Mittwoch, Oktober 16, 2013

Short Cuts #20

Die andere Heimat - Chronik einer Sehnsucht setzt mit 230 Minuten Laufzeit definitiv gutes Sitzfleisch beim Zuschauer voraus, ist aber jede Sekunde wert, insbesondere auf großer Leinwand. Gernot Rolls Kameraarbeit ist fantastisch. Außerdem: Endlich ein Kinofilm, der sich ebenso viel Zeit für seine Figuren nimmt wie all die Serien, die uns in den letzten gut zehn Jahren beglücken. Ohne jemals ins Kitschige abzudriften, führt uns Edgar Reitz hier eindringlich vor, wie es vor 160 Jahren im Hunsrück ausgesehen hat und zugegangen sein muss. Jemand, der aus diesem Film kommt, macht drei Kreuze, nicht zu dieser Zeit in Deutschland unter jenen Umständen leben zu müssen. Und welch Ironie, dass Die andere Heimat genau dieser Tage in die Kinos gekommen ist (Lampedusa etc.). Deutschland wird in Reitz' Film nämlich als das gezeigt, was es lange Zeit war: ein Auswanderungsland. Schön, dass uns ein Filmemacher das einmal in Erinnerung ruft.

Hoffentlich marschieren noch ein paar Leute ins Kino. Etwas besseres habe ich dieses Jahr bislang nicht auf großer Leinwand gesehen.

Mittwoch, Oktober 09, 2013

Short Cuts #19


Skater in der DDR? Hat es sie tatsächlich gegeben? This Ain’t California behauptet, dass am Alexanderplatz in Ostberlin ab Mitte der 80er Jahre eine lustige Skatergemeinschaft herumtobte. Eine unerwartete Mesalliance also aus bunter US-Jugendkultur und sozialistisch-grauer Architektur. Das fasziniert zunächst einmal und es leuchtet sogar ein, dass die potthässliche Betonbauweise der DDR geradezu paradiesisch auf einen Skater wirken musste – überall Möglichkeiten, sich gut mit dem Rollbrett fortzubewegen. Das taten dann auch die Protagonisten Nico und Dennis. Und – Überraschung! – sie filmten ihre Skatereien damals mit einer Super 8 Kamera. Diese Aufnahmen machen neben einigen Cartoon-Animationen und der Reunion der damaligen Ost-Skater den Hauptteil des Films aus. 

This Ain’t California schildert eindringlich, wie es sich für Jugendliche anfühlt, auf einem Skateboard zu stehen. Warum man das macht und welche Einstellung bei vielen dahinter steht – das Gefühl von Freiheit, das Abgrenzen von der Erwachsenenwelt. Der Zuschauer gewinnt Einsichten, die losgelöst gelten vom gesellschaftlichen Kontext des Films, für diesen aber freilich besonders relevant sind. Hier liegen eindeutig die Stärken des Films. 

Ärgerlich bis nervig sind hingegen die ewigen Voiceover-Erläuterungen aus der Gegenwart, die so brav vom Zettel abgelesen werden, dass sie die dokumentarische Haltung konterkarieren. Außerdem wirken sie furchtbar auf jugendlich getrimmt. Mit breitem Berliner Akzent und hunderten von überflüssigen Füllwörtern soll bloß der Eindruck vermieden werden, der Text könnte gescriptet sein. Besonders link, aber im Grunde nur konsequent, ist dann das, was bei Kinostart für ein recht breites Medienecho sorgte und den Produzenten als kostenfreies Marketing sicherlich nicht ungelegen kam: Viele Aufnahmen stammen nämlich gar nicht aus der Zeit, sind nachgedreht. Die Hauptdarsteller dieser „Dokumentation‟ sind in Wirklichkeit Schauspieler. 

Bleibt am Ende ein schaler Geschmack und die ernüchternde Frage, wie die Skater-Subkultur der DDR denn nun wirklich aussah beziehungsweise ob es sie tatsächlich gab.

Lesenswerter Artikel:
Auf der schiefen Bahn (Spiegel Online).