Für viel Wirbel sorgte
Redacted in den USA. Wiederholt wurden Regisseur De Palma und Produzent Mark Cuban als Nestbeschmutzer beschimpft: Gegen die Truppen habe man nichts zu sagen, das verbiete einem der Patriotismus. Und dies war noch der harmloseste aller Vorwürfe. So wurde beispielsweise in einem rechten Internetforum nach einem Seil geschrien, mit dem man die Macher am nächsten Baum aufhängen wolle. Bezeichnenderweise hatte zu diesem Zeitpunkt noch niemand außer dem Premierenpublikum in Venedig, das
Redacted mit langen Standing Ovations feierte, gesehen.
Vergegenwärtigt man sich, dass die ersten Vietnamfilme Hollywoods erst mehrere Jahre nach dem Abzug der Truppen in die Kinos kamen, kann man die teilweise drastischen Reaktionen in der amerikanischen Öffentlichkeit nachvollziehen:
The Deer Hunter,
First Blood und
Platoon versuchten die Erlebnisse der Soldaten, ihre verletzte Psyche, für den Zuschauer erfahrbar und verständlich zu machen. Hingegen sind die ersten Irak-Filme wie Paul Haggis'
In the Valley of Elah oder De Palmas
Redacted ein verzweifelter Versuch, die Öffentlichkeit aufzurütteln. Während Haggis' Film im Gewand des klassischen Erzählkinos mit großen Stars daherkommt und sich die Handlung wie ein Krimi entfaltet, setzt De Palma in dieser 5-Millionen-Dollar-Produktion auf unbekannte Schauspieler und experimentiert mit der Erzählform.
Eine Collage aus Videotagebuch, französischer Dokumentation, Überwachungskameras, youtube-Vi
deos, Skype-Videotelefonaten, Blog-Videos, arabischen und US-Nachrichten sowie Internetvideos von irakischen Terroristen fügt sich hier zu einem Ganzen zusammen, das uns deutlich vorführen soll, wie sehr uns die Auswahl der Bilder als Zuschauer manipuliert. Die Form des Films ist gewissermaßen das Thema: Der Verzicht auf krasse Kriegsbilder, die bereinigte US-Fernsehberichterstattung war der Hauptgrund für De Palma diesen Film, der die gleiche Geschichte erzählt wie sein 1989 veröffentlichter Vietnamfilm
Casualties of War, zu drehen. Schockierende Bilder wie jene vom My-Lai-Massaker in Vietnam gibt es zwar auch vom Irakkrieg, doch sind diese nur im Internet einsehbar, man muss nach ihnen suchen. Den Großteil der amerikanischen Bevölkerung erreichen sie somit nicht. Dass die geschilderten Geschehnisse von Samarra (in der Realität:
Das Massaker von Mahmudija) denen in Vietnam fast bis aufs Haar gleichen, ist nicht nur erschreckend, sondern unfassbar. Es beweist einmal mehr, dass die Menschen nicht aus der Geschichte und ihren Fehlern lernen. Beide Filme
basieren auf tatsächlichen Ereignissen. Die Dynamik innerhalb der Gruppe von Soldaten ist nahezu identisch: Der Tod eines geschätzten Vorgesetzten veranlasst die sexuell frustrierten Männer nach reichlich Alkoholkonsum in ein Haus mit Zivilisten zu stürmen, ein 15-jähriges Mädchen zu vergewaltigen und es anschließend zu töten. Die anderen anwesenden Familienmitglieder werden ebenfalls umgebracht.
Man kann
Redacted sicherlich vorwerfen, uns Klischeefiguren zu präsentieren: Hier der gebildete, moralisch integere McCoy (Rob Devaney), dort der White Trash in Form von Flake (Patrick Carroll
) und Rush (Daniel Stewart Sherman). Mittendrin der opportunistische Salazar (Izzy Diaz), der sein Videotagebuch als Eintrittskarte für die Filmhochschule begreift und darüber seinen ethischen Kompass vergisst. Und doch ist das nicht fern der Realität, schließlich rekrutiert das US-Militär in all seiner Verzweiflung schon längst auch psychisch labile Personen mit kriminellem Hintergrund, die lieber einen Trip in den Irak als in den nächsten Knast unternehmen. Wer sonst zieht heute noch freiwillig in dieses Schlamassel?
De Palma zeigt uns eine klassische Spirale der Gewalt: Am Checkpoint wird ein zu schnell fahrendes Auto mit Waffengewalt gestoppt. Die schwangere Beifahrerin stirbt im Kugelhagel, ihr Bruder wollte sie zur Entbindung zügig ins Krankenhaus bringen. Die Reaktion terroristischer Iraki: Eine Tretmine, getarnt als Fußball, zerfetzt den beliebten Master Sergeant Sweep (Ty Jones). Dies wiederum ist die Initialzündung für das Vergehen an der 15-Jährigen. Und diese Tat wird durch die Entführung und Enthauptung Salazars vergolten.
