Nach vier Jahren der Absenz gab es 2006 endlich einen neuen Brian De Palma Film im Kino zu bewundern. Bereits sein letzter Film (Femme Fatale), der in erster Linie eine kluge Hommage an seine eigenen Thriller war, spielte mit Versatzstücken der schwarzen Serie. The Black Dahlia sollte nun ein lupenreiner Film Noir werden.
Im Januar 1947 wurde die bestialisch verstümmelte Leiche der erfolglosen Schauspielerin Elizabeth Short (Spitzname: schwarze Dahlie) auf einer Wiese in Los Angeles gefunden. Ein gewaltiges Medienecho war die Folge. Doch eine aufwändige Polizeiermittlung blieb ergebnislos.
James Ellroys Roman aus dem Jahr 1987, eine fiktive Aufarbeitung des realen Dahlia-Falls, trug maßgeblich dazu bei, die Geschichte der Dahlie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Ellroy entwickelte seine persönliche Theorie, wer für das Verbrechen verantwortlich gewesen sein könnte. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an die Verfilmung, handelt es sich doch, darüber sind sich die Ellroy-Fans einig, um seinen besten Roman. Im Zentrum des Geschehens steht bei Ellroy eine Dreiecksbeziehung zwischen zwei knallharten Cops (im Film dargestellt von Josh Hartnett und Aaron Eckhart) und einer Gangsterbraut (Scarlett Johansson).
Einige Kritiker bemängelten die Reduzierung und Vereinfachung des Romanplots, während andere sich über die zu komplizierte Handlung echauffierten. Wieder andere lobten hingegen die Erzählstruktur, die sich in konzentrischen Kreisen entfaltet. Etwas, das vorlagentreu ist, denn Ellroy jongliert mit mehreren Parallelhandlungen, die erst in den letzten Kapiteln ineinander fließen.
Gemessen wurde die 'Dahlie' in fast allen Rezensionen an Curtis Hansons großartigem L.A. Confidential, der ebenfalls auf einem James Ellroy Roman basiert, sich aber sehr viel sklavischer an die Vorlage hält. Der US-Kritiker Jeff Anderson brach diesen letztlich in die Irre führenden Vergleich auf den Satz herunter: "L.A. Confidential is literature and The Black Dahlia is cinema." - Besser kann man es nicht formulieren. De Palma interessiert in erster Linie nicht der Plot dieser Detective-Story. Daraus macht er auch keinen Hehl. Vielmehr möchte er eine Noir-Stimmung schaffen, wie man sie heutzutage nicht mehr im Kino zu sehen bekommt. Und dafür konzentriert er sich auf die Optik: Ein bräunlicher Grundton ersetzt das Schwarzweiß der klassischen Noirs. Die Räume sind meist rauch- und nebelgeschwängert. Oft durchschneiden scharfe Lichtstrahlen das Bild. Immer wieder kommen altmodische Wischblenden zum Einsatz. Das alles erzeugt eine epische und fast greifbar dichte Atmosphäre. Die Kamera trägt ihren Teil dazu bei: Sie gleitet selbst in Szenen wilder Action gemächlich, ruhig, bedächtig aber immer gezielt umher. De Palma erzeugt auf diese Weise einen visuellen Strudel, der uns unaufhaltsam in ein nostalgisch verklärtes L.A. der 40er zieht.
Ein De Palma Markenzeichen, das auch in The Black Dahlia häufig zum Einsatz kommt: Split-Diopter-Linsen. Sie ermöglichen es, den Vorder- und Hintergrund scharf zu zeigen.
Setdesign, Ausstattung und Kostüme bilden dabei eine perfekte Einheit, lassen die Figuren wie Spiegelbilder oder Wiedergänger der schwarzen Serie wirken. Insbesondere Hilary Swank und Scarlett Johansson pflegen die Bewegungen und Posen der weiblichen Noir-Ikonen. Josh Hartnett meistert die lakonisch, zynisch und doch lyrischen Voiceover-Kommentare überraschend gut. Meist begleitet von gedämpftem Trompetenspiel, referiert er mit rauchiger Stimme seine Gedanken. Seine Figur, der drahtige Detective Bucky Bleichert, ist für den Zuschauer der Anker in einer Welt der Lügen und Korruption.
