreich gelungen ist, denn beide Fraktionen erwarteten was anderes, die Fraktion derer die ihn für den Bösewicht hielten, erwarteten dass er einen fiesen Rachetod stirbt, die anderen, dei immer an das Gute in ihm glaubten, rechneten mit einem heroische Tod - aber nein, er stirbt eigentlich einen eher unglücklichen Tod - dumm gelaufen... Damit hat Rowling alle überrascht und ich finde den Tod und damit auch die Person hervorgehoben - toll!
Ach ja, der deutsche Titel ist für mich aber auch eher nah an dem Alternativtitel dran, denn bei "hallows" ist nicht festgelegt, dass es sich um Gegenstände handelt, aber das ist Pfennigsfuchserei ;-)
Kommentar veröffentlichen