Freitag, April 27, 2012

TV-Tipp: scobel - Ekel & Horror


Gestern Abend beschäftigte sich Gert Scobel mit einer der stärksten Empfindungen des Menschen: dem Ekel. In einer überaus informativen Diskussion setzten sich die Psychologin Anne Schienle, der Kulturwissenschaftler Thomas Macho und der Medien- und Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger mit der Frage auseinander, was Ekel eigentlich ausmacht. Auch Winfried Menninghaus, dessen Ekelabhandlung als geisteswissenschaftliche Bibel zu diesem Thema angesehen werden kann, kommt in einem Interview ausgiebig zu Wort. All jene, die noch nicht in den Genuss des Ekels gekommen sein sollten, können dies auf der scobel-Homepage nachholen. Der Auslöser für die Sendung war interessanterweise Scobels Abneigung gegenüber Horrorfilmen: 

Eine der Fragen, die mich in den letzten Jahren immer wieder beschäftigt hat, ist die nach dem Vergnügen an Horrorfilmen. Ich lese und sehe gerne Krimis - aber keine Horrorgeschichten. H.P. Lovecraft bildet die einzige Ausnahme. Vor allem sehe ich keine Horrorfilme. Jedes mal wenn ich es versucht habe, war der Effekt der gleiche: Ich habe schlecht geschlafen und es hat Tage gedauert, bis der Film "aus meinem System" war. Dennoch gibt es viele Menschen, die solche Filme lieben und sie wunderbar als Mittel der Entspannung einsetzen können.

Donnerstag, April 19, 2012

Short Cuts #18


Müsste  ich eine Liste der zehn bedeutendsten Filme der 90er Jahre erstellen, Knight Moves wäre nicht unter ihnen. Man weiß gar nicht, wo man mit seiner Kritik anfangen soll: Vielleicht beim Titel, der eine ungelenke Referenz an den Gene-Hackman-Klassiker, Night Moves, aus den 70ern ist. Oder vielleicht bei dem hemmungslos zusammengestohlenen Drehbuch, das kein - ich wiederhole: kein einziges! - Plot-Klischee auslässt, falsche Fährten en masse legt und Nebenhandlungen beginnt, nur um sie wieder fallenzulassen. Vielleicht aber auch beim Schauspiel, denn Christopher Lambert agiert dermaßen over-the-top, das einem gelegentlich angst und bange wird.

Und doch: Für all diese Defizite muss man diesen deutsch-amerikanischen Genreschinken irgendwie gernhaben! Gerade weil einem alles so bekannt vorkommt, fühlt man sich, als würde man von einem lange nicht mehr gesehenen Freund herzlich begrüßt.

Lambert gibt in Knight Moves einen Schachgroßmeister, der verdächtigt wird, ein Serienkiller zu sein. Um seine Unschuld zu beweisen, hilft er der Polizei. Dabei lernt er eine heiße, wenn auch komplett inkompetente, Psychologin (Diane Lane) kennen. Es knistert und knattert. Und am Ende ist der Täter mal wieder eine unauffällige Nebenfigur, die beim finalen Kampf aussieht wie John-Boy von den Waltons.

Vieles spricht für diesen 90's-Thriller. Da wäre zum einen die Besetzung. Neben dem bewundernswert übertriebenen Schauspiel des Highlanders glänzen Daniel "der Dicke" Baldwin und Tom Skerrit als Polizisten. Skerrit spielt sich in Knight Moves schon einmal für Picket Fences warm. Denn seine Rolle als Kleinstadt-Sheriff durfte er nur wenig später in dieser Superserie der 90er perfektionieren.

Auch die Kameraarbeit ist schick. Liebevoll ausgeleuchtete Räume, komplexe Fahrten und farblich überaus harmonisch gestaltete Räume schmeicheln dem Auge des Zuschauers.

Ferner darf nicht vergessen werden, dass Knight Moves relativ am Anfang der großen Serienkillerwelle der 90er steht. Es sollte noch über drei Jahre dauern, bis Fincher mit Se7en den ultimativen Schlussstrich ziehen würde. Zwischen Knight Moves und Se7en liegen bestimmt zwanzig vergleichbare Filme von der Genrestange. Und witzigerweise bedient sich Se7en recht frech bei Knight Moves - man vergleiche nur einmal die Leichen-Inszenierungen.