Die Lüge und das Lügen in seinen verschiedenen Spielarten durchzieht The Black Dahlia wie eine seidig glänzende Spinnwebe. Am verständlichsten sind noch die Lügen der schwarzen Dahlie selbst, die sie in ihren Casting-Aufnahmen von sich gibt. Buckys Partner, Lee Blanchard (Aaron Eckart), hingegen führt sowohl Bucky als auch den Zuschauer an der Nase herum und sorgt so für ordentlich Verwirrung. Eine polizeibehördliche Lüge (ein unwahres Memo) hat den Tod unschuldiger Zivilisten zur Folge. Die Verdächtigen lügen ebenso wie die Medien. Es wird so oft die Unwahrheit gesagt, dass man die Wahrheit kaum noch erkennt: Als Madeleine (Hilary Swank) Bucky im Bett nach dem Liebesspiel gesteht, dass sie eine lesbische Affäre mit der Dahlie gehabt habe, lacht er, weil er ihr nicht glaubt.
Auch am Ende, in der großen Auflösungsszene, spielt das Lügen eine zentrale Rolle. Bucky zerschießt eine Reihe Kunstgegenstände, weil er nichts außer Lügen als Antworten auf seine Fragen bekommt. Da betritt der heimlich lauschende Täter schreiend und völlig unerwartet die Szene. Der Grund? Es wurde zu viel gelogen. Dann doch lieber ein Geständnis. Hieran merkt man: De Palma inszeniert nicht bierernst.
Leider werden seine parodistischen Qualitäten oft nicht erkannt. Ein leiser, stetiger Ton der Ironie begleitet die Geschichte. Die Themen 'Hollywood', 'Familie' und 'Rauchen' werden in einer übertriebenen, verzerrten Weise dargestellt, die zum Schmunzeln einlädt. Und die Dinner-Szene bei den Lanscotts gehört zum Komischsten, was 2006 über deutsche Leinwände flimmerte.
Zur DVD
Ende Dezember erschien die RC-1 DVD. Da De Palma Filme voller Details stecken, die man beim ersten Mal nicht alle aufnehmen kann, lohnt sich ein zweiter Anlauf im Heimkino alleine schon unter diesem Aspekt.
Das anamorphe Bild (2.35:1) ist fantastisch. Es ist scharf und detailreich. So kommt Vilmos Zsigmonds atmosphärische Kameraarbeit voll zur Geltung. Zwar wirkte der Film nach meinem Empfinden im Kino plastischer, insbesondere die Brauntöne strahlten dort kräftiger. Aber insgesamt ein vorbildlicher Transfer aufs digitale Medium.
Der Layerswitch (1:22:14) wurde gut versteckt. Ich habe ihn fast nicht bemerkt.
Es befinden sich drei Audiotracks auf der Scheibe: Englisch und Französisch 5.1, Spanisch 2.0. Der englische Track klingt dynamisch, nutzt die Rearspeaker nie aufdringlich. Dialoge und Musik wurden harmonisch abgemischt.
Drei 'Featurettes' von Laurent Bouzereau befinden sich als Extras auf der Disc:
Reality and Fiction: The Story of The Black Dahlia befasst sich mit der Hintergrundsgeschichte der schwarzen Dahlie. James Ellroy erklärt hier die realen Hintergründe des Falls und welche Bedeutung die 'Dahlie' für sein eigenes Leben hatte. Aufgrund der zeitlichen Begrenzung (11 Minuten) bleibt das jedoch im Vergleich zu der unlängst auf ARTE ausgestrahlten Doku American Dog ziemlich oberflächlich.
The Case File ist ein zwanzigminütiges Making Of mit diversen Interviews von Crew und Darstellern.
Schließlich The De Palma Touch presented by Volkswagen (Werbestrategie: 6, setzen!) befasst sich mit den drei großen Namen hinter der Kamera: De Palma, Zsigmond und Set Designer Dante Ferretti werden in dieser knapp 17-minütigen Featurette vorgestellt und es wird erklärt, wie sich ihre spezielle Arbeit in The Black Dahlia niederschlägt.
Bouzereau hat zweifellos schon bessere DVD-Dokus erstellt. Erinnert sei an die fantastische Body Double SE, die im Herbst erschienen ist. Dennoch befinden sich seine Infofilme qualitativ immer noch weit über dem Durchschnitt der üblichen DVD-Stangenware.
Fazit: Der beste Film des Jahres 2006 in einer soliden DVD-Veröffentlichung.
