Double Indemnity will ich nicht wie all die anderen Noirs in Kürze besprechen. Denn dieser Billy-Wilder-Film aus dem Jahr 1944 ist für mich der mit Abstand beste Streifen der schwarzen Serie. In diversen Film-noir-Dokumentationen wird Double Indemnity gerne als Referenzfilm angeführt, wenn es darum geht, das Genre (wenn es denn eines ist) zu definieren. Die großartige US-Doppel-DVD ist derzeit das Nonplusultra. Eine deutsche DVD von Double Indemnity (DT: Frau ohne Gewissen) ist nun nach langer Wartezeit ebenfalls erschienen. Es handelt sich um eine PAL-Version der US-DVD, allerdings ohne Untertitel und ohne zweite Disc.
Double Indemnity erzählt vom Versicherungsvertreter Walter Neff (Fred MacMurray), der der größten Femme Fatale aller Zeiten, Barbara Stanwyck als Phyllis Dietrichson, verfällt. Dietrichson stiftet Neff dazu an, ihrem Mann ohne dessen Wissen eine Lebensversicherung unterzujubeln. Um die titelgebende doppelte Abfindung zu kassieren, muss Mr. Dietrichson ein Unfall mit einem Zug zustoßen, den die beiden zu arrangieren verstehen. Doch gelingt dem Liebespaar tatsächlich das perfekte Verbrechen? Und hat sich Mrs. Dietrichson wirklich in Walter verliebt?
Double Indemnity weiß in jederlei Hinsicht zu überzeugen. Der Plot hat damals die Themen vorgegeben, die in den darauffolgenden Jahren die düsteren Hollywoodfilme beschäftigen sollten: Verschwörung und Verrat, Liebe und Sex, Mord und das perfekte Verbrechen. Der Look des Films geht an die Grenzen dessen, was man mit Licht und insbesondere mit Schatten erreichen kann. Die Rückblickstruktur wurde in nur wenigen Noirs (Out of the Past und Sunset Blvd. spielen noch in derselben Liga) ähnlich geschickt zur Spannungserzeugung eingesetzt: Double Indemnity beginnt damit, wie Neff durch die nächtlichen Straßen L.A.s rast, sich angeschossen in sein Büro schleppt und einem Diktiergerät das Verbrechen beichtet. Das bringt einen schon zum nächsten meisterhaften Element: Der geschliffenen Sprache. Monatelang waren der extrovertierte Wilder und der introvertierte Raymond Chandler gemeinsam in einem kleinen Raum eingesperrt, um James M. Cains gleichnamige Novelle in ein Drehbuch zu verwandeln. Eine explosive Mischung, denn die zwei hassten einander inniglich. Mehrmals drohte Chandler, der unter Wilders permanenten Sticheleien zu leiden hatte, mit Abbruch. Eine Legende besagt sogar, Chandler habe Wilder einmal einen Brieföffner in den Rücken gerammt, als ihm dessen Gehässigkeiten zu viel wurden. Die Kollaboration ließ den Ex-Alkoholiker Chandler auch wieder mit dem Trinken anfangen. Ein Wunder, dass am Ende überhaupt ein Drehbuch herauskam. Noch dazu eines, das durch seine lebendigen, beinahe poetischen Dialoge voller sexueller Zweideutigkeiten und erfrischendem Wortwitz zum Besten zählt, was man in einem Noir-Film jemals zu hören bekommen wird.
Alternatives Ende: Walter Neff in der Gaskammer. Keyes ist anwesend. Die Szene hat Wilder mit "enormer Sorgfalt" gedreht, verwarf sie aber später wieder.
Die Besetzung mit MacMurray, Stanwyck und Edward G. Robinson als Neffs smartem Vorgesetzten Barton Keyes war damals insofern ungewöhnlich, als dass alle drei gegen ihre üblichen Rollen gecastet worden waren. MacMurray arbeitete als Komiker, Wilder musste einige Überzeugungsarbeit leisten, um ihn an Bord zu holen. Robinson war meist der fischgesichtige Verbrecher und Star eines Films - hier muss er sich mit einer Nebenrolle begnügen, die er allerdings perfekt ausfüllt. Und Stanwyck ist der Mut hoch anzurechnen, eine solch gewissenlose Bitch zu verkörpern.
Double Indemnity verbuchte mehr Oscarnominierungen als jeder andere Noir: sieben. Doch er gewann keinen einzigen.
Sichtbarer Staub im Licht verleiht den Bildern eine nahezu greifbare Beschaffenheit. Double Indemnity nutzte in vielen Szenen Jalousien für symbolisch aufgeladene Licht- und Schattenspiele (heute ein visuelles Klischee): Die schwarzen Balken sperren die Figuren regelrecht ein, verbildlichen die schicksalhafte Ausweglosigkeit, in der sie gefangen sind.
