Montag, Dezember 10, 2007

Ten Minutes Older: The Cello


"15 Regisseure, 15 Visionen" heißt es auf dem Cover der Doppel-DVD zur Kurzfilmsammlung Ten Minutes Older. In zwei Blöcke hat man die jeweils exakt 10-minütigen Beiträge solch namhafter Regisseure wie Jean-Luc Godard, Jim Jarmusch oder Bernardo Bertolucci geteilt: The Cello und The Trumpet. Das übergreifende Thema aller Kurzfilme ist die Zeit.

Das Gesamtresultat überzeugt schon wegen seines gewaltigen künstlerischen Spektrums. Welch unterschiedliche Ideen hier trotz der identischen Vorgaben in noch unterschiedlichere filmische Formen gegossen wurden - das muss auch den abgebrühtesten Arthouse-Hasser verblüffen. Das heißt allerdings nicht, dass jeder Kurzfilm tatsächlich überzeugt. Aber selbst die schwächeren oder misslungenen Beiträge grenzen sich rein optisch stets grundlegend von den anderen Filmen ab. Tom Tykwer hat einmal gesagt, er möge Filme, die nach dem Regisseur riechen. In Ten Minutes Older verströmt jeder Filmemacher seine eigene Duftnote.

Zu den einzelnen Filmen:

Histoire d'eaux erzählt in Schwarzweiß von einem Flüchtling, der sich in Italien wiederfindet und von einem Guru zum Wasserholen geschickt wird. Dabei lernt er seine zukünftige Frau kennen. - Bernardo Bertolucci führt Zeit dank einer wunderschönen Pointe ad absurdum, regt zum Nachdenken an und macht einem gleich zum Auftakt dieser Reihe klar: Wenn man ernsthaft anfängt über Zeit nachzudenken, wird es schnell unlogisch.

About Time-2 von Mike Figgis ist ein Splitscreen-Experiment, das grandios scheitert. Selbstverliebt, absichtlich unverständlich und auf angestrengt künstlerisch getrimmt, scheint dies offenbar der Versuch einer Medienkritik zu sein. Da ich mir aber nicht anmaße, Figgis' Fantastereien verstanden zu haben, kann ich mit meiner Interpretation auch daneben liegen.

One Moment von Jirí Menzel ist eine Collage aus der Filmographie des tschechischen Schauspielers Rudolf Hrusínský, der bereits acht Jahre vor dem Ten-Minutes-Older-Projekt verstorben war. - Ein unterm Apfelbaum liegender alter Mann träumt von seiner Jugend, seinen ersten amourösen Abenteuern, seinen Sternstunden im Leben. Sehr stimmungsvoll trägt uns Menzel ohne Worte ein zehnminütiges Filmgedicht vor, das vom Klangteppich einer fantastischen Klavierbegleitung getragen wird.

In Ten Minutes After verwöhnt uns der ungarische Regisseur István Szabó mit einem exzellent choreographierten One-shot. - Anstelle sich über die reichlich gedeckte Tafel zu freuen, die ihm seine Frau auffährt, provoziert der besoffen zu Hause eintrudelnde Gatte einen Streit, der damit endet, dass er versehentlich vom langen Tortenmesser niedergestreckt wird. Eine toll gefilmte Fabel über die Binsenweisheit, dass nur wenige Minuten das Leben eines Menschen komplett auf den Kopf stellen können.

Claire Denis legt mit Vers Nancy die zweite Grotte der Filmreihe vor: Ein Interview in einem fahrenden Zug. Ein älterer Mann gibt rechte Soße in schlau verpackten Sätzen von sich. Dröge, langweilig und ohne funktionierende Pointe.

Volker Schlöndorff kann hingegen mit The Englightenment begeistern! Aus der Perspektive einer Fliege gefilmt, die im Voiceover über die Gedanken des Augustinus von Hippo zur Zeit reflektiert, schwirren wir über das Grillfest einer deutschen Familie an einem sommerlichen See. Neonazis tauchen dort auf, es herrscht Spannung zwischen einer schwangeren Frau und ihrem schwarzen Liebhaber. Vieles wird angeschnitten, nichts wirklich erklärt. Der Zuschauer nimmt wie die Fliege nur Bruchstücke wahr. Ein faszinierender Film, sowohl stilistisch als auch inhaltlich.

In Michael Radfords Addicted to the Stars tritt Daniel Craig eine Zeitreise an, die zehn Minuten dauert. Als er im Jahr 2146 landet, kommt er gerade noch rechtzeitig, um seinen Sohn als alten Mann zu sehen. Stimmungsvoll führt uns Radford die emotionalen Konsequenzen einer Zeitreise vor. Die einzige Möglichkeit, damit umzugehen, so wird suggeriert, ist sich emotional abzustumpfen. Eine packende Dystopie.

Zu guter Letzt präsentiert Jean-Luc Godard eine Collage >letzter Minuten<, die er Dans le noir nennt. In ihrer aufgesetzten Künstlichkeit lassen einen diese mitunter heftigen Bilder kalt. Es wird keine emotionale Bindung zum Zuschauer hergestellt. Geht auch gar nicht, weil die einzelnen Schnipsel nur wenige Sekunden lang sind und fragmentarisch für sich selbst stehen, nur zusammengehalten durch die auf großen Gehalt deutenden Zwischentitel wie "Die letzten Minuten der Liebe" oder "Die letzten Minuten der Stille" - ich hoffe, das waren die letzten missglückten Minuten des Filmemachers Godard!

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