Man könnte zum Schluss kommen, es handle sich um ein Paradebeispiel einer „guilty pleasure‟. Nur fühle ich mich nicht schuldig, Knight Moves gerne zu sehen. Mich plagt kein schlechtes Gewissen. Nein, ich stehe dazu: Der Streifen ist mir sympathisch.

Sonntag, April 15, 2012

Short Cuts #17


Müsste  ich eine Liste der zehn bedeutendsten Filme der 80er Jahre erstellen, Henry – Portrait of a Serial Killer wäre unter ihnen. Obwohl mit einem lachhaft geringen Budget von 100.000 Dollar gedreht, gibt es keinen anderen Film über einen Serienkiller, der gleichermaßen roh wie kraftvoll wirkt – und das nach über 25 Jahren!

Henry beginnt mit einem dynamischen 80’s Synthie-Sound zu den Titeln, um anschließend in einer überaus effektiven Parallelmontage ein Tableau weiblicher Leichen mit dem erbärmlichen Alltag unseres Antihelden Henry zu kontrastieren. Dabei erleben wir Henrys Verbrechen nur auf einer verzerrten Tonspur. Gleichzeitig entfernen wir uns in langsamen Kamerafahrten von den Leichen, sehen dass sie an zumeist idyllischen Orten darauf warten, entdeckt zu werden. Schon die ersten zehn Minuten des Films sind genial: Die Faszination an den – man mag es kaum sagen – überaus kunstvoll arrangierten, entblößten Frauenkörpern wird jäh durch unerwartet harte Schnitte zerstört, die uns in Henrys drögen Alltag verfrachten.

Im Grunde ist das schon der gesamte Film: Die magische Anziehung, die das Leben Henrys auf den Zuschauer hat, schlägt durch seine niederträchtigen Taten wiederholt in Abneigung um. Es ist allein seinem noch widerwärtigerem Sidekick Otis zu verdanken, dass wir uns überhaupt auf ihn einlassen können, in gewissem Maße sogar mit ihm mitfiebern.  

Henry - Portrait of a Serial Killer ist (soweit man das als Europäer beurteilen kann) auch ein authentischer Blick in das Chicagoer Prekariat der 80er Jahre. Michael Rooker berichtete unlängst auf arte über die schwierigen Drehbedingungen in diesem Teil der Stadt.

Für Michael Rooker war das die Rolle seines Lebens. Kaum 30 Jahre alt und relativ unerfahren als Schauspieler eröffnete ihm diese Rolle ein Abonnement auf den Bad Guy in Hollywoodfilmen. Kaum vorstellbar, dass er den abscheulichen Redneck in Mississippi Burning ohne Henry hätte spielen dürfen.

Auch die Metaebene des Films war Mitte der 80er Jahre wegweisend: Henry und Otis nehmen ihre scheußlichen Verbrechen auf Video auf, um sie anschließend mit uns, dem Zuschauer, auf einer Flimmerkiste zu studieren. Ich vermute, Michael Haneke schätzt diesen Film sehr.   

Ob man sich die Blu-ray anschaffen muss, sollte man bereits die DVD besitzen, lässt sich klar beantworten: Ja, wenn man auf die zusätzlichen Special Features scharf ist. Das Bild bleibt der Körnigkeit der 16mm Vorlage glücklicherweise treu.

Sonntag, April 08, 2012

Crime d'amour (2010)

Liebe und Intrigen lautet der deutsche Titel von Alain Corneaus letztem Film Crime d'amour. Kurz nach der Premiere verstarb der Regie-Altmeister, den man vor allem wegen seines Film noir „à la française” Le choix des armes (deutscher Titel: Wahl der Waffen) aus den frühen 80er Jahren in Erinnerung behalten dürfte. Derzeit entsteht eine Neuverfilmung von Liebe und Intrigen unter der Regie von Brian De Palma an Originalschauplätzen in Berlin und im Studio Babelsberg.

In dem Thriller steht die Beziehung zweier Frauen im Mittelpunkt: Die überaus talentierte Isabelle (Ludivine Sagnier) wird von ihrer Vorgesetzten Christine (Kristin Scott Thomas) manipuliert und ausgenutzt. Isabelle entscheidet sich, in die Offensive zu gehen und einen wichtigen Firmendeal in die Wege zu leiten, ohne Christine einzubeziehen. Christine rächt sich besonders niederträchtig. Doch sie hat Isabelle falsch eingeschätzt.