Zur DVD
Die im Sommer 2006 erschienene Universal-Legacy-Series-DVD beinhaltet im Gegensatz zur ansonsten fast vollkommen identischen deutschen Ausgabe neben dem Wilder-Film auch das 1973-TV-Remake mit Richard Crenna als Walter Neff, Samantha Eggar als Mrs. Dietrichson und Lee J. Cobb als Keyes. Wer sich dieses Remake ansieht, dem wird einmal mehr die außerordentliche Qualität des Originals bewusst.
Die 73er-Version ist ein Paradebeispiel dafür, wie Fernseh-Ästhetik elegantes visuelles Geschichtenerzählen zerstört. In statischen, einfallslosen, grell-bunten Bildern vermittelt Regisseur Jack Smight den Plot, als handele es sich um eine Columbo-Folge. Dabei kürzt und vereinfacht er nicht nur die genialen Chandler-Dialoge und einige Spannungsszenen, sondern blendet auch gleich die sexuellen Untertöne des Originals aus. Der TV-Film ist um einiges prüder als die knapp 30 Jahre ältere Fassung, die noch unter dem Hays-Code gedreht worden war. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Smight dies absichtlich tat oder ob er zu stumpfsinnig war, diese Ebene des Wilder-Films überhaupt wahrzunehmen.
Aber auch die Darsteller kommen nicht an ihre Vorgänger heran. So sehr ich Richard Crenna als Col. Trautman in den Rambo-Filmen schätze, hier wirkt er im Vergleich zu Fred MacMurray wie ein Laiendarsteller. Und auch die im Laufe ihrer Karriere immerhin mit einer Oscarnominierung bedachte Samantha Eggar kann eine vergleichbare erotische Spannung wie Barbara Stanwyck zu keinem Zeitpunkt erzeugen. Da erscheint es nur logisch zu sein, dass die Chemie zwischen Crenna und Eggar ebenfalls nicht stimmt. Die zwei erinnern an Marionetten, denen die deplaziert wirkende Chandler-Sprache souffliert wird.
Ein Geniestreich von Universal, dem DVD-Release dieses miserable Low-Budget-Fernsehspiel beizulegen. Auf diese Weise wächst noch einmal die Ehrfurcht vor dem größten aller Noir-Filme.
Bild und Ton sind beide unter Berücksichtigung des Alters des Films fantastisch. Zwar sind beim Bild hin und wieder einige "Altersflecken" erkennbar, dennoch lassen Schärfe, Kontrast und Detailreichtum wenig zu wünschen übrig. Der Mono-Ton ist klar, störungsfrei und ohne die typischen Knackser, die man sonst oft bei Filmen dieser Ära zu hören bekommt.
Als Extras beherbergt die DVD eine ganze Menge Material, das Double Indemnity filmhistorisch verortet. Das beginnt mit einer kurzen Einführung von Filmhistoriker Robert Osborne und setzt sich über zwei Kommentarspuren mit Filmwissenschaftlern fort. Auf der ersten Kommstarspur referiert Richard Schickel, auf der zweiten Nick Redman zusammen mit dem Drehbuchautor Lem Dobbs. Wie bei vielen Kommentarspuren klassischer Hollywoodfilme wird hier für meinen Geschmack zu viel Unwesentliches, Triviales behandelt. Anstelle einzelne Szenen zu analysieren, bevorzugen es die meisten Kommentarsprecher, die Biographien der Beteiligten und Anekdoten vom Entstehungsprozess vorzutragen. Das kann interessant sein, ist meist aber recht trocken und obendrein wiederholt sich manch eine Information auf diese Weise. Eine szenenspezifische Herangehensweise wäre gerade im Hinblick auf typische Noir-Merkmale fruchtbarer. Leider kommt das hier auf beiden Spuren zu kurz.
Jedoch macht die exzellente, 38-minütige Dokumentation Shadows of Suspense die etwas enttäuschenden Commentaries wieder vergessen. Eddie Muller, James Ursini, Alain Silver, Drew Casper, James Ellroy, William Friedkin und viele andere beschreiben einzelne Aspekte des Films, ordnen ihn filmhistorisch ein und erklären die immense Wirkung, die er nicht nur auf das Noir-Genre, sondern auf die Filmgeschichte insgesamt genommen hat.
Double Indemnity ist nichts geringeres als ein Meisterwerk. Für mich der beste Film noir, der beste Film, den Billy Wilder gedreht hat, und sowieso einer der thematisch und visuell einflussreichsten Streifen, die Hollywood je hervorgebracht hat.
100 Punkte.
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