Donnerstag, Juli 29, 2010

Recently Watched Movies #9


When You're Strange 61

Predator 72

Me and Orson Welles 93

The International 82

King of New York 71

Das Mädchen, das durch die Zeit sprang 63

Der Regenschirmmörder 60

Inception 86

Mittwoch, Juli 14, 2010

Gedrucktes: A Man in Full


„Führe mich, oh Zeus!“ Conrad, eine Hauptfigur in Tom Wolfes A Man in Full, entdeckt in einer für ihn äußerst bedrohlichen Situation zufällig die Schriften der Stoiker. Zunächst verärgert über das ihm falsch gelieferte Buch, begreift Conrad schnell, dass ihm die Gedankengebäude der alten Philosophen einen Leitfaden geben, nach dem er sein Verhalten, ja sein gesamtes Leben ausrichten kann. Besonders Epiktet, ein von den Römern ins Exil geschickter Grieche, mit seiner radikalen Haltung zu innerer Freiheit und Selbstbestimmung hat es Conrad angetan. Der religionslose Conrad wird zu einem Jünger der Stoa. Tom Wolfe gelingt es anhand dieser zugegebenermaßen konstruierten Figur, deren (nach Plausibilitätsmaßstab) unrealistischen Lebensabschnitt wir nur über einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum verfolgen, dem Leser ohne philosophische Vorbildung den Stoizismus als überaus faszinierende und wahrhaftige Gedankenschule vorzustellen, sie sogar glaubhaft in die Sphäre einer sympathischen Religion zu erheben. Jeder Mensch, so lernen wir, trägt den Funken Zeus' in sich, der ihm im Gegensatz zu weltlichen Besitztümern und dem eigenen Körper nicht genommen werden kann. Nicht einmal Zeus ist dazu in der Lage.

Diesen Funken zu erkennen, ihn anzunehmen und als Grundlage für ein zufriedenes, sinnvolles Leben zu begreifen, davon sind die Figuren in A Man in Full weit entfernt. Wie schon in Wolfes A Bonfire of the Vanities sind sie Getriebene der Gier: der Gier nach Geld, der Gier nach Macht, der Gier nach Sex.

Der Stoiker Epiktet gibt Werte vor, die einen wahren Mann ausmachen.

Neben Conrad ist Charlie Croker die zweite Hauptfigur des in der englischen Hardcoverausgabe 742 Seiten umfassenden Romans aus dem Jahr 1998. Charlie Croker ist ein in die Jahre gekommener ehemaliger Football-Star, der unter einem arthritischen Knie leidet und sich zu einem der einflussreichsten Unternehmer Atlantas hochgearbeitet hat - ein egomanischer, erzkonservativer Südstaatler, dem eine gigantische Plantage mit 36 Gebäuden (inklusive schwarzen Personals) gehört, auf der er leidenschaftlich gerne Wachteln jagt. Er nennt einen Luxusjet sein Eigen und führt das Leben eines reaktionären Multimillionärs. Seine political incorrectness sorgt regelmäßig dafür, dass sich sein pubertierender Sohn aus erster Ehe sowie seine bildschöne, blutjunge zweite Frau für ihn schämen. Charlie Croker, dieser Südstaatenbulle, hat sich mit seinen Immobilienbauten dermaßen verschuldet, dass ihm die Bank heftig einheizt: Wolfe führt uns eine wahnwitzige „workout session“ vor, bei der der körperlich mächtig wirkende Charlie von den Bankern verbal auseinandergenommen wird und den Konferenzraum schweißgebadet wie ein Häufchen Elend verlassen muss. Die unmittelbare Folge dieser Konferenz: Charlie kürzt 15 Prozent der Arbeitskräfte seines Lebensmittelkonzerns. Diese Entscheidung wirkt wie ein umgeworfener Dominostein im Lebenslauf Conrads, der am anderen Ende der USA seinen Job im riesigen Kühlhaus von Croker Global Food verliert.

Charlie Croker: Ein amerikanischer Bulle kämpft um seine Existenz.

Crokers Kampf gegen den Konkurs ist verflochten mit einem weiteren Handlungsstrang: der angeblichen Vergewaltigung einer jungen weißen Studentin durch Fareek Fannon, einem unsympathischen schwarzen Topathleten. Die vermeintliche Vergewaltigung gewinnt an Brisanz, als öffentlich wird, dass es sich um die Tochter eines äußerst einflussreichen Unternehmers und engen Freund Charlies handelt. Charlies Verhältnis zu diesem Unternehmer befördert ihn unwillkürlich in eine Situation, die ihn moralisch zu zermalmen droht.

Traten im New-Yorker-80er-Jahre-Roman The Bonfire of the Vanities die ethnischen Konflikte noch offen und konfrontativ zu Tage, werden sie im Atlanta der 90er Jahre anders verhandelt. So versuchen alle Parteien eine öffentliche Debatte des Vergewaltigungsfalles zu vermeiden. Insbesondere der schwarze Bürgermeister ist auf Schadensbegrenzung bedacht, weil ein solcher Fall nach seiner Überzeugung in den Kern der Angst des weißen Mannes vordringe.