Kristin Scott Thomas als zickige Chefin Christine.

Die Handlung ist in einem Wirtschaftsunternehmen angesiedelt. Hier sind Frauen die Entscheidungskräfte. Männer sind Randfiguren. Die Szenen spielen vor allem in verglasten Hochhäusern, Villen, teuren Wohnungen und Edelkarossen. Überall ist aufgeräumt. Alles liegt an seinem Platz. Auch die Menschen wirken in den starren Kameraeinstellungen genau platziert, passen exakt ins Bild. Die Mise en scène ist geradezu minuziös. Darüber hinaus treibt jede Szene den Plot ohne Umschweife voran. Alles, was gesagt wird, ist wichtig, auch wenn es anfangs nicht so scheint. Rückblickend könnte man der Meinung sein, ein Mathematiker habe das Drehbuch geschrieben und den Film inszeniert. Die Wirkung dieses präzisen Blicks ist zwiespältig. Einerseits fasziniert die Genauigkeit, mit der die Bilder arrangiert sind. Andererseits lassen sie einen frösteln, sind bitterkalt.

Atemberaubende Performance: Ludivine Sagnier als Isabelle.

Der Film zerfällt in zwei Teile. Ohne zu viel von der zweiten Hälfte vorwegnehmen zu wollen, sei erwähnt, dass die Präzision der Bilder und die ihnen innewohnende Kälte durchaus mit der Handlung und den Figuren korrespondieren.

Genau wie im kürzlich besprochenen Campus könnte der Plot in allen möglichen Bereichen der Gesellschaft spielen. Es geht in keiner Sekunde um die Wirtschafts- oder Firmenwelt, denn diese bleiben komplett nebulös. In den kurzen Konferenzszenen fallen lediglich Schlagworte wie „Analyse”, „Finanzmittel” oder „Firmenwert”, um dem Zuschauer zu versichern, dass wir uns in der Finanzsphäre bewegen. Die Welt der Hochfinanz bietet sich aber insofern an, als dort - so pfeifen es die Spatzen von den Dächern - besonders kaltblütige, berechnende und angeblich auch hochintelligente Menschen anzutreffen sind.

Die eigentlichen Themen sind hingegen ganz dem Menschen verpflichtet. Es geht um den Wunsch nach Bindung, um Manipulation, um Machtverhältnisse in Beziehungen und nicht zuletzt um das Finden von Wahrheit. Liebe und Intrigen führt dem Zuschauer mehrfach vor, dass das, was dieser oder die Figuren für die Wahrheit halten, nicht zwangsläufig die Wahrheit sein muss. Die Pointe des Films besteht darin, dass am Ende eine Wahrheit ans Licht kommt, die in Wirklichkeit eine Lüge ist. Die Wahrheit wird von der Lüge abgelöst, tarnt sich aber als unumstößliche Wahrheit. Es ist leicht zu erahnen, was De Palma an dem Stoff gereizt haben könnte, schließlich setzen sich seine Filme seit Jahrzehnten mit Schein und Sein auseinander.

Schwieriger ist hingegen die Frage, ob De Palma sich wie Corneau einer klassischen Spannungserzeugung so rigoros entziehen wird. Corneaus Film ist nämlich vielmehr ein intellektuelles Vergnügen als ein wirklich packender Thriller - man möchte die Handlungen der Figuren, die man über lange Zeit beobachtend verfolgt, erklärt bekommen. Suspense-Szenen gibt es keine. Es bleibt abzuwarten, was De Palma aus dieser Vorgabe macht, zählen Spannungsmomente doch zu seinen Spezialitäten.

Vor gut drei Wochen auf einem Schöneberger Friedhof.
Laut BZ „nahm Karoline Herfurth eigens Sprachtraining, um beim Englisch nicht zu berlinern”.