9 Kommentare:
Ui, du bist also der De Palma-Fan aus dem GF, jetzt klingelt's bei mir. Zu dem Film bzw. generell über De Palma hatten wir dort ja so einige Diskussionen. Deine Analyse ist ordentlich, gefällt mir. Nur halt viel zu unkritisch ;-)
Jetzt muss ich ja künftig aufpassen, was ich bei mir über den netten Herrn schreibe. *g*
Ja, der bin ich :-)
Bei De Palma bin ich wahrscheinlich etwas unkritischer als bei den meisten anderen Regisseuren. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich keinen anderen Regisseur kenne, der sich so stark über die Bilder definiert. Das ist für mich die alte, wahre Filmkunst, die meines Erachtens heute von niemandem außer ihm mehr konsequent durchgezogen wird. Er hat aber auch Streifen gedreht, mit denen ich ebenfalls wenig oder gar nichts anfangen kann: Alles vor "Sisters" (Ausnahme "Hi Mom!", der ist ok.), und "Home Movies" ist nicht mein Ding.
schön auch mal jmd zu treffen, der den letzten de palma etwas abgewinnen konnte. war auch angetan, wenngleich ich nicht als "den besten film des jahres" sehe (reichte bei mir nicht einmal für die top10). glaube, de palma hatte schlichtweg gegen zu hohe erwartungen zu kämpfen die sich aus der berühmten vorlage und der letzten ellroy-verfilmung "l.a. confidential" speisten.
scarlett hat mir allerdings dieses mal überhaupt nicht gefallen. fand ihr spiel unglaubwürdig und sehr limitiert.
Da hast du sicherlich Recht: Die Erwartungen waren sehr hoch. Zu einem Zeitpunkt, als noch keiner den Film gesehen hatte, wurde er ja bereits als heißer Oscarkandidat gehandelt.
Auch das zeichnet die meisten De Palma Filme aus: Sie werden sowohl vom Publikum als auch von der Kritik sehr unterschiedlich aufgenommen und schwanken meist zwischen den extremen Polen 'Ablehnung' und 'Begeisterung'. Dazwischen gibt es selten was. In Deutschland waren die meisten Rezensionen erstaunlich gut. Ich hatte, nach den vielen Verrissen in den USA mit ähnlichen Attacken hier gerechnet.
Ja, Scarlett spielt sehr zurückgenommen. Aber ich sehe das im Kontext der Genre-Rolle, die sie ausfüllt. Und dann geht das in Ordnung. Kim Basinger in L.A. Confidential hat damals viel realistischer agiert. Das war offenbar (von allen Schauspielern) in The Black Dahlia nicht das erklärte Ziel.
Den hab ich mir jetzt von nem Kumpel ausgeliehen und dann wird der im Laufe der nächsten Woche mal begutachtet ;)
Jetzt hab ich ihn gesehen und kann dir leider selten wie gar nicht zustimmen. Bin aber ohnehin kein großer De Palma-Fan, zumindest nicht seit seinen Filmen ab den 90ern (Femme Fatale z.B.). Aber da hat wohl jeder sein Päckchen mit seinem jeweiligen Lieblingsregisseur zu tragen (in meinem Fall Burton, und was Kevin Smith von Burton hält, kann man ja in EVENING begutachten).
Das stimmt wohl :-) Als De Palma Fan befindet man sich leider sehr oft in der Defensive, etwas, dass man als Kubrick-Liebhaber nicht unbedingt über sich ergehen lassen muss.
Wird Burton wirklich auch oft so harsch kritisiert? Wenn ich mich recht erinnere, hat Smith sich doch lediglich über ihn als Privat- und Geschäftsmann lustig gemacht und ihn als ein Paradebeispiel für einen überheblichen Künstler beschimpft. Aber an seinen Filmen hat er doch nichts Grundlegendes auszusetzen gehabt, oder hab ich das bloß vergessen/verdrängt?
Also in EVENING hat er ihn bzgl. BATMAN dann schon kurz runtergeputzt - wobei ich auch nicht weiß wie man das deuten soll, da er zuerst meinte, ihm hätte BATMAN damals gefallen, aber als es um SUPERMAN REBORN ging, hat er BATMAN dann doch auch wieder kritisiert.
Er erzählte glaube ich, dass Burton meinte noch nie einen Comic gelesen zu haben und meinte selber dann dazu "This explains fucking Batman!".
Dominik Graf über The Black Dahlia
:-)
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