Zurück bleiben auf US-Seite traumatisierte Veteranen, um deren Wiedereingliederung in die Gesellschaft sich das US-Militär nur unzureichend kümmert und auf diese Weise m
enschliche Zeitbomben produziert. Der „Kollateralschaden“ auf Seite der Iraki ist freilich unmittelbarer, schlägt sich in zahllosen zivilen Opfern nieder und wird einem in einer ergreifenden Schlussmontage mit drastischen Real-Bilder vor Augen geführt. Diese Bilder wurden ironischerweise zensiert (
Redacted was redacted!): Die Augen der abgebildeten Personen wurden geschwärzt. Produzent Cuban fürchtete eine juristische Auseinandersetzung mit den Hinterbliebenen. De Palma tobte, konnte es aber nicht verhindern.
Mehrere Kritik
er bemängelten das Schauspiel der Jungdarsteller. Es sei so künstlich wie in einem schlechten Schultheater. Dabei übersahen sie jedoch, dass die Darsteller dazu angehalten waren, realistisch vor einer offensichtlich laufenden Kamera zu spielen – und wird eine Kamera auf jemanden gerichtet, verhält er sich unnatürlich. Etwas, das wohl jeder (bis auf einige weltfremde Kritiker) schon einmal erfahren hat.
Musikalisch sticht
Händels Sarabande hervor, die im Dokumentarfilm zum Einsatz kommt: Der getragene Charakter des Stückes unterstreicht die von den Soldaten erlebte Monotonie und permanente Anspannung am Checkpoint, ist aber natürlich gleichzeitig auch eine direkte filmische Referenz an Kubricks
Barry Lyndon, die ihrerseits an einer Stelle zu Begi
nn durch eine simultane bildliche Anspielung auf Peckinpahs
The Wild Bunch erweitert wird: So beobachtet Salazar wie Ameisen einen Skorpion überwältigen, zückt seine Kamera und reagiert auf dieses verblüffende tierische Gewalt-Spektakel mit einem kindlichen Lachen. Dieser Moment ist gleichermaßen ein bewusstes Spiel mit einem filmhistorischen Subtext als auch eine plakative Metapher für die gegenwärtige Situation im Irak, wo die Amerikaner von irakischen Attentätern übermannt zu werden drohen.
Jedermanns Kost ist
Redacted mit seinem überdeutlichen didaktischen Anliegen gewiss nicht. Aber die Kompilation aus sorgfältig recherchierten Kriegs-Grausamkeiten lässt auch gewiss niemanden kalt.
Redacted ist ein bestialischer Schrei gegen den Irakkrieg, der durch seine furiose und vielleicht sogar stilbildende Form (die Zukunft wird’s zeigen) die derzeitigen Grenzen des Kinos erweitert.
Zur DVDBILD (1.78:1 anamorph):
Redacted wurde von
HDNet finanziert und somit (wie alle Filme dieses Labels) digital aufgenommen. De Palmas erste Schritte im digitalen Medium waren vorher freilich wohl überlegt. Form und Inhalt sollten zueinander passen. Und da schon die Struktur von
Redacted überwiegend digitale Medien als Filmquellen vorschreibt, erscheint der Entschluss in HD zu drehen nur logisch und konsequent. Während die Videotagebuchszenen authentisch amateurhaft wirken, führen einem die Aufnahmen der französischen Dokumentation beeindruckend vor, wie schwer der Unterschied zwischen klassischem und digitalem Filmmaterial mittlerweile zu erkennen ist: Die goldbraunen Farben des Sandes in der aufgehenden Sonne strahlen fast so prächtig wie einst Technicolor.
TON: Es befinden sich ein englischer Dolby Digital 5.1 und ein 2.0-Track auf der RC-1-DVD. Die Dialoge sind stets gut verständlich, obwohl bei genauerer Überlegung ein solch guter Dialog-Ton in den Videotagebuch- und einigen anderen Szenen technisch kaum möglich wäre. An Surroundsound wurde deshalb konsequenterweise gespart - dieser hätte sich formal nicht in den Film eingefügt. - In der Zwischenzeit ist nun auch die deutsche DVD mit einer deutschen Synchrontonspur erschienen. Da das Durcheinander der Sprachen und die Kommunikationsprobleme der Kulturen ein zentrales Thema in
Redacted sind, erscheint mir eine Synchro schon im Ansatz verfehlt zu sein. Ich habe sie bislang jedoch nicht überprüfen können.
EXTRAS: In einem fast neunminütigen Interview mit dem Titel
Higher Definition: Redacted Episode erfahren wir die Gründe für De Palmas Entschluss,
Redacted zu drehen. Kurz aber gut.
Ein exakt fünfminütiges
Behind the Scenes-Feature zeigt uns in Splitscreens die Entstehung der Pokerszene.
Eine gute Stunde dauern insgesamt acht
Refugee Interviews: Flüchtlinge aus dem Nahen Osten erzählen ihre ergreifenden Lebensgeschichten.
Fazit:
Redacted ist ein erschütterndes Dokument über die Grauen des Irakkrieges, das die formalen Grenzen des Kinos neu auslotet. Die DVD-Veröffentlichung ist solide aber nichts Besonderes.