Die Darsteller des Remakes treten ein gewaltiges Erbe an. Noomi Rapace wird als Isabelle einiges bieten müssen, um an die Leistung von Ludivine Sagnier heranzukommen. Rachel McAdams ist für die Rolle der Christine eigentlich zu jung. Dafür dürften die lesbischen Untertöne zu Beginn des Films mit ihr glaubhafter zum Klingen kommen - Christine macht Isabelle zweideutige Komplimente, die auch auf fruchtbaren Boden zu fallen scheinen. Der Arbeitskollege Isabelles, Daniel, wird in der Neufassung von Karoline Herfurth als Dani gespielt. So tritt die matriarchale Firmenstruktur bei De Palma noch stärker in den Vordergrund.

Es wird gemunkelt, das Remake solle auf der Berlinale 2013 Weltpremiere feiern. Angesichts der Berliner Drehorte sicherlich keine verkehrte Überlegung.

Freitag, April 06, 2012

Heat (1986)

Während De Palma dieser Tage fleißig in Berlin und Potsdam sein Remake zu Crime d'amour dreht, wird es Zeit, sich mit der Vorlage seines darauf folgenden Projektes näher zu beschäftigen: dem Remake des Neo noirs Heat aus dem Jahr 1986 - ein Burt-Reynolds-Reißer, der auf Roman und Drehbuch des zweifachen Oscargewinners William Goldman (The Princess Bride) basiert.

Heats Dreharbeiten gestalteten sich recht ungewöhnlich. Laut Wikipedia und imdb stand niemand geringerer als Robert Altmann für genau einen Tag hinter der Kamera, verließ jedoch das Filmset, weil sein kanadischer Kameramann kein Visum für die Einreise in die USA bekam. Daraufhin übernahm Dick Richards die Regie, verscherzte es sich aber mit Reynolds, der ihm angeblich während des Drehs eine reingehauen haben soll. Richards wurde nach dem Vorfall durch Jerry Jameson ersetzt. Jameson wiederum purzelte von einem Kamerakran und landete im Krankenhaus. Zwei weitere Regisseure beendeten den Film. Die Entstehungsgeschichte scheint einige Eigenheiten des Films zu erklären - vor allem das klebrige Happy End.

Heat erzählt die Geschichte des ehemaligen Söldners Nick Escalante (Reynolds), der in Las Vegas als Bodyguard arbeitet. Sein Traum: 100.000 Dollar sparen, um davon entspannt in Venedig leben zu können. Mehrere Handlungsstränge werden zunächst nebeneinander entfaltet, um schließlich ineinander zu münden. Es geht um Rache für eine Schandtat an einer Prostituierten, um Spielsucht und das Verhältnis zwischen Nick und einem verängstigten Computer-Nerd (Peter MacNicol), der von Nick eine Nahkampfausbildung erhalten möchte, um Selbstsicherheit zu gewinnen.

Die verknotete Handlung, das überwiegend nächtliche Setting, das Spiel mit dem Wahrheitsbegriff, die ambivalenten Figuren und all die anderen Noir-Elemente machen Heat zu einem durchaus vergnüglichen Filmerlebnis. Zugleich ist William Goldmans Drehbuch nicht frei von Schwächen. Einige Szenen ziehen sich arg in die Länge, die Plot-Pointen sind eigentlich immer vorhersehbar und das versöhnliche Ende ist eine einzige Katastrophe. Ich gehe davon aus, dass das Ende, so wie es im Film zu sehen ist, bei Goldmann nicht angelegt war und dass De Palma davon Abstand nehmen wird. Jason Statham, der Nick im Remake spielen wird, besitzt eine größere Agilität als Reynolds. Die Kampfszenen sollten also spektakulärer ausfallen, wobei die Kraft dieser Szenen gar nicht in den Kampfchoreografien liegt, sondern vielmehr - und hier funktioniert die 86er Version überraschend gut - im behutsamen Spannungsaufbau vor den kurzen Momenten heftiger Gewalt. Diese Szenen sind eine Steilvorlage für De Palma! Auch das etwas lieblos gestaltete Actionfinale kann durch eine Neuinszenierung nur gewinnen. Der Showdown ist hingegen wunderbar makaber geraten, wird aber für meinen Geschmack zu unlogisch aufgerollt.

Heat ist einer jener Filme, denen ein Remake guttun kann. Im Gegensatz zu den meisten anderen Neuverfilmungen, handelt sich um keinen Blockbuster, an dem man noch einmal Geld verdienen will, sondern um einen Streifen, in dem eine Menge Potenzial steckt, das beim ersten Mal nicht voll ausgeschöpft worden ist.