Überhaupt – darauf lässt bereits der Titel schließen - ist die Frage nach Männlichkeit eine ganz wesentliche: Mit Charlie und Conrad werden zwei grundverschiedene Männlichkeitsbilder entworfen. Charlie, der sich vor allem durch Äußerlichkeiten als Mann definiert (Körperkraft, Geschäftserfolg, Reichtum, sportlicher Ruhm, Ansehen in der High Society usw.), steht Conrad gegenüber, dem mit Ausnahme eines ungewöhnlich hohen Maßes an Körperkraft sämtliche dieser Eigenschaften fehlen. Genau hier kommt wieder Epiktet ins Spiel, der eine moralische Tapferkeit predigt, der Conrad selbst unter Lebensgefahr treu bleibt. Quasi im Vorbeigehen hebelt Wolfe in einer Gefängnisepisode das innerlich völlig hohle Männlichkeitsbild von Strafgefangenen aus: Als es darum geht, jemanden in Not zu helfen, verweigern die Knast-Männer aus Angst vor den Folgen einem Häftling die Hilfe. Nur Conrad hört auf seinen Sinn für Gerechtigkeit und hilft dem Mann, zeigt im Gegensatz zu den anderen Insassen Courage und Mitgefühl. Sein Glaube an die Stoa lässt ihn auch weitere brenzlige Situationen meistern.

Zu den weiteren zentralen Figuren des Romans zählen der versnobte schwarze Rechtsanwalt Roger White II., der frustrierte Banker Raymond Peepgass sowie Martha Croker, die enttäuschte erste Ehefrau Charlies. Wolfe jongliert souverän mit dieser Vielzahl an Figuren und den fein verzahnten Handlungssträngen. Wie Schachfiguren werden sie für das große Finale in Stellung gebracht. Gleichzeitig schafft er Situationen, die seine Leser so schnell nicht vergessen dürften: Um potentielle Investoren zu beeindrucken, lädt Croker für ein Wochenende auf seine Plantage. Höhepunkt des zweiten Tages ist der Zuchtstall, bei dem seine Gäste (und der Leser) Zeuge werden, wie eine Mähre von einem gewaltigen Hengst bestiegen wird. Wie Wolfe die akribische Vorbereitung, die technische Umsetzung und das gleichermaßen faszinierte wie schockierte (gemischte) Publikum mit Genuss am Detail beschreibt, lassen dieses Kapitel zum einprägsamsten des gesamten Textes werden. Habe ich das gerade tatsächlich gelesen oder habe ich mir das nur eingebildet?

Er sieht aus wie ein Dandy.
Und wahrscheinlich ist er auch einer:
Tom Wolfe ist der Mann in Weiß.

Noch beeindruckender wird der Roman, wenn man weiß, wie gründlich Wolfe recherchiert. Faktentreue ist ihm wichtig, schließlich gehört er zu den Mitbegründern des New Journalism, einer literarischen Strömung, die eine Vielzahl literarischer Methoden gebraucht, um lebendig zu erzählen und den Leser zu fesseln, gleichzeitig aber darauf bedacht ist, korrekte Fakten und akkurate Details zu verwenden. Nach eigener Aussage versuchte er sogar an einer „workout session“ als stiller Beobachter teilzunehmen. Doch die Banken mauerten. Allerdings könne er fünf Quellen nennen, die eine derartige Szene, wie er sie im zweiten Kapitel schildert, bezeugen könnten. Die Genauigkeit von Wolfes Recherche schlägt sich auch in minutiösen Beschreibungen nieder: Botanik, Kleidung, Kunstwerke (z. B. Stücke des afrikanischen Yoruba-Volkes) werden genau geschildert. Dies geschieht meist aus der Perspektive einer der Figuren, sodass die Ausführungen auch der Charakterisierung dienen. So hat Roger White, der Anwalt des angeklagten Footballspielers, ein fast krankhaftes Verhältnis zur Kleidung, versucht Menschen auf der Grundlage ihrer Garderobe einzuschätzen – und liegt damit meist richtig.

A Man in Full ist mittlerweile zwölf Jahre alt. Wolfes Bestreben war es, einen Roman zu verfassen, der in der Gegenwart spielt. Im Entstehungsprozess, der sich elf Jahre hinzog, realisierte Wolfe schnell, dass sich die Gegenwart rapide ändert. Und so merkt man seinem Werk im Jahr 2010 das (vergleichsweise junge) Alter natürlich an. Doch das ist ohne Belang. Denn das, was Wolfe über das Amerika der 90er Jahre zu sagen hatte, gilt auch heute noch, und zwar international. Die Weisheiten des Epiktet sind zeitlos.

Recently Watched Movies #8


Please Give 59

Mary & Max 75

Gegenschuss: Aufbruch der Filmemacher 52

The Road 84

Gorky Park 53

Dienstag, Juli 13, 2010