Montag, Januar 07, 2008

Film noirs in Kürze: The Woman in the Window

Dieser Fritz-Lang-Film ist nur ein knappes Jahr älter als Scarlet Street, in dem ebenfalls Edward G. Robinson einen Mann in der Midlife-Crisis darstellt. Beide Filme psychologisieren die Hauptfigur mit ihren Wünschen und neurotischen Träumen derart genau, man könnte meinen, Freud hätte das Drehbuch geschrieben. - Der Psychologieprofessor Richard Wanely (Robinson) lässt sich auf einen Flirt mit der jungen Alice Reed (Joan Bennett) ein, deren Schönheit er bereits beim Betrachten eines Porträts verfiel, das er in einem Galeriefenster entdeckte. Doch ein aggressiver, eifersüchtiger Nebenbuhler zwingt Wanely zum Mord aus Notwehr. Da seine Familie, die momentan nicht in der Stadt weilt, nichts von Alice erfahren darf, lässt er mit ihr zusammen die Leiche verschwinden. Die Polizei und ein erpresserischer Bodyguard werden jedoch zur ernsten Bedrohung für die beiden. - Robinson verleiht dem freundlichen Professor einen fantastischen Blick, der seine Schuldgefühle sichtbar werden lässt: Seine Gesichtszüge erstarren, als ihm sein ahnungsloser Freund, der zuständige Staatsanwalt, die Ermittlungsfortschritte offenbart. Das bewegt den Zuschauer einerseits zutiefst, andererseits bringt es ihn auch ins Grübeln, ob ein derartiges Schauspiel nicht schon ironisch gemeint sein könnte. Lang zeigt immer wieder Robinsons Antlitz in Großaufnahme: Seine Angst, seine Schuldgefühle, seine unterdrückten sexuellen Gelüste: all das wird hier besser begreifbar als in jedem erdenkbaren Dialog.

Formal ist The Woman in the Window ein relativ realistisch gehaltener Film noir. Auffällige, symbolisch aufgeladene, Licht- und Schattenspiele sucht man vergebens. Dafür rückt Lang immer wieder Spiegel und Ziffernblätter ins Bild. Zeit, das Wartenmüssen, das Schmorenlassen, aber auch der exakte Tatzeithergang, wird durch meist im Hintergrund auftauchende Uhren für den Zuschauer nachvollziehbar.

Am Ende wird uns schließlich ein Plottwist serviert, für den Lang heute von der Kritik gesteinigt würde. Als De Palma ein ähnliches Ende in Femme Fatale verwendete, musste er dafür jedenfalls eine üble Schelte über sich ergehen lassen. Nichtsdestotrotz: Es funktioniert in beiden Filmen. Und zwar sowohl auf einer moralischen Ebene, denn ein tragischer Ausgang wäre bei einer derartigen Hauptfigur schlicht unanständig, als auch auf einer psychologischen Ebene, die einem die neurotischen Ängste des Antihelden erklärt.
74 Punkte.

8 Kommentare:

Flo Lieb hat gesagt…

Hört sich sicherlich interessant an und Lang mag ich sowieso. Bemerkenswert wieviele Noirs du kennst...

Jochen hat gesagt…

Ist auch interessant :-)

Aber überhaupt nicht bemerkenswert, denn sobald man sich für solche Filme interessiert, stößt man auch automatisch auf sie...

Anonym hat gesagt…

hehe, sehr poetisch ausgedrückt :)

diese spezielle Art der Auflösung ist schon immer etwas "billig", aber was solls, solange der Film bis dahin gut ist..geht es ja in Ordnung ;)

Anonym hat gesagt…

Oha, neuer Look :)

Jochen hat gesagt…

@ Paul

Aus heutiger Sicht vielleicht etwas billig, aber es kommt auch darauf an, wie es gemacht wird. In Woman in the Window war es, soweit ich weiß, immerhin neu. Bei Femme Fatale sehr geschickt eingebettet (für den aufmerksamen Zuschauer sogar schon bei der ersten Sichtung erkennbar), bei Next hingegen ein Produkt reiner Einfallslosigkeit...

@ Rudi

Ja. Konnte das andere Design nicht mehr sehen. Ist aber nur eine Standard-Vorlage. Leider kenne ich im Gegensatz zu MVV keine professionelle Fotokünstlerin ;-)

Rajko Burchardt hat gesagt…

Ich habe sie übrigens mal gefragt, sie meinte sie schaut mal, wenn sie Zeit hat. Professionell ist sie aber nebenbei bemerkt nicht. ;)

Das grün macht aber 'nen frischen Eindruck.

Jochen hat gesagt…

Danke. Bloß keinen Druck machen - nur wenn sie Zeit und Lust hat :-)

Ja, das Grün wirkt erfrischend - hier sollen ja auch die Gedanken gedeihen ;-)

Anonym hat gesagt…

Die midlife-crisis ist vor allem deswegen bedeutsam, weil da den meisten Menschen bewusst wird, dass sie nicht unsterblich sind, sondern auch das eigene Leben begrenzt ist.

Die Folge ist, wenn man das zulässt (und nicht verdrängt),dass man über die eigenen Werte und Ziele neu nachdenkt.

Was ich als damals 30jähriger (ich bin jetzt 59)gerne alles vor meiner Midlife-crisis gewusst hätte, können Sie in meinem Blog nachlesen: http://tinyurl.com/2ozoql