Donnerstag, April 05, 2012

Filmtipp: Der Campus

Die Verfilmung von Dietrich Schwanitz' Der Campus gehört zu den besten deutschen Filmen der 90er Jahre. Bedauerlicherweise fand er nicht sein Publikum und wird auch nur selten im Fernsehen gezeigt. Ein amazon-Kritiker spottet: „[D]afür sorgen schon die Frauenbeauftragten der Fernsehsender”. Als Schwanitz' Uni-Roman 1995 erschien, hagelte es Proteste im Namen der Political Correctness. Frauenfeindlich und faschistisch sei das Werk geraten. AStA und taz waren Vorreiter der teilweise aberwitzigen Angriffe.

In der Zwischenzeit ist das alles offenbar in Vergessenheit geraten. Schwanitz kam 2004 tragisch ums Leben. Seine Romane und Wissens-Fibeln sind keine Bestseller mehr. Dabei ist sein Werk nach wie vor hochaktuell. Das Schachern um Posten, die Einflussnahme von Seilschaften und Korruption in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft - der Blick in eine beliebige Tageszeitung konfrontiert uns täglich mit solch selbstherrlichem Getue von Politikern, Wirtschaftsbossen, Kulturschaffenden usw. Befeuert wird deren Amtsmissbrauch zumeist durch allzu menschliche Eitelkeiten, ganz wie im Campus.

Der Campus führt uns den Verlauf einer Kampagne rigoros vor: Der Soziologieprofessor Hanno Hackmann (Heiner Lauterbach) beendet seine Affäre mit der Studentin Babsi (Sandra Speichert). Kurze Zeit später macht das Gerücht am Campus die Runde, Babsi wäre von einem Professor vergewaltigt worden. Der selbstgerechte, machtbesessene Universitätspräsident (Rudolf Kowalski), karrieregeile Kollegen, die sensationslüsterne Presse und einige andere Interessenverbände versuchen nun das Gerücht zu ihren Gunsten zu nutzen und schließen sich zu einer Jagdmeute zusammen, deren Opfer Hanno Hackmann ist. Die Suche nach der Wahrheit spielt dabei keine Rolle.

Heiner Lauterbach als Hanno Hackmann

Die Geschichte, die der Film erzählt, könnte auch in der Sphäre der Politik, des Sports, der Wirtschaft oder Kultur spielen. Sie ist universal und zeitlos. In der übersteigerten Art, wie sie Schwanitz angelegte und wie sie sich bei Wortmann entfaltet, ist sie glücklicherweise von einer fein ausbalancierten Komik. Der Campus ist somit ganz und gar untypisch für einen deutschen Film, insbesondere wenn man sich vor Augen hält, welch dämliche Beziehungskomödien das Land in den 90er Jahren überfluteten (leider findet dieser Tage ein Backlash statt). Eine Genrezuordnung fällt schwer. Vielleicht war auch das ein Grund für die mäßigen Einspielergebnisse seinerzeit.

Freilich sind wir in punkto Political Correctness und Mobbing 14 Jahre später ein kleines bisschen weiter: Die Frauenbeauftragte heißt heute meist Gleichstellungsbeauftragte (und ist fast immer eine Frau) und das Internet sorgt in mancherlei Hinsicht für mehr Transparenz (führt aber auch zu einer effektiveren Vernetzung von Mobbing-Rudeln).

Wortmanns Gesellschaftssatire besticht ebenfalls durch Qualitäten jenseits des Plots. Kameramann Tom Fährmann widersteht der Versuchung - und somit dem visuellen Klischee - die Klüngeleien in düstere Bilder zu tauchen. Fast der gesamte Film spielt am Tag und in hell ausgeleuchteten Räumen. Von einer TV-Optik bleibt er gleichwohl weit entfernt. Die Farben stechen hervor, spiegeln gewissermaßen die Überzogenheit des Plots. Gleichzeitig geben die Hauptdarsteller der Versuchung zum Overacting nicht nach, die die Rollen zweifellos anbieten. Und jene Schauspieler in Nebenrollen, die tatsächlich overacten, tun gut daran. Besonders überzeugt Stefan Jürgens als charismatischer Leiter der Abteilung für Ausländerintegration.

„Malt schonmal die Plakate: Ausländer gegen das Patriarchat!”
„Aber die Türken sind doch die schlimmsten Machos!”
„Scheißegal - wir machen ne Demo!”


Zwei Jahre Zeit nahm sich Wortmann zur Vorbereitung des Films. Schwanitz selbst schrieb das Drehbuch. Dadurch gibt es spritzige, scharfzüngige Dialoge, wie man sie in einem deutschen Film selten zu hören bekommt. Ton und Intention der Vorlage sind weitgehend erhalten geblieben. Darüber hinaus konnte sich Wortmann die Schauspieler offensichtlich frei aussuchen. Neben Heiner Lauterbach spielen Armin Rohde, Axel Milberg und Barbara Rudnik.

Den Campus gilt es nach 14 Jahren wiederzuentdecken. Kein deutscher Film der letzten zwanzig Jahre ist gleichzeitig so tagesaktuell, komisch und wortgewaltig.

Sonntag, April 01, 2012

Short Cuts #16


Irgendwo habe ich gelesen, Bridesmaids sei das weibliche Pendant zu The Hangover. Das stimmt. Man möchte hinzufügen: Frauen sind insgesamt zivilisierter, nutzen ihren Denkapparat häufiger und ihre Feiern fallen weniger spektakulär aus. Auch dies trifft bei einem Vergleich zwischen The Hangover und Bridesmaids zu: Bridesmaids ist zivilisierter, intelligenter und weniger spektakulär. Deshalb muss Bridesmaids aber zwangsläufig nicht (noch) schlechter sein als The Hangover. Nein, das Gegenteil ist der Fall: Genau aus diesen Gründen ist Bridesmaids der sehenswertere Film! Natürlich wartet Bridesmaids nicht mit einem pseudo-innovativen Erzählkniff auf wie The Hangover. Bridesmaids entfaltet seinen Plot linear. Aber während The Hangover die non-lineare Erzählweise dringend benötigt, um der faden Story den notwendigen Kick zu geben, liegt die Stärke von Bridesmaids eben in der Story selbst.

Worum geht es? Annie (Kristen Wiig) soll die Hochzeit ihrer besten Freundin organisieren. Doch das hört sich leichter an, als es ist, denn es gibt unzählige Hindernisse zu überwinden. Darüber hinaus wird Annie durch die Entscheidung ihrer Freundin, in den heiligen Bund der Ehe einzutreten, dazu gezwungen, ihr eigenes Leben zu hinterfragen. Schließlich ist sie Mitte-Ende Dreißig, immer noch ein Single und nun eine Brautjungfer ihrer besten Freundin.

Was Bridesmaids bei all den Klischees, die uns der Film leider auch gnadenlos um die Ohren haut, beachtenswert werden lässt, ist die Konsequenz, mit der er Oberflächlichkeit in all seinen Formen bloßstellt. Eine US-amerikanische Hochzeit bietet hierfür offenbar die perfekte Bühne. Die Komödie macht dabei bemerkenswerterweise nicht vor der Heldin halt, die ebenfalls dem Oberflächlichkeitswahn erlegen ist. Wer kann die pathetischste Lobeshymne auf die Braut anstimmen? Wer hat die originellste Idee für das Fest? Wer überreicht das Geschenk, das die Braut am meisten entzückt? Die Hochzeit wird zum erbarmungslosen Wettbewerb zwischen Annie und Helen (Rose Byrne), einer erfahrenen Eventmanagerin. Gleichzeitig wird die Braut zur Hassfigur, da sie den ganzen Unfug überhaupt zulässt, sogar indirekt fordert, und tatsächlich der Meinung ist, ihr Hochzeitsfest habe all das hohle Brimborium verdient. Bedauerlicherweise endet der Film mit einer versöhnlichen Geste, die diesen maßlos übertriebenen Hochzeitsfirlefanz doch noch zu rechtfertigen scheint. Ein Eingeständnis ans amerikanische Publikum oder ans Genre? Für mich jedenfalls das missglückteste Filmende der letzten Zeit. Somit ist Bridesmaids leider kein Meisterstück, aber erstaunlicherweise über weite Strecken überaus